
In der Volkskammer scheint die Zeit wie stehen geblieben zu sein. In dem Restaurant in Berlin-Friedrichshain ist die Einrichtung aus der DDR, Essen und Getränke inspiriert von der DDR und die Mitarbeiter stammen alle aus der DDR. Also fast. Denn seit drei Monaten steht Paraspreet Singh (19) in der Küche. Wie das so klappt? Wir haben nachgefragt!
An einem verregneten Donnerstagmittag ist das Restaurant gut gefüllt, die Gäste sitzen auf den über 40 Jahre alten Stühlen und essen vom Geschirr, das zu DDR-Zeiten modern war. Aus den Lautsprechern dudelt leise Schlagermusik, bestellt werden passend zum herbstlichen Wetter Rinderroulade und Kesselgulasch. Die Gerichte stehen im Restaurant Volkskammer ebenso auf der Karte wie Schopska-Salat und Kalter Hund. Auf den Teller kommt, was Mutti schon vor 40 Jahren kochte.
Paraspreet Singh kocht gern Bauernfrühstück und Broiler
Vor zehn Jahren übernahm Aurick Marschall (56) zusammen mit seiner Frau Djana (43) das Restaurant. Im November steigt die große Jubiläumsfete inklusive Helga Hahnemann double. Marschall hat schon in dem Betrieb als Koch gearbeitet und das Restaurant von seinem Vorgänger übernommen. „Die letzten zehn Jahre waren harte Arbeit, besonders die Corona-Pandemie hat uns zugesetzt, heute gutes Personal zu finden, dass auch gern arbeitet, ist so gut wie unmöglich“, so Marschall.
Bis vor kurzem waren nur Menschen aus der DDR in seinem Restaurant angestellt, inzwischen hat Aurick Marschall mit Paraspreet Singh einen Mann aus Indien am Herd stehen: „Auf ihn kann ich mich total verlassen.“ Er frage zwar bei Vorstellungsgesprächen, ob man die DDR-Küche kennt, aber ein Einstellungskriterium sei es nicht.
Paraspreet Singh lebt erst seit vier Monaten in Berlin, er ist für sein Bachelor-Studium hier. In der Volkskammer bereitet er seit drei Monaten Gerichte zu, die ihm aus seiner Heimat fremd sind. „Ich habe zu Hause immer mit meiner Mama und meiner Oma gekocht, aber mit ganz anderen Zutaten als hier“, berichtet der Student. Inzwischen weiß er die Schweineleber für das Gericht Berliner Luft fachmännisch zu braten und bereitet den Bestseller Schweinesteak au four selbstbewusst zu. Seine persönlichen Favoriten: „Ich liebe Bauernfrühstück und Broiler.“

Berlinern und Touris schlemmen in der Volkskammer
Nicht nur in der Küche geht es in der Volkskammer international zu, auch die Gäste reisen zum Teil von weit her an, um ein bisschen DDR-Flair in Berlin zu erleben. „Jung und Alt wollen bei uns essen, viele Chinesen kommen zum Beispiel vor allem für unser Eisbein“, erzählt Marschall sichtlich stolz.
Doch auch bei den Berlinern kommt das Konzept an. Zum Mittagessen hat es sich Viola A. aus Treptow-Köpenick an einem Fensterplatz gemütlich gemacht. „Hier schmeckt es einfach wie früher, besonders an verregneten Tagen wie diesen schmeckt es besonders gut“, verrät sie uns. Ihr Tipp: „Ein sanfter Engel mit Rotkäppchen Sekt macht jeden noch so grauen Tag etwas besser.“

Drei Tablets neben dem roten Schnurtelefon
Aurick Marschall und sein Team sorgen mit ihrem Restaurant für echte Ostalgie, die Zeit zurückdrehen wollen sie aber nicht. „Früher war nicht alles besser, aber heute ist es auch nicht leicht“, lautet Marschalls ernüchterndes Fazit nach zehn Jahren. Und so blickt das Portrait von Erich Honecker auf die drei Tablets, die auf dem Tresen aufgereiht sind. „Mindestens eins der Dinger spinnt immer“, lacht der 56-Jährige.