Die Sachsen-Hymne

DDR-Kulthit „Sing, mei Sachse, sing": Kennen Sie noch Jürgen Hart?

Der eine versteht den anderen nicht: Sachsen und Berliner hatten schon zu DDR-Zeiten Probleme miteinander. Bis ein Lied alles änderte ...

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Gemütlich ist er, der Sachse: Jürgen Hart im Jahre 2000 in seiner Berliner Wohnung.
Gemütlich ist er, der Sachse: Jürgen Hart im Jahre 2000 in seiner Berliner Wohnung.Thomas Lebie/imago

Den Unmut der Sachsen über die da aus Berlin gab es schon, als die Mauer noch stand. Und damit meinte man nicht nur die Regierenden, sondern auch den ganz normalen Berliner, der alles in den „Orsch“ geschoben bekam, der Westfernsehen gucken und Südfrüchte kaufen konnte. Der Berliner, der dann auch noch von oben herab auf die Sachsen mit ihrem komischen Dialekt schaute. Nein, Freunde waren Sachsen und Berliner nie. 

Doch zwei sächsischen Komikern gelang es, zu DDR-Zeiten in die Herzen der Berliner vorzustoßen. Der Dresdener Eberhard Cohrs, der aber 1977 in den Westen floh und damit von den DDR-Bildschirmen verschwand. Und der Leipziger Jürgen Hart, der die sich auftuende Lücke nutzte und es zwei Jahre später schaffte, dass ein ganzes Land ein Lied mitsang – von der Insel Rügen bis nach Sachsen, und ja, auch in Berlin: „Sing, mei Sachse, sing“.

Jürgen Hart gründete die academixer

„Sing, mei Sachse, sing!/Es isn eichen Ding/Und ooch a dichdsches Glück/Um dn Zauber dr Musieg“. Auch wenn viele bis heute nicht alles verstehen, was Jürgen Hart da im tiefsten Sächsisch sang: Das Lied bekommen alle, die in der DDR aufgewachsen sind, nicht mehr aus dem Nischel (sächsisch für Schädel). Der Text von Jürgen Hart, der Sound, ein fröhlicher Marsch, von Arndt Bause. „Dr Sachse liebdn sadden Saund/Dn Don, wenn Geichen reehrn/Ob Obernhaus, ob Undergraund/Er schdrahld, das mußr heern!/Und schluchzdr Geichenbochen/Dann griechdr feuchde Oochen“.

Der Megaerfolg  (200.000 verkaufte Tonträger) war aber gleichzeitig ein Fluch für Jürgen Hart. Außerhalb von Sachsen, also der damaligen Stadtbezirke Dresden, Leipzig und Karl-Max-Stadt, war Jürgen Hart bei vielen immer nur der mit „Sing, mei Sachse, sing“. Dabei war Jürgen Hart in erster Linie Kabarettist, einer der besten in der DDR. 

An der Karl-Marx-Universität in Leipzig absolvierte er von 1963 bis 1967 ein Diplom-Lehrerstudium (Deutsch und Musik), gründete nebenbei das Studentenkabarett academixer, arbeitete später auch als Lehrer. Doch als das Leipziger Studentenkabarett 1977 den Sprung zum Berufskabarett schaffte, war der 34-Jährige wieder dabei – als Leiter der academixer.

40 Programme schrieb Jürgen Hart für sein Kabarett, darunter auch „Dr Saggse: Mänsch un Miedos“ (Der Sachse: Mensch und Mythos). Der Vogtländer (1942 in Treuen geboren, aufgewachsen in Auerbach) inszenierte die Programme, komponierte die Musik, spielte mit, er war zugleich Leiter, Autor und Darsteller. „Niemand konnte einen alten Kauz besser darstellen als er“, sagt der Leipziger Kabarettist Meigl Hoffmann. Auf der Bühne immer erkennbar – mit Schnauzbart und seinen listigen Äuglein. 

Und dann kam das Lied, bis heute die heimliche Sachsen-Hymne. Jürgen Hart war selbst überrascht über den Erfolg. „Da war er baff“, sagt Komponist Arndt Bause später, „dass er für sich und seine Familie plötzlich so ein Haus kaufen konnte!“ Dank des Liedes, das  auch da zum Hit wurde, wo sich der Sachse nicht so verstanden fühlt. „Doch gommdr Sachse nach Berlin/Da gönn‘se ihn nich leiden/Da wollnsem eene drieberziehn/Da wollnse midm schdreiden!/Und dudmern ooch verscheißern/Sein Liedchen singdr eisern!“

In den 90ern wurde Jürgen Hart auch zum Buchautor: „Aus der Wichtelrepublik“ und „Die unernste Geschichte Sachsens“ sind zwei seiner Bücher.
In den 90ern wurde Jürgen Hart auch zum Buchautor: „Aus der Wichtelrepublik“ und „Die unernste Geschichte Sachsens“ sind zwei seiner Bücher.Thomas Lebie/imago

Jürgen Hart: Einer der besten DDR-Kabarettisten

Aber das Lied und die 1980 erschienene LP „Hart auf Hart“ waren eigentlich Ausreißer in seiner Karriere. Das, wofür sein Herz schlug, war Kabarett. Die Berliner Distel-Legende Peter Ensikat lobte den sächsischen Konkurrenten – und Freund. „Er wusste so wunderbar dialektisch zu argumentieren, also jede Kritik zum Lob umzudeuten, dass er den Funktionären auch die böseste Pointe noch als gut gemeint unterzujubeln verstand.“

Jürgen Hart mit Hund und seiner Frau Katrin, die er bei den academixern kennenlernte.
Jürgen Hart mit Hund und seiner Frau Katrin, die er bei den academixern kennenlernte.Thomas Lebie/imago

Und der Berliner Ensikat erklärte auch: „Dass er – wie wir alle damals – mit jener Zensur auch Kompromisse machen musste und oft nur durch die Blume sprechen durfte, wurde ihm und uns allen nach der Wende vorgeworfen. Unser aller Mut war zu DDR-Zeit nicht so groß, wie er damals in der Westpresse stand. Aber so angepasst, wie heute oft geschrieben wird, waren wir denn doch nicht.“ Diese Worte schrieb Peter Ensikat am 10. April 2002 – dem Todestag von Jürgen Hart. Denn der Leipziger Kabarettist starb viel zu früh, mit noch nicht mal 60 Jahren an Knochenkrebs. Begraben wurde er auf dem Leipziger Südfriedhof. Neben der sächsischen Mundartdichterin Lene Voigt, so wie er es wollte. ■