Das frühere Sport- und Erholungszentrum (SEZ) im Berliner Stadtteil Friedrichshain soll abgerissen werden. Laut aktuellem Bebauungsplan sollen auf dem Gelände des einstigen DDR-Prestigebaus rund 500 Wohnungen und eine neue Schule gebaut werden. Aber die Proteste gegen den Abriss gehen weiter – viele Berliner wünschen sich, dass das SEZ bleibt. Den KURIER erreichte nach einer Umfrage über die Zukunft des SEZ nun auch eine ostalgische Mail: Michael Schuster war Sektorenleiter des SEZ. Er meint, das SEZ sei ein Stück Lebensgeschichte vieler Berliner. „Ich verspüre Wut und Bedauern“, sagt er.
Wir machen eine Zeitreise in die späten 80er-Jahre, die Zeit der DDR und der Mauer. Michael Schuster ist 29 Jahre alt und fährt mit seinem Trabi die 20 Minuten vom damals nigelnagelneuen Neubaugebiet in Marzahn zum Sport- und Erholungszentrum SEZ. Er hat dort gerade den Job als Sektorenleiter bekommen und arbeitet hinter den Kulissen der Veranstaltungen. Schuster ist das erste Mal in seinem Leben Chef.
Er und seine Angestellten übernehmen die Verantwortung für die Ausstattung von Veranstaltungen im SEZ. Von Dekorationen über den Bühnenbau bis hin zur technischen Umsetzung kümmert er sich darum, dass alles reibungslos abläuft. „Es war eine aufregende und prägende Zeit für mich“, erzählt er. In den Jahren vor der Wende war das SEZ ein beliebter Treffpunkt für Menschen aus der gesamten ehemaligen DDR. Er erzählt, dass Menschen von weit her angereist kamen, mit Bussen. „Es gab Rollschuhbahnen im Sommer und Eisbahnen im Winter, Diskotheken und Bowlingbahnen. Das SEZ war ein Ort der Begegnung und des Spaßes für alle“, erinnert sich Schuster. „Das Leben im SEZ war unbeschwert, die Leute kamen hin und hatten Spaß – und ich war mittendrin.“
Mauerfall: „Der Tontechniker sah die Nachrichten auf’m Minifernseher“
Der absolute Renner war „SEZ komplett“ – hier seien die Karten immer schon lange vorher ausverkauft gewesen. Dabei wurden jeweils einmal im Quartal an drei Tagen – Freitag, Samstag und Sonntag – alle Räume, alle Flächen, bis hin zum Schwimmbad, in eine Oase des Feierns, der Musik, der Kultur und der Begegnung verwandelt. Alle Bereiche wurden themenabhängig dekoriert, geschmückt, Bühnen wurden aufgebaut, zusätzliche Beleuchtung installiert und Tausende von Luftballons wurden aufgeblasen, erzählt Schuster.
„Ein grandioses Bild, das innerhalb von nur drei Tagen von Dienstag bis Freitagabend entstand.“ Es gab die „Funzel-Abende“ mit Autoren des Eulenspiegelverlages, an denen Inka Bause die Gäste mit Gesang unterhielt. Und es gab die schon lange im Voraus ausgebuchten Veranstaltungen. Etwa mit „Mit Schwertern und Stäbchen“, ein Abend mit japanischer Küche und Karate-Darbietungen, und „Geschichten aus der Sowjetunion“, ebenfalls mit entsprechendem Essen. „Geschichten aus der Sowjetunion“ lief übrigens das letzte Mal am 9. November 1989.
Auch an diesen Abend kann sich Schuster noch erinnern. „Während man sich im Saal, wie sonst auch, sehr um die Gäste bemühte und keiner der Anwesenden von den bevorstehenden Veränderungen etwas ahnte, hockte der Tontechniker vom Dienst vor seinem mitgebrachten Minifernseher aus Westproduktion“, erzählt Schuster. Da sah er, was außerhalb des SEZ gerade in Berlin passierte. „Er überraschte die Mitarbeiter im Laufe des Abends mit der Nachricht, dass die Menschen über die Bornholmer Brücke über die geöffnete Grenze nach Westen strömten. Nie ist jemals nach Veranstaltungsschluss so schnell abgebaut worden wie an diesem Abend, um 23 Uhr!“
SEZ-Mitarbeiter ist sicher: „Berliner mit Herz und Seele wissen, was das SEZ bedeutet“
„Im SEZ stecken Geschichten drin, diese Geschichten gibt es noch, wenn man Berliner ist, mit Herz und Seele“, sagt Schuster. Für ihn brachte die Wende Freiheit und völlig neue Möglichkeiten: „Ich konnte meine Träume verwirklichen.“ Er und das geliebte SEZ gingen unterschiedliche Wege. Die Mauer fiel am 9. November – „es dauerte vielleicht ein halbes Jahr, bis ich meinen Arbeitsplatz beim SEZ verließ“. Schuster erzählt, dass das SEZ ein Ankerpunkt war, aber nach dem Mauerfall wollten die Leute sich ausprobieren und gaben Geld für Reisen und Konsum aus, nicht für Sport und Kultur. Was die Wende mit dem SEZ machte, ist kein Geheimnis: „Ich sah den Verfall aus der Ferne, es schmerzte damals und es schmerzt jetzt.“