Es soll ein schöner Abschied werden. Mit einem Konzert im Oktober in der Potsdamer Nikolaikirche will der Tenor und Schauspieler Björn Casapietra an die Frau erinnern, die einst die Opern-Primadonna der DDR war – an seine Mutter Celestina Casapietra. Am 10. August starb sie im Alter von 84 Jahren in ihrem Wohnort Sori bei Genua. Es wird kein einfacher Abschied sein. Und es liegt nicht nur daran, dass die Sängerin genau an dem Tag starb, als der Sohn sie in ihrer Altersresidenz in Italien besuchen wollte.
Fast einen Monat später treffen wir Björn Casapietra in seiner Berliner Wohnung. Man merkt, wie schwer ihm es fällt, sich mit dem Tod seiner Mutter zurechtzufinden. Denn ihr Leben und das Zusammenleben mit ihr, so wird ihr Sohn es gleich erzählen wird, war alles andere als nur glanzvoll.
Wer in Ost-Berlin in die Staatsoper Unter den Linden ging, kam an Celestina Casapietra nicht vorbei. Die italienische Sopranistin, die in Mailand debütierte, hatte 1966 wegen ihrer Liebe zum Star-Dirigenten Herbert Kegel ihre Heimat verlassen und ging in die DDR.

Opernstar Celestina Casapietra: Sie verhalf der Staatsoper in Ost-Berlin zu Weltglanz
Sie brillierte in den Werken von Mozart und Strauss. Unvergessen sind ihre Auftritte bis heute, wenn sie etwa im weißen Kleid als Elisabeth in der Wagner-Oper „Tannhäuser“ auf der Bühne ihre grandiosen Arien sang und für Gänsehaut beim Publikum sorgte.

„Sie hatte eine gnadenvolle, schöne Stimme, die die Menschen verzauberte“, sagt Björn Casapietra über seine Mutter, die in der DDR recht schnell zur Kammersängerin ernannt wurde. Die Primadonna gastierte unter anderem an der Mailänder Scala, an der Wiener und Bayerischen Staatsoper, war bei den Salzburger Festspielen und sorgte so ein wenig für Weltglanz in der Lindenoper von Ost-Berlin.
Ein unbeschwertes Leben jenseits der DDR-Grenzen wollte Celestina Casapietra auch für ihr Kind. Daher flog sie hochschwanger nach Italien und brachte 1970 dort ihren Sohn Björn zur Welt. „Das werde ich ihr auch nie vergessen“, sagt der heute 54-Jährige. Trotz aller Dankbarkeit will und muss Björn Casapietra darüber reden, auch welche menschliche Tragödie sich hinter dem glanzvollen Operndiva-Leben seiner Mutter verbarg.
DDR-Opernstar Celestina Casapietra: Das Leben der Primadonna war nicht nur glanzvoll

„Sie war jemand, der nicht einfach Mensch oder Mutter sein konnte“, sagt der Sohn. „Sie funktionierte nur als Künstlerin, als Kunstfigur, als Primadonna. Bis heute ist in mir die Sehnsucht da, mit meiner Mutter ein normales, rationales Gespräch zu führen, dem Menschen Celestina nahe zu sein – und nicht der Operndiva.“
Björn Casapietra erklärt: „Ich erinnere mich, wie sie mich im weißen Mercedes und im weißen Pelzmantel mit großem weißem Pelzhut zur Schule brachte oder mich von dort abholte. Sie verstand nicht, dass ich das nicht wollte, allein wenn man bedenkt, dass ich in Schmöckwitz zur Schule ging, wo die Väter meiner Klassenkameraden gerade mal froh waren, wenn sie einen Trabi oder Wartburg hatten.“

Als Celestina Casapietra 1993 offenbar auf Weisung des damaligen Generalmusikdirektors Daniel Barenboim die Staatsoper verlassen musste, wurde es besonders schlimm. „Plötzlich war sie nicht mehr die Opern-Primadonna, und sie konnte nicht damit umgehen. Sie war krank, nahm Schlafmittel, wollte sich von niemanden helfen lassen, so sehr ich es auch versuchte. Sie funktionierte nur als Kunstfigur, als normaler Mensch konnte sie nicht existieren“, erklärt der Sohn.
Die Irritationen nahmen zu, als die Mutter vor zehn Jahren nach Italien ging. „Sie hatte das Grundstück in Rauchfangswerder über einen windigen Kerl verkauft, der sie über den Tisch gezogen hatte und den sie als Sohnersatz mit nach Sori nahm. Ich hatte sie und all ihre Freunde so vor diesem Menschen gewarnt. Aber sie wollte nicht hören. Gott sei Dank, war sie immer schon ein misstrauischer Mensch und merkte bald, dass sie ausgenutzt wurde und warf den Typen heraus. Da hatte dieser sie dank Bankvollmacht schon um Zehntausende von Euro gebracht“, sagt Björn Casapietra.
Fort nach Italien: „Dort konnte meine Mutter wieder die berühmte Operndiva sein“
Den Wegzug der Mutter nach Italien kann der Sohn bis heute nicht verstehen. „Ich bettelte sie regelrecht darum an, zu bleiben“, sagt er. Sie hatte in Berlin doch ihre Familie, sollte doch miterleben, wie meine Tochter, ihre Enkelin Stella, aufwuchs. Doch das wollte sie nicht. Auch nicht, als ich schwere Zeiten durchmachte, als ich mich von meiner Frau scheiden ließ und ich um meine Tochter kämpfen musste.“
Celestina Casapietra wollte nur noch weg, offenbar vor sich selbst flüchten. „Denn in Italien, in diesem kleinen Dorf, konnte sie wieder die berühmte Operndiva sein“, sagt ihr Sohn. „Eine berühmte Persönlichkeit ist in das Dorf gezogen, dort war sie wieder jemand“.

Doch auch dieses Glück hörte bald auf. Ihre Schlafmittel-Abhängigkeit bekam Celestina Casapietra auch in Italien nicht in den Griff.
„Sie wollte sich partout von mir nicht helfen lassen, dabei wäre ich im Alter so gerne für sie da gewesen. Nachdem wir jahrelang keinen Kontakt hatten, bekam ich dann Anrufe von einer Frau, die meiner Mutter bis zum Schluss half, so gut wie es ging. Oder vom Apotheker aus dem Ort, der ihren Schlafmittelkonsum drosselte. Ohne ihn wäre meine Mutter wohl schon eher gestorben.“
Ein letzter, schöner Anruf der Mutter: „Es war ihre Art, Lebewohl zu sagen“
Die einstige Opern-Primadonna der DDR: Am Ende ihres Lebens lebte Celestina Casapietra zurückgezogen in einer Altersresidenz in Sori. Sie war stets auf ihrem Zimmer, hörte klassische Musik. Mit den anderen Bewohnern ließ sie sich nicht ein, berichtet ihr Sohn. Niemand sollte sie so sehen, jetzt, wo sie keine Operndiva mehr war.
Und doch gab es einen letzten schönen Moment. „Vor der Fahrt im August zu ihr nach Italien, rief sie bei mir an. Es war das erste harmonische und schöne Mutter-Sohn-Gespräch, das wir nach sehr, sehr langer Zeit führten. Ich freute mich danach auf das Wiedersehen. Was mir nicht klar war, dass dieser Anruf ihre Art war, Lebewohl zu sagen.“
Als Björn Casapietra auf dem Weg nach Italien war, erhielt er an der österreichischen Grenze den Anruf, dass die Mutter gerade verstorben war. „Ich kam wenige Stunden zu spät. Wir haben sie in Sori beerdigt. Nur drei Leute aus dem Ort waren dabei. In Berlin wären es Hundert gewesen.“

Den Grund in der Lebenstragödie seiner Mutter vermutet Björn Casapietra in ihrer Kindheit und Jugend. „Sie wuchs als eines von sechs Geschwistern auf, ihr Vater war früh verstorben, den sie sehr verehrt hatte und der ihr Gesangstalent erkannte.“
Björn Casapietra berichtet, wie schwer es seine Mutter als Kind hatte. „Sie litt darunter, dass man sie in der Schule hänselte, weil sie wegen eines Augenfehlers eine starke Brille tragen musste. Aber dennoch, aus dem ‚hässlichen Entlein‘ ist ein wunderschöner Schwan geworden.“
Björn Casapietra: „Meine Mutter war eine atemberaubende Sängerin, so will ich sie in Erinnerung behalten“
Auch ihre älteren vier Brüder setzten dem Mädchen zu. „Meine Mutter erzählte mir, wie sie sich das erste Mal geschminkt hatte und ihre Brüder ankamen, um ihr die Schminke mit den Händen aus dem Gesicht zu wischen. Als sie den Gedanken äußerte, Sängerin zu werden, sagten sie ihr: Nur Huren würde vor anderen Männern auf einer Bühne singen. Toxische Männlichkeit nennt man das wohl heute. Aber dennoch hat sie sich durchgesetzt und ist eine erfolgreiche Opernsängerin geworden.“

Am Ende des Gesprächs sagt Björn Casapietra: „Meine Mutter war ein guter Mensch. Sie war eine atemberaubende Sängerin und so will ich sie in Erinnerung behalten.“
Ohne sie wäre er nie das geworden, was er heute ist: Tenor, Schauspieler, Moderator, so Björn Casapietra. „Ich habe für mich daher entschieden, mich von ihr mit der großen Liebe zu verabschieden, die ein Sohn für seine Mutter nur empfinden kann – und das im Oktober bei meinem ‚Himmelslieder‘- Konzert in der Potsdamer Nikolaikirche. Ich werde an diesem Abend an die Opernsängerin und ihre Erfolge erinnern – und ihrem Publikum die Möglichkeit geben, sich von einer Frau zu verabschieden, die nun im fernen Italien ihre Ruhe gefunden hat.“