Unter der großen Schlagzeile „Wir von hier“ erschien am 28. November vergangenen Jahres eine Sonderausgabe der Bild-Zeitung. 16 Seiten dick. Das „Hier“ lässt sich jetzt genauer definieren: Hunderte Ausgaben verrotten am Ufer des Westhafenkanals in Berlin-Moabit – anscheinend von einem Zeitungsausträger entsorgt, der zu faul war, von Briefkasten zu Briefkasten zu gehen.
Das Goslauer Ufer ist eigentlich ein bekannter Treffpunkt der Berliner und Brandenburger Graffitiszene. Sie treffen sich, um hier legal ihre Kunst an eine riesige Wand zu sprayen. Bunte Bilder, die jetzt mit bunten Bildern aus der Bild konkurrieren müssen. Entlang des Ufers sind mehrere, verschnürte Bündel mit dem Altpapier aus dem Hause Springer verteilt. Die Verschnürungen lösen sich langsam, das vom Wind und Wetter aufgeweichte Papier beginnt sich selbstständig zu machen, Exemplare fliegen am Ufer entlang.
Drei Millionen Bild-Exemplare wurden gedruckt
Zeitungen bringen Sonderausgaben heraus, weil sie Geld verdienen wollen. Von Anzeigen finanziert, werden sie meist kostenlos in den Briefkästen verteilt. Die Anzeigenkunden vertrauen darauf, dass die Zeitungen und ihre Anzeigen auch da ankommen, wo es versprochen wurde. Von der Sonderausgabe „Wir von hier“ wurden, wie der Mediendienst Turi2 vermeldete, deutschlandweit drei Millionen Exemplare gedruckt, die an über zwei Millionen Haushalte verteilt wurden. Unter anderem in Hamburg, Stuttgart und Berlin.
Zumindest in Berlin-Moabit sind einige Hundert Ausgaben nicht in den Briefkästen der Nachbarschaft angekommen. Auf der Titelseite Margot Friedländer, die bekannte deutsche Zeitzeugin und Überlebende des Holocaust, Geschichten über Roland Kaiser und Florian Silbereisen werden angekündigt, Anzeigen werben für Angebote in der „Black Week“ – natürlich längst vorbei.

„Heute erscheint unsere Sonderausgabe von Bild – und sie ist ganz besonders!“, kündigte im November die Chefin der Bild-Gruppe auf Linkedin an. Besonders ist diese Ausgabe – sie verrottet besonders langsam und verdreckt das Goslaer Ufer. ■