Neue Broschüre

Die Tricks der deutschen Bürokratie: So wird die rechtsextremistische Szene bekämpft

In Berlin, Brandenburg und dem gesamten Osten gibt es immer mehr rechtsextreme Szeneimmobilien. Weit mehr als die Hälfte gibt es inzwischen in Ostdeutschland.

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Das Deutsche Haus in Burg im Spreewald ist derzeit geschlossen. Im März durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft die Immobilie, die ein Treffpunkt der rechten Szene gewesen sein soll.
Das Deutsche Haus in Burg im Spreewald ist derzeit geschlossen. Im März durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft die Immobilie, die ein Treffpunkt der rechten Szene gewesen sein soll.Reto Klar/imago

Deutschlands Rechtsextreme haben sich den Osten als Aufmarschgebiet ausgesucht. Hier gibt es überdurchschnittlich viele von Rechtsextremisten genutzte Immobilien. 61 Prozent der bundesweit 210 rechten Szeneobjekte befanden sich im Jahr 2022 in Berlin, Brandenburg, Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern, wie aus der am Montag von der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und den Innenministerien dieser Länder veröffentlichten Broschüre „Rechtsextremistisch genutzte Immobilien in Ostdeutschland“ hervorgeht.

Die Verfassungsschutzämter zählten in Ostdeutschland 2022 demnach 210 solcher Szeneimmobilien. Seit Jahren steigt deren Zahl – seit 2017 um 54 Prozent. Allein in Sachsen-Anhalt vervierfachte sich die Zahl der rechtsextremistisch genutzten Objekte in diesem Zeitraum auf 33. In Sachsen gab es 2022 insgesamt 28 solcher Szeneimmobilien, in Thüringen 23, in Mecklenburg-Vorpommern 15. In Brandenburg verdoppelte sich die Anzahl dieser Immobilien (von zehn auf 22), in Berlin stieg die Anzahl von sechs auf acht.

Rebel Records in Cottbus, Erik & Sons in Königs Wusterhausen

Bei etwa jedem zweiten Szeneobjekt handelt es sich demnach um Gewerbeimmobilien wie ehemalige Gaststätten, Hotels oder Firmengelände. Ein knappes Viertel aller Objekte sind Ein- oder Mehrfamilienhäuser beziehungsweise Wohnheime. Bei den übrigen handelt es sich meist um Klub- und Vereinshäuser, Hofanlagen, Garagen, Kleingartenanlagen und Freigelände.

Zu den in der Broschüre aufgeführten Immobilien gehören die Szenebar Sturgis in Berlin-Lichtenberg und die Gaststätte Deutsches Haus in Burg im Spreewald. Auffällig ist, dass trotz des hohen Anteils von (ehemaligen) Gewerbeimmobilien an der Gesamtzahl der rechtsextremistisch genutzten Immobilien in den ostdeutschen Bundesländern nur fünf Prozent dieser Immobilien derzeit für gewerbliche Zwecke genutzt werden.

Die Seelenbinderstraße 42 in Berlin-Köpenick: die Parteizentrale der Partei Die Heimat, früher NPD
Die Seelenbinderstraße 42 in Berlin-Köpenick: die Parteizentrale der Partei Die Heimat, früher NPDJürgen Ritter/imago

Hierzu zählen etwa die Unternehmenssitze von überregional bekannten rechtsextremistischen Musik- und Modelabels, an die meist ein Versandhandel angeschlossen ist – so etwa im Fall der in Brandenburg angesiedelten Musiklabels Rebel Records (Cottbus) und Opos Records (Lindenau) sowie des Modelabels Erik & Sons mit dem Vertriebsunternehmen EAS Versand (Königs Wusterhausen).

Die Szeneobjekte werden demnach von Rechtsextremisten zum Beispiel für Schulungen, Kampfsportveranstaltungen, Parteiversammlungen oder rechte Konzerte, aber auch zur Planung von konspirativen Aktionen genutzt. Zudem könnten sie der Verankerung der Szene in der betreffenden Kommune sowie der Werbung neuer Anhänger dienen. Nicht zuletzt verdient die rechte Szene damit Geld, etwa durch Konzerte, Vorträge oder Kampfsportveranstaltungen, aber auch durch dort betriebene Tattoostudios, Gaststätten, Verlage, Musik- oder Modelabels.

Ein knappes Viertel (23 Prozent) der rechtsextremistisch genutzten Immobilien befindet sich in Großstädten, etwa die Bundesgeschäftsstelle der Partei Die Heimat (vormals NPD) in der Seelenbinderstraße in Berlin-Köpenick. 38 Prozent der Immobilien befinden sich in Städten mit weniger als 5000 Einwohnern, 19 Prozent in Kleinstädten (5000 bis 20.000 Einwohner), 20 Prozent in sogenannten Mittelstädten (weniger als 100.000 Einwohner).

Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) verweist darauf, dass Extremisten oft versuchten, ihre Anliegen zu verschleiern oder „gar in der Rolle als Kümmerer vor Ort oder als scheinbar finanzkräftiger Investor gerade in strukturschwächeren Regionen auftreten“.

Rechtsextreme und Reichsbürger demonstrieren vor dem Brandenburger Tor.
Rechtsextreme und Reichsbürger demonstrieren vor dem Brandenburger Tor.Jean MW/imago

Die unter Federführung Sachsen-Anhalts entstandene Broschüre enthält neben einem Lagebild Handlungsempfehlungen für Kommunen und private Immobilienbesitzer. „Neben den Sicherheitsbehörden kommt dabei auch den Verantwortungsträgern in den Kommunen eine wichtige Schlüsselrolle zu, geeignete Maßnahmen zu nutzen, um den Kauf oder die Anmietung einer Immobilie zu erschweren“, erklärt Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU).

Das sind die Tricks der deutschen Bürokratie gegen Rechtsextreme

Wie das geht? Die Broschüre erklärt ausführlich, wie die Kommunen mit gründlicher deutscher Bürokratie den Rechtsextremen das Leben schwer machen können. Es geht um den Erlass von Alkoholverboten und Lärmschutzmaßnahmen, um Bauauflagen und Brandschutz-Vorschriften. Aber auch um profane Fragen wie: Sind zum Beispiel genügend Stellplätze vorhanden? Stehen Toiletten in ausreichender Zahl zur Verfügung? Liegt ein Bestuhlungs- und Rettungswegeplan vor? Als Beispiel wird in der Broschüre das Haus Montag (Sachsen) aufgeführt. Hier verhindern inzwischen Bauauflagen und Nutzungsvereinbarungen die Durchführung größerer öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen oder Konzerte.

In Grevesmühlen (Mecklenburg-Vorpommern) versucht seit zwei Jahren ein überregional bekannter Neonazi, eine Immobilie wieder loszuwerden. „Infolge der Untersagung von Musikveranstaltungen jeglicher Art für die Zeit zwischen 22 Uhr und 6 Uhr und aufgrund von baulichen Auflagen, die dem Eigentümer von der zuständigen Ordnungsbehörde erteilt worden waren, wurde das ‚Thinghaus‘ für die rechtsextremistische Szene zunehmend unattraktiv“, heißt es in der Broschüre.