Mersud Selman

Waschen, Schneiden, Föhnen, Kunst

Wie ich entdeckte, dass mein Frisör ein begnadeter Maler mit einer facettenreichen Geschichte ist. Roma, schwul und Bruder einer echt berühmten Schwester geht Mersud Selman seinen eigenen Weg. 

Author - Stefanie Hildebrandt
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Mersud Selman arbeitet als Friseur in Berlin. Seine eigentliche Berufung aber ist die Malerei. In seiner Wohnung im Wedding stehen überall seine Werke. 
Mersud Selman arbeitet als Friseur in Berlin. Seine eigentliche Berufung aber ist die Malerei. In seiner Wohnung im Wedding stehen überall seine Werke. Stephanie Steinkopf/OSTKREUZ

Waschen, Schneiden, Föhnen – und Kunst. Wenn man bei Mersud Selman einen Frisör-Termin hat, läuft aus der Box neben dem Spiegel meist Italo-Pop oder Techno. Egal ob eine alte Dame oder ein Teenager auf dem Stuhl sitzt, Mersud nimmt sich Zeit, schneidet akribisch und „mit Liebe“, wie der  37-Jährige sagt. Als Haarkünstler ist er beliebt bei seinen Kunden.

Was viele von ihnen nicht wissen: Mersud Selman ist nur in einem seiner vielen Leben Frisör, in seinem eigentlichen aber malt er ausdrucksstarke Porträts und Szenen aus seinem Alltag als schwuler Mann und als Angehöriger der Gruppe der Roma. Demnächst gibt es in Kreuzberg eine Ausstellung mit seinen Werken und denen anderer Roma-Künstler.

Diesmal drehen wir also den Spieß um. Nicht die Kundin erzählt beim Haareschneiden, was sie bewegt, sondern der Coiffeur gibt Einblicke in seinen Alltag.

Schmerz, der aus dem Inneren nach außen muss

In Selmans Wohnung im Wedding stehen und hängen sie überall: Farbintensive Werke, meist Porträts in Acryl oder Öl, in jeder Größe. Neben dem Herd in der Küche ein riesiges Gemälde, Mersud Selman hat sich selbst gemalt, dreifach und schreiend. „Ich mag meine Screamings“, lächelt Mersud als er einen Kaffee zubereitet. Das Bild transportiert wie kein anderes hier Schmerz, der von innen nach außen muss. Schmerz worüber?

Wir fangen von vorn an. Mersud wächst als einer von fünf Jungen und mit einer Schwester im bosnischen Bihac in einer Roma-Familie auf. Als er sechs Jahre alt ist, kommt der Krieg in seine Stadt. Die Serben halten Bihac umzingelt, Erinnerungen daran hat Mersud kaum. Nur die Geborgenheit, Liebe und Unbeschwertheit, die sich als Grundton in der Kindheit ins Leben schreiben, die vermisst er noch heute.

„Ich erinnere mich an Hunger, es war nicht immer einfach, an Brot zu kommen, in den 1990ern in Bosnien“, sagt er. Einmal muss er an der Hand seiner Mutter über eine Brücke gehen. „Mutti hielt mir die Augen zu.“ Die Angst, das Blut auf den Straßen werden Teil seiner Kindheit. „Als Kriegskind muss man alles, was in einem ist, malen“, sagt Selman. 

Den Schmerz hinausschreien. 
Den Schmerz hinausschreien. Stephanie Steinkopf/OSTKREUZ

Mersud malt schon als kleiner Junge, seine Geschwister Ferdi und Selma - heute ebenfalls erfolgreiche Künstler – rivalisieren um die Gunst des Vaters. Wer würde der Beste sein? Obwohl sein Vater immer den Musiker in ihm sieht, entscheidet sich Mersud, das scheue Kind, für die Malerei. Er studiert Kunst und Fotografie in Bosnien und in Ungarn. Erste Ausstellungen auf dem Balkan würdigen sein Talent. Dann kommt eine Anfrage aus Berlin und Mersud verliebt sich in die Stadt an der Spree und in den Mann, mit dem er noch heute zusammen lebt.

Wer bin ich, und wie sehen mich die Anderen?

Die Berliner Wohnung im Wedding platzt förmlich von seinen Werken in intensiven Farben. Rot ist Selmans Leitfaden. Die Wärme und Energie der Farbe, aber auch ihre Aggressivität passt zu den Themen, die Mersud künstlerisch bearbeitet. Wer bin ich, wer will ich sein und wie sehen mich die anderen?

Bücher und Bilder, Mersud Selman lebt und arbeitet in Berlin und ist auf der Suche nach einem bezahlbaren Atelier. 
Bücher und Bilder, Mersud Selman lebt und arbeitet in Berlin und ist auf der Suche nach einem bezahlbaren Atelier. Stephanie Steinkopf/OSTKREUZ

Mersud erzählt von einem langen Weg der Suche. Es ist ein Unterschied, schwul in Bosnien zu sein, oder in Berlin. Als Rom gehört Mersud zu einer weiteren Minderheit. 2020 befragt er für seine Arbeit LGBTQ-Menschen auf dem ganzen Balkan, wie es sich anfühlt, queer zu sein. „Do not spit in my face“ heißt das Projekt, das nicht nur seine eigene Geschichte beleuchtet, sondern die einer ganzen Community. Als Teil gleich verschiedener Minderheiten braucht es Mut und Stärke zu sich zustehen und die Blicke der anderen zu parieren.

Mersud, Künstler, Rom, schwul

„Es hat lange gedauert, bis ich offen sagen konnte, ich bin Mersud, Künstler und schwul“, erinnert sich Mersud Selman. Mit dem Projekt 2020 erst habe er sich auch seiner Mutter, die noch immer in Bosnien lebt, offenbart. 2024 in Berlin mag ein Coming-out kein großes Ding mehr sein, in traditionell geprägten Gesellschaften auf dem Balkan aber, ist die Reaktion der Mutter für Mersud eine Erleichterung: „Wenn du glücklich bist, Sohn, bin ich es auch“, hat sie gesagt.

Wenn Homosexualität ein Teil seiner Persönlichkeit ist, ist die Zugehörigkeit zur Gruppe der Roma ein weiteres. „Kennst du den Mann, der immer vor dem Einkaufscenter steht und die Obdachlosenzeitung verkauft?“, frage ich Mersud. „Ja, ich gebe ihm manchmal einen Euro.“ „Obdachlos und manchmal betrunken, ungebildet. Das ist das Bild, das viele in Deutschland von den Roma haben“, sage ich. Mersud zögert und schüttelt sich angesichts dieser Einordnung in Schubladen. „Weißt du, diese Label interessieren mich nicht so sehr. „Roma, Bosnier, Berliner. Wir sind alle Menschen“, sagt Mersud Selman.

Seine Schwester Selma Selman, eine vielfach ausgezeichnete Künstlerin, geht das Thema politischer an. Mit dem Erlös ihrer brachialen Kunst, die derzeit in der Frankfurter Schirn ausgestellt wird,  finanziert sie das Programm „Get the Heck to School“, das Stipendien für Roma-Mädchen vergibt, damit diese die Grundschule in Bihac beenden können. Als Romni bezieht sie sich in ihren Arbeiten immer wieder auf Narrative der Roma und auch Erfahrungen in ihrer Familie, die in Bihac vom Ausschlachten alter Autos lebt. 

Ob er selber schon einmal Diskriminierung aufgrund seiner Herkunft oder seiner Lebensweise erfahren hat, will ich wissen. „Nein“, sagt Mersud. „Vielleicht weil ich so offen und positiv bin, oder sie glauben alle ich sei Spanier?“, lacht er.

Nach dem Achtstundentag beim Frisör-Salon malt Mersud Selman nach Feierabend beeindruckende Portäts. 
Nach dem Achtstundentag beim Frisör-Salon malt Mersud Selman nach Feierabend beeindruckende Portäts. Stephanie Steinkopf/OSTKREUZ

Den Sessel, auf dem er beim Malen sitzt, hat Mersud Selman mit einer Plüschdecke abgedeckt. Die Staffelei steht vor einer Wand voll mit Büchern. An den Wänden lehnen die fertigen Leinwände. In der Küche läuft auf dem Tablet Bundestag live. Alice Weidel spricht. Die Wahlen und das Erstarken der Rechten machen ihm schon Sorgen, sagt Mersud. Aber er vertraut auf Berlin. Selbst neulich bei einem Besuch in Rheinsberg habe er nur nette Brandenburger getroffen.

Mersud tanzt sich irgendwie durch alles Schwere hindurch, denkt man, wenn man ihm so zuhört. Wenn er gestikuliert, funkelt die Kette an seinem Hals, wie kann es anders sein, in Rot. Ein Abbild der Vega, einem der hellsten Sterne am Sommerhimmel, nein des ganzen Weltalls sei darin, sagt er. Er, der als Kind Astronaut werden wollte, hat für den Moment auf Erden seinen Leitstern gefunden. „Hör zu, was dein Herz möchte“, sagt Mersud und muss gleich los, zur Arbeit im Frisör-Salon. Acht Stunden Schneiden, Legen, Lächeln, Föhnen, mit Liebe. Und nach Feierabend: Malen, den Schmerz und jeden einzelnen Lebensmoment, den es festzuhalten gilt. 

Stiftung Kai Dikhas & Kunstraum Dikhas Dur, Prinzenstr. 84.2. Ausstellung vom 20. September bis 11. Januar, Vernissage am 19. 9.  2024 um 19 Uhr.  ■