Geschlagen, getreten, gewürgt

Charité-Ärzte warnen: Immer mehr brutale Gewalt auf Berlins Straßen

Die erschreckenden Zahlen der Rechtsmediziner. Eine Ärztin erzählt, dass die Hemmschwelle für Gewalt in der Hauptstadt gesunken ist.

Author - Berliner KURIER
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Am S-Bahnhof Alexanderplatz: Die Polizei sucht nach verbotenen Messern. Seit dem 17. Juli gilt ein Messer- und Waffenverbot in den Berliner Bussen und Bahnen.
Am S-Bahnhof Alexanderplatz: Die Polizei sucht nach verbotenen Messern. Seit dem 17. Juli gilt ein Messer- und Waffenverbot in den Berliner Bussen und Bahnen.Bernd von Jutrczenka/dpa

Nicht nur die täglichen Meldungen der Berliner Polizei zeigen es: Es gibt immer mehr Gewalt auf Berlins Straßen. Auch die Ärzte der Gewaltschutzambulanz der Charité bestätigen diesen beunruhigenden Trend.  Ohne dies statistisch belegen zu können, sei zu beobachten, dass die Aggression in der Gesellschaft zunehme, heißt es. „Wir haben viele Personen, die angeben, von Unbekannten massiv angegangen, regelrecht verprügelt worden zu sein“, schildert Rechtsmedizinerin Larissa Amadasi. „Die Gewalt auf offener Straße nimmt zu. Man hat das Gefühl, dass die Hemmschwelle niedriger ist.“

298 Betroffene von körperlicher Gewalt haben ihre Verletzungen im ersten Halbjahr von Gerichtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. Meist suchten Frauen oder Mädchen (197) Hilfe bei der Gewaltschutzambulanz der Charité, wie die Senatsjustizverwaltung auf Anfrage mitteilt. Aber auch 100 Männer und Jungen kamen. Insgesamt haben sich bis zum 30. Juni 749 Menschen an die Einrichtung gewandt.

Viele Betroffene trauen sich nicht in die Charité

Damit zeichnet sich eine vergleichbare Entwicklung wie in den Vorjahren ab. Im Gesamtjahr 2024 wurden nach den Angaben 643 Betroffene (2023: 605) von den Experten untersucht. Insgesamt beriet die Gewaltschutzambulanz in 1594 Fällen (2023: 1719).

„Das ist natürlich nur das Hellfeld“, betont Rechtsmedizinerin Larissa Amadasi. „Im Zweifel ist damit zu rechnen, dass die, die es besonders schwer trifft, verloren gehen – weil sie gar nicht die Möglichkeit haben, sich bei uns zu melden“, sagt die Ärztin.

Positiv ist aus Sicht der Gewaltschutzambulanz, dass zunehmend weniger Termine storniert werden. Im ersten Halbjahr 2025 kamen 47 Menschen doch nicht zu dem vereinbarten Gespräch, im Gesamtjahr 2024 waren es 137 – und im Jahr zuvor sogar 154. „Die Entwicklung freut uns sehr“, so Amadasi.

Erfreulich sei auch die Entwicklung im Bereich der Beratung von Kinderärzten, Allgemeinmedizinern und Kinderschutzambulanzen sowie weiteren Stellen, die in irgendeiner Weise mit Gewaltopfern zu tun haben können. Nach Einschätzung von Amadasi sind diese sicherer in der Einschätzung von Fällen geworden. „Sie rufen nicht mehr wegen jedem kleinen Hämatom an, weil sie unsicher sind, ob sie einen Kinderschutzfall melden müssen und das Jugendamt einschalten müssen.“

Die Charité-Dokumentation zählt bei einer Verhandlung vor Gericht

Die Gewaltschutzambulanz wertet dies als einen Erfolg ihrer regelmäßigen Schulungen. Im vergangenen Jahr seien insgesamt knapp 1600 Menschen im Rahmen von 74 Veranstaltungen weitergebildet worden, schildert die Rechtsmedizinerin. Der Schwerpunkt liege dabei auf den Themen häusliche Gewalt und Kindesmisshandlung.

Die Ambulanz wurde 2014 gegründet und wird von der Justizverwaltung seitdem finanziell unterstützt. Opfer können dort ihre Verletzungen von Gerichtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen. Behandelt oder weiter betreut werden sie dort aber nicht.

In der „Charité – Gewaltschutzambulanz“ auf dem Gelände der Universitätsklinik Charité können Betroffene von körperlicher Gewalt ihre Verletzungen von Gerichtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen.
In der „Charité – Gewaltschutzambulanz“ auf dem Gelände der Universitätsklinik Charité können Betroffene von körperlicher Gewalt ihre Verletzungen von Gerichtsmedizinern vertraulich und kostenlos dokumentieren lassen.Paul Zinken/dpa

Betroffene müssen nicht sofort entscheiden, ob sie Anzeige erstatten. Die Dokumentation zählt aber bei einer Verhandlung vor Gericht. Betroffene werden häufig von Polizei, Jugendamt, Ärzten und Beratungsstellen geschickt, einige kommen auch aus eigenem Antrieb. (mit dpa)