In Marzahn brodelt es. Zwischen grauen Platten, einstigem DDR-Stolz und neuen Investoreninteressen tobt ein erbitterter Kampf um das, was vielen längst ans Herz gewachsen ist: den Helene-Weigel-Platz. Für manche ist er ein Relikt. Für andere das lebendige Zentrum einer Geschichte, die noch nicht zu Ende erzählt wurde.
Marika Wagner kennt den Platz wie ihre Westentasche, schreibt die Berliner Zeitung in einer kleinen hübschen Geschichte über sie. Seit Jahrzehnten wohnt sie hier – mittendrin, im 15. Stock eines der imposanten Türme, die 1985 in den Himmel gezogen wurden. Für sie ist der „Heli“ mehr als ein Verkehrsknoten, mehr als eine Betonfläche. Er ist ein Denkmal.
Und einer hat ihn mitgeprägt wie kein anderer: Architekt Wolf R. Eisentraut, Schüler von Henselmann, Schöpfer des Palasts der Republik, Mitentwickler der legendären „WBS 70“-Platte – und eben auch dieses Platzes. Er nannte ihn einst das Tor nach Marzahn. Ein Tor, das jetzt zugeschüttet werden soll.
Vier neue Wohntürme sind geplant – zwei vor dem Rathaus, zwei auf dem Gelände der alten Sojus-Kinoruine. Luxuswohnungen statt Geschichte. Verdichtung statt Verstand. Für Wagner und viele Anwohner eine Schande. Sie befürchten das Ende eines Platzes, der einst als Vorzeigeprojekt der DDR galt, als städtebauliches Versprechen für ein besseres Zusammenleben. Heute wirkt das alles bedroht.
Warum soll ausgerechnet Marzahn den Preis für die Wohnungsmisere zahlen?
Rund um das Rathaus, dessen verzweigte Säulen einst wie stilisierte Ähren gestaltet wurden, herrscht noch immer ein Hauch von Vision. Ein Brunnen plätschert, Bronzeplastiken erinnern an alte Ideale, beschreibt die Berliner Zeitung die liebliche Szenerie. Und die drei Hochhäuser, die den Platz umrahmen, gelten als wahre Raritäten ihrer Art – architektonisch edler als viele andere Plattenbauten, ein Stück Zeitgeschichte.
Aber wo früher das Kino Sojus als Kulturort diente, gähnt nun eine Ruine. Und wo früher Leben pulsierte – in Kaufhalle, Kaufhaus, Dienstleistungswürfel – reihen sich heute Filialen mit Billigmode und ein Rewe aneinander. Die große Idee ist klein geworden.

Doch die Anwohner geben nicht auf. Wagner, mittlerweile das Gesicht des Widerstands, hat sich mit Gleichgesinnten zusammengeschlossen. Gemeinsam mit Markus Berg, einem Bankkaufmann aus der Nachbarschaft, stemmt sie sich gegen die Pläne der Investoren.
Über 100 Menschen sind Teil der Bürgerinitiative. Sie haben protestiert, demonstriert, Infostände organisiert, Unterschriften gesammelt – 2000 an der Zahl. Ihr Ziel: keine weiteren Türme, kein Schatten über dem Platz, keine Zerschlagung der alten Sichtachsen, die Eisentraut einst so bewusst angelegt hatte.
Marzahn will nicht in Beton ersticken
Berlin braucht Wohnraum – das steht außer Frage. Aber warum soll ausgerechnet Marzahn dafür den Preis zahlen? Wo bleibt die Rücksicht auf gewachsene Strukturen, auf Infrastruktur, auf Verkehrsbelastung? Schon jetzt sind die Bahnen überfüllt. Ärzte fehlen, Schulplätze sind Mangelware, und selbst das Caféangebot beschränkt sich auf drei Tische im Supermarkt. Was hier entsteht, ist keine lebendige Nachbarschaft, sondern bloße Verdichtung.

Die Politik dazu bleibt schwammig und widersprüchlich. CDU-Politiker Christian Gräff, der das Projekt einst lobte, präsentiert sich nun als Gegner – zumindest teilweise, so die Berliner Zeitung. Ein Flugblatt flattert in die Briefkästen und sorgt für Empörung. Angeblich sei die Bürgerinitiative plötzlich für Bebauung – eine Behauptung, die Wagner als glatte Lüge empfindet. Die Fronten sind unklar, das Vertrauen in die Entscheidungsträger deutlich geschrumpft.
Trotzdem gibt es noch Hoffnung. Ende Mai sollen die Initiativen im Bezirksparlament Gehör finden. Vielleicht nur eine Viertelstunde – aber schon das hat Gewicht. Denn was in Marzahn gerade passiert, ist mehr als ein Streit um vier Hochhäuser. Es ist ein Kampf um Identität. Um Respekt. Und um die Frage, ob Stadtentwicklung mit oder gegen die Menschen gemacht wird, die dort leben.
Marzahn will nicht in Beton ersticken. Es will atmen. Und am „Heli“, dem einstigen Tor der Moderne, geht es um nichts Geringeres als um die Seele eines ganzen Bezirks. Klingt kitschig? Ist es vielleicht auch – aber nur für Außenstehende.
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