Schlimmer Verdacht

Panne im Vermisstenfall Rebecca Reusch? Polizist erhebt schwere Vorwürfe

Seit 2019 ist die Neuköllner Schülerin verschwunden. Der Fall beschäftigt noch immer die Polizei. Doch nun hegt ein Kollege den Verdacht, dass bei der Auswertung von Handy-Daten etwas schieflief. 

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Rebecca Reusch: Seit fünf Jahren ist die Schülerin aus Neukölln spurlos verschwunden.
Rebecca Reusch: Seit fünf Jahren ist die Schülerin aus Neukölln spurlos verschwunden.Polizei Berlin

Vor über fünf Jahren verschwand Rebecca Reusch. Bis heute ist unklar, was mit der damals 15 Jahre alten Schülerin aus Berlin-Neukölln geschehen ist. Den Vermisstenfall hat die Berliner Polizei noch längst nicht zu den Akten gelegt, die mittlerweile davon ausgeht, dass das Mädchen nicht mehr lebt. Und gerade diesen Ermittlern macht nun ein Polizist schwere Vorwürfe. Er unterstellt seinen Kollegen eine schwere Panne bei ihrer Ermittlungsarbeit.

Der 18. Februar 2019 ist der Tag, an dem Rebecca Reusch spurlos verschwindet. Ihre Spur verliert sich am Mauerweg im Neuköllner Ortsteil Britz. Dort hatte sie im Haus ihres Schwagers Florian R. übernachtet. Der damals 27-Jährige war bei einer Feier gewesen und erst am frühen Morgen zurückgekommen. Seine Frau, Rebeccas Schwester, war hingegen sehr früh zur Arbeit gegangen. Florian R. erklärte, Rebecca sei zur Schule gegangen. Doch da kam sie nie an.

Nach umfangreicher, aber erfolgloser Suche in Berlin und Brandenburg und nach vielen Vernehmungen steht heute für die Staatsanwaltschaft fest, dass Rebecca das Haus ihres Schwagers „nie lebend verlassen hat“. Florian R. steht unter dringendem Tatverdacht, wurde zweimal festgenommen und wieder freigelassen. Es gilt die Unschuldsvermutung. Denn es fehlen eine Leiche und handfeste Beweise gegen den Mann.

Wurde Daten-Anfrage an Google zu spät gestellt? Ein Polizist vermutet es

Wichtige Hinweise hätten schnell die Handy-Daten von Rebecca und von Florian R. liefern können. Doch bei der Auswertung sei offenbar nicht alles reibungslos verlaufen. Die Anfrage der Ermittler nach den Daten bei Google, die etwa Auskunft  über den Standort der Schülerin oder über Google-Suchanfragen und aufgerufenen Google-Seiten des Hauptverdächtigen hätten geben können, seien nach seiner Meinung zu spät erfolgt, sagt jetzt der Berliner Polizist Dirk B. (Name geändert) den Medien-Portalen der Ippen-Media-Gruppe.

Noch Wochen nach dem Verschwinden von Rebecca Reusch suchte die Polizei die Wälder in Berlin und Brandenburg ab – ohne Erfolg.
Noch Wochen nach dem Verschwinden von Rebecca Reusch suchte die Polizei die Wälder in Berlin und Brandenburg ab – ohne Erfolg.Olaf Wagner/imago

B., der anonym bleiben will, ist nicht mit dem Fall betraut, arbeitet an einem anderen Standort im Berliner Polizeidienst. Weil er aber auch mit schweren Kriminalfällen zu tun hätte, habe er sich auch für die Geschichte um Rebecca interessiert. Und da wurde er an einer Stelle stutzig.

Erst vier Jahre nach Rebeccas Verschwinden lagen die Handy-Daten vor

Bekannt ist, dass die Ermittler erst zwei Jahre nach Rebeccas Verschwinden die angefragten Handydaten von Google erhielten. Mittels eines USB-Sticks wurden diese verschlüsselt geliefert. Die aufwendige Decodierung dauerte noch einmal zwei Jahre. Erst 2023 lagen die Daten vor.

„Das sind alles erschreckende Zeiträume. Ich frage mich, was die Kollegen da gemacht haben. Gerade in einem solchen Fall, wo ein Mädchen das Haus nicht lebend verlassen hat. Solche Daten müssten schnellst möglichst gesichtet werden. Das ist sehr irritierend“, sagt Polizist Dirk B.

Kriminaltechniker suchen Spuren am und im Haus des Schwagers. Die Staatsanwaltschaft geht heute davon aus, dass Rebecca Reusch das Anwesen nicht lebend verlassen hat. 
Kriminaltechniker suchen Spuren am und im Haus des Schwagers. Die Staatsanwaltschaft geht heute davon aus, dass Rebecca Reusch das Anwesen nicht lebend verlassen hat. Eric Richard

Warum die Lieferung und Auswertung der Handy-Daten so lange dauerten, dazu hat Dirk B. eine eigene Version. Nachdem Rebecca im Februar 2019 verschwunden war, habe er sich fast zwei Jahre später darüber gewundert, dass noch nichts über die Auswertung der Daten aus dem Handy von Florian R. bekannt geworden sei. Das habe ihn im Frühjahr 2021 skeptisch werden lassen, berichtet B.

Er habe damals die für den Fall zuständigen Kollegen befragt. „Die Ermittler sagten so salopp, dass sie nichts auslesen konnten, das hat mich stutzig gemacht“, sagt Dirk B. 

B. hakt weiter bei den Ermittlern nach. Und diese sollen ihm in Mails konkret geantwortet haben, man habe längst alles in die Wege geleitet und ausgeschöpft, die Daten von Google seien jedoch noch nicht eingetroffen.

Doch dann tut sich plötzlich was. „Genau einen Monat später steht öffentlich in der Presse, dass sie die Daten haben“, sagt B. Der zeitliche Zusammenhang lässt bei ihm einen Verdacht aufkeimen: Erst seine Nachfragen könnten bei den Ermittlern den Anstoß geliefert haben, bei Google nach den so wichtigen Standort-Daten und der Entschlüsselung der Google-Konten nachzufragen.

Mit diesen Fotos suchte die Familie noch Monate nach dem Verschwinden von Rebecca Reusch.
Mit diesen Fotos suchte die Familie noch Monate nach dem Verschwinden von Rebecca Reusch.Eric Richard

Gab erst ein Polizist Anstoß zur Daten-Anfrage?

„Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie die Daten wirklich direkt nach dem Verschwinden (von Rebecca, d.A.) angefordert haben”, sagt Dirk B. Nach seiner Meinung sei Google da viel schneller. „Bei einem solchen Delikt brauchen sie maximal zwei bis vier Wochen“, behauptet der Polizist. Nach seinen Erfahrungen bekäme man in dringenden Fällen sogar nach Stunden die Daten.

Wie brisant die Daten sind, zeigte sich vor einem Jahr. 2023 wurde bekannt, dass Rebeccas Schwager am Morgen ihres Verschwindens nach Strangulationspraktiken gegoogelt haben soll. Im April gab es eine Hausdurchsuchung – offenbar ohne Erfolg.

Zu den Vorwürfen des Polizisten kommt in dem Ippen-Media-Bericht auch der ehemalige Mordermittler und Fallanalytiker Axel Petermann zu Wort. „Die Ergebnisse über die Suchverläufe des Schwagers im Internet kamen erst vier Jahre später, und das bei solch relevanten Ermittlungen. Und dann kommt heraus, dass sich der Schwager für Atemkontrolle beim Sex interessiert hat“, sagt er.

Staatsanwaltschaft: Dauer von Daten-Anfragen sind von Fall zu Fall verschieden

Diese Erkenntnisse aus den Google-Daten seien enorm wichtig. Schließlich könnten sie Hinweise auf sexuelle Präferenzen des Schwagers geben und gleichzeitig die Frage aufwerfen, „ob er versuchte, mit Rebecca intim zu werden und auch seine Sexualfantasien zu realisieren“, wird  Petermann in dem Ippen-Media-Bericht zitiert. Und weiter: „Vier Jahre später dürften Spuren, die diesen Verdacht bestätigen könnten, leider nicht mehr vorhanden sein.“

Laut Bericht wollte Google sich aufgrund der laufenden Ermittlungen nicht zu den Behauptungen von Dirk B. äußern. Die Berliner Staatsanwaltschaft hätte recht bedeckt auf die Vorwürfe des Polizisten reagiert.

Die Behörde erklärt, dass die Dauer der Antworten von Google von Fall zu Fall unterschiedlich seien. Ein Mitarbeiter aus dem Berliner Ermittlungsumfeld sagt in dem Bericht: „Das kann in den meisten Fällen viel länger dauern. Manchmal bekommt man gar keine Antwort auf eine Anfrage. Aber der Fall Rebecca ist bearbeitet worden, das sucht wirklich seinesgleichen, das kann ich garantieren.“ ■