Angst in S-Bahn, auf Straßen

Mekka für Pöbler und Psychos: Was tun gegen Aggro-Alltag in Berlin?

Immer mehr Menschen nehmen steigende Aggression im Alltag wahr. Berlin scheint der Hotspot der Aggressiven zu sein. KURIER-Autorinnen berichten von ihren Erlebnissen.

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Ein Autofahrer zeigt einem anderen Verkehrsteilnehmer seinen Mittelfinger. Nicht selten wird auch verbal gepöbelt.
Ein Autofahrer zeigt einem anderen Verkehrsteilnehmer seinen Mittelfinger. Nicht selten wird auch verbal gepöbelt.Imago / Thomas Trutschel

Eine neue Forsa-Umfrage für die DAK-Gesundheit bildet in Zahlen ab, was man als Berliner beinahe täglich am eigenen Leib erfährt. Aggression, blanke Nerven und durchbrennende Sicherungen wo man hinschaut. 61 Prozent der Befragten empfinden das soziale Miteinander im Land als schlecht. Das zeigt die Umfrage. Damit setzt sich ein Trend der vergangenen Jahre fort.

Knapp 30 Prozent der Befragten hat das Gefühl, dass der Zusammenhalt in der Gesellschaft in den vergangenen drei Jahren deutlich schlechter wurde. Rund 77 Prozent nehmen eine Zunahme von Beleidigungen und Aggressivität im Alltag wahr.

Rüpeleien und Hupkonzert auf Berliner Straßen

Erst heute auf dem Weg zur Arbeit spielte sich vor meiner Nase eine Szene ab, die so oder ähnlich an vielen Stellen Berlins andauernd passiert. Eine Radfahrerin bremst an einer Engstelle, eine Baustelle auf der Fahrbahn schränkt den Platz für alle ein. Die junge Frau fürchtet, in die Straßenbahnschiene zu geraten, doch das ficht den hinter ihr fahrenden Kleinwagenlenker nicht an. Er hupt, schreit aus dem Fenster, gestikuliert, weil er wenige Sekunden seiner kostbaren Zeit verliert.

Auch bei der Radfahrerin steigt der Puls, sie tritt energischer in die Pedale, ihr Morgen ist gelaufen. Eine andere Lastenrad-Mutti kachelt am Jahnsportpark durch den schmalen Durchgang im Zaun, Schulkinder müssen beiseite springen, wollen sie ihr nicht unter die Räder kommen.

Berlin: Die Angst in der S-Bahn

Und auch in der Bahn läuft es längst nicht mehr rund, wie die Erfahrungen einer Kollegin beweisen: „Seit 62 Jahren, als Kind und als erwachsene Frau, bin ich regelmäßig in den öffentlichen Verkehrsmitteln Berlins unterwegs“, schreibt sie. Mit U- und S-Bahn, Bussen, erst nur im Westen, seit über 35 Jahren auch im Osten. Alles sei immer ruhig gewesen, auch Bettler waren freundlich.

Aber seit etwa zwei Jahren sei es normal geworden, dass Männer ausrasten: „In der U3 gegen 18 Uhr schrie ein mittelalter Mann die neben mir sitzende junge Frau an. Ich versuchte ihn freundlich zu beruhigen, er schleuderte ein sexistisches Schimpfwort auf mich und spuckte mir ins Gesicht. Ich flüchtete.

Er spuckte mir ins Gesicht. Ich flüchtete.

Susanne Dübber

Zwischen S-Bahnhof Friedrichstraße und Hackescher Markt setzte sich morgens gegen 8 Uhr ein junger Mann lachend neben eine junge Frau, berührte dabei mit seinem Körper den ihren, fuchtelte mit seinen Händen vor ihrem Gesicht, raunte aufgeregt in ihr Ohr. Sie drückte sich panisch in die Ecke. Zwei männliche Mitreisende baten mit Sicherheitsabstand, er solle aussteigen. Der Belästiger folgte nach etwa zwei Minuten, die junge Frau weinte.

Morgens gegen 8 Uhr in der S1 während sieben Stationen ab Rathaus Steglitz und Potsdamer Platz rannte ein Mann den Waggon hoch und runter, immer wieder und schrie er gellend: „Gebt mir Geld, damit ich mir Essen kaufen kann, ich habe nichts, keine Wohnung, keine Arbeit“. Dabei stoppte er vor einzelnen Fahrgästen und schrie ihnen direkt ins Gesicht. Niemand traute sich, ihn anzuschauen. Am Potsdamer Platz stieg er aus, alle waren erleichtert und tauschten sich darüber aus, welch große Angst sie gehabt hatten.

In einer Großstadt wie Berlin prallen Welten aufeinander: Armut, Drogensucht und psychische Probleme kumulieren hier in diesem Schmelzbecken. Es herrscht Druck im Kessel, der an den stets verfügbaren Nächsten weiter gegeben wird. In der Anonymität der Massen sind wir alle Projektionsflächen für irgendwen, für Nöte und Frust aller Art. Neben dem Panzer, den man sich so zwangsläufig zulegt, führe ich aber auch ein Arsenal an Freundlichkeit mit mir. Ich streue sie, wo es nur geht, in der Hoffnung, dass auch Lächeln einen Dominoeffekt auslöst. Nicht nur Aggressivität und Gleichgültigkeit.

Wie geht es Ihnen in der Stadt? Sind Ihnen auch schon Aggressionen begegnet? Wie gehen Sie mit solchen Situationen um? Schreiben Sie uns an leser-bk@berlinerverlag.com