Die neue Berlinale-Chefin Tricia Tuttle ist bei Kinobesuchen nah am Wasser gebaut. „Ich liebe es, bei Filmen zu weinen. Ich liebe Kino, das mich zum Nachdenken anregt und mich fühlen lässt“, sagt Tuttle. Zuletzt hat sie das Drama „Totem“ der mexikanischen Regisseurin Lila Avilés zu Tränen gerührt. Großes Kino, große Filme, die die 53-Jährige auch wieder öfter bei der Berlinale sehen will.
In den vergangenen Jahren hatte sich die Berlinale auf das Arthaus-Kino konzentriert. Die großen Filme, die großen Stars wurden anders als früher mehr bei den Filmfestivals in Cannes oder in Venedig gesehen. Tricia Tuttle will bei den Internationalen Filmfestspielen künftig größere Filmtitel auf der Leinwand zeigen. „Wir sprechen nicht über eine umfassende, radikale Änderung des Programms“, sagt die Amerikanerin. „Ich denke, es geht einfach um Weiterentwicklung und Klarheit und vielleicht darum, im Laufe der Zeit einige der größeren Filmtitel für die Berlinale zurückzugewinnen.“
Tricia Tuttle ist kürzlich nach Berlin gezogen und lernt jetzt Deutsch
Sie würde gerne sehen, dass bei dem Festival gezeigte Produktionen mehr Einfluss auf das internationale Filmgeschäft haben, betont Tuttle. Es gehe nicht darum, die Art und Weise der Programmgestaltung zu verändern. Vielmehr wolle sie Verleihern, Programmgestaltern und Kritikern dabei helfen, Filme im Programm zu finden, um sie einem weiteren Publikum im internationalen Markt zuzuführen.
Am liebsten schaue sie Filme im Kino und mit anderen Menschen zusammen, sagt Tuttle. „Ins Kino zu gehen, verändert die Art und Weise, wie man einen Film sieht: Von einem Kino zum nächsten, einen Film mit einem großen Publikum zu sehen, mit einem lachenden Publikum, mit einem deutschen Publikum, mit einem britischen Publikum. Es ist, als wären Filme etwas Lebendiges. Sie sind nicht jedes Mal gleich, wenn man sie sieht“, so die Amerikanerin.
Tuttle tritt die Nachfolge der Doppelspitze aus Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek an. Damit steht erstmals eine Frau allein an der Spitze der Berlinale. Erst kürzlich sei sie nach Berlin gezogen, erzählt sie. Nun lerne sie Deutsch. Es gehe gut voran, aber langsam. Deutsch sei eine schwierige Sprache.

Die 53-Jährige wirkt selbstbewusst. Schließlich kennt sie den Alltag als Festivalchefin gut: In England hat sie das BFI London Film Festival und das Londoner LGBTQIA+ Filmfestival – die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Intersexuelle, Queere und andere – geleitet. Zudem war sie zum Beispiel in leitenden Positionen beim British Film Institute (BFI) oder der British Academy of Film and Television (Bafta) tätig.
Die Berlinale-Chefin schwärmt vom oscarnominierten Drama „Das Lehrerzimmer“
Bis zu ihrer ersten Berlinale hat Tuttle noch etwas Zeit. Die 75. Ausgabe der Filmfestspiele ist vom 13. bis 23. Februar 2025 geplant. Sie hat sich schon einiges vorgenommen. So möchte sie wieder deutlichere Abgrenzungen bei den Berlinale-Reihen schaffen. „Das Programm war großartig.“ Allerdings höre sie von Verleihern, Kritikern oder Besuchern, dass sie es „ein bisschen schwierig finden, sich in den Sektionen zurechtzufinden“. Dort könne mehr Klarheit entstehen. Auch eine mehrstufige Führungsstruktur will Tuttle schaffen. Auf der Internetseite der Berlinale sind momentan einige Stellen ausgeschrieben, auch Spitzenposten.
Ein Augenmerk will sie auf deutsche Filme und Talente legen. Als sie nach Großbritannien ging, habe sie festgestellt, dass viele Briten das dortige Kino etwas heruntergemacht haben. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass dies auch in Deutschland der Fall ist, dabei gibt es hier großartige Filme.“ Das oscarnominierte Drama „Das Lehrerzimmer“ von Ilker Catak etwa habe sie umgehauen. ■