So viele Mieter haben schon finanzielle Hilfen beantragt
Nach dem Mietendeckel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts bitten die ersten Haushalte um Unterstützung. Mieterverein ruft Vermieter zu Verzicht auf Nachforderungen auf.

Die Zahl der Berliner, die nach dem Mietendeckel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts finanzielle Hilfe beantragt haben, ist bisher überschaubar. Acht Tage nach dem Beschluss des Senats für einen Hilfsfonds sind bisher 135 Anträge auf finanzielle Unterstützung eingegangen. Das teilte die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen am Mittwoch mit. In 70 Prozent der Fälle wurden demnach finanzielle Hilfen zwischen 100 und 1500 Euro beantragt, in 30 Prozent der Fälle beliefen sich die benötigten Zuschüsse auf mehr als 1500 Euro. Die Gesamtsumme der benötigten Hilfen beläuft sich den Angaben nach auf rund 180.000 Euro.
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Das Bundesverfassungsgericht hatte den Mietendeckel für nichtig erklärt. Danach gelten wieder die alten Mieten, auf die sich Vermieter und Mieter vor Inkrafttreten des Mietendeckels verständigt haben. Außerdem haben die Vermieter einen Anspruch darauf, dass ihnen die Differenz von den abgesenkten Mieten zu den ursprünglich rechtmäßig vereinbarten Mieten erstattet wird. Um Mietern in Not zu helfen, hatte der Senat in der vergangenen Woche einen Hilfsfonds mit rund 10 Millionen Euro aufgelegt. Wer Unterstützung benötigt, soll ein zinsloses Darlehen bekommen, das aber zurückgezahlt werden muss.
„Die geringe Anzahl an Anträgen auf die Sicher-Wohnen-Hilfe werten wir als positives Signal“, sagte Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel am Mittwoch. „Viele Berliner sind unserem Rat gefolgt und haben das eingesparte Geld bis zur gerichtlichen Klärung zurückgelegt.“ Gleichzeitig handelten Vermieter besonnen und suchten gemeinsam mit ihren Mietern nach Lösungen – von Stundungen bis hin zum Mietverzicht. Das Ziel aller gutwilligen Akteure müsse sein, dass kein Mieter um seine Wohnung fürchten muss, so Scheel.
Kritik an Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
Erst am Dienstag hatten sich Vertreter der Wohnungswirtschaft an einem runden Tisch im Roten Rathaus einig darüber gezeigt, dass nach dem Gerichtsurteil kein Mieter seine Wohnungen verlieren soll. Neben dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD), Stadtentwicklungssenator Sebastian Scheel (Linke) und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) hatte auch der Geschäftsführer des Berliner Mietervereins Reiner Wild an dem Treffen teilgenommen. Wild äußerte sich einen Tag später zurückhaltend: „Es ist gut, dass mittlerweile Vermieterverbände in Berlin die Auffassung vertreten, kein Mieter dürfe seine Wohnung infolge des Mietendeckel-Urteils verlieren“, sagte er. „Allerdings gibt es keine Gewähr, dass diesen Appellen auch alle Vermieter folgen.“
Das Bundesverfassungsgericht habe „sehenden Auges für Mieter eine schwierige Situation geschaffen“, so Wild. „Erst wurden alle Vermieter-Eilanträge gegen den Deckel zurückgewiesen und dann wird ein seit mehr als einem Jahr geltendes Gesetz rückwirkend gekippt.“ Die jetzt geforderten Nachzahlungen entstünden, „obwohl Mieter sich gutgläubig an geltendes Recht gehalten haben“, sagte Wild. „Insofern würden wir es begrüßen, wenn noch mehr Vermieter auf Nachforderungen verzichten würden.“
Forderung nach einem Mietschuldenerlass
Auf Nachforderungen verzichten zum Beispiel die sechs landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften, die 336.000 Wohnungen besitzen, sowie die landeseigene Berlinovo, die die Immobilien aus den früheren Skandalfonds der Bankgesellschaft verwaltet – dazu gehören rund 15.000 Wohnungen sowie rund 6500 Apartments in Berlin. Die börsennotierte Vonovia sowie das schwedische Unternehmen Heimstaden wollen ebenfalls keine Nachforderungen stellen. Die Deutsche Wohnen, mit rund 110.000 Wohnungen größter privater Vermieter in Berlin, verzichtet dagegen nicht grundsätzlich auf Nachzahlungen, macht diese aber davon abhängig, ob die Mieter finanziell dazu in der Lage sind. „Keine Mieterin und kein Mieter der Deutsche Wohnen wird durch die Entscheidung die Wohnung verlieren, wir werden mit dem größten sozialen Verantwortungsbewusstsein vorgehen“, teilte das Unternehmen schon kurz nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mit. Für die Begleichung des Restbetrags der fälligen Miete biete die Deutsche Wohnen unterschiedliche Möglichkeiten an: von Einmal- über Ratenzahlungen bis hin zu Stundungen. Bei sozialen Härtefällen werde das Unternehmen gemeinsam mit den Mietern „individuelle Lösungen finden“.
Nicht alle Mieter des Unternehmens sind damit zufrieden. So kündigte die Initiative „Deutsche Wohnen und Co. enteignen“ an, am Mittwochabend vor der Zentrale der Deutsche Wohnen in Wilmersdorf zusammen mit Mietern des Unternehmens für einen Mietschuldenerlass zu demonstrieren.