Mit Gummistiefeln, Basecap und Keschern ausgerüstet stehen fünf Kitakinder staunend an einem kleinen Tümpel in Criewen am Rande des Nationalparks Unteres Odertal in der Uckermark und lauschen unüberhörbarem Froschgequake. Die Augen der Vier- bis Sechsjährigen werden noch größer, als Ranger Andreas Hein eine Reuse aus dem Wasser holt: In dem Netz zappelt und hüpft es. Dora, Lucy und die anderen Mini-Forscher haben solche Tiere noch nie von Nahem gesehen, wie sie erzählen. Jedes Kind darf Teich-Frosch oder Knoblauch-Kröte vorsichtig auf die Hand nehmen oder aber die Augen der Tümpelbewohner durch eine große Lupe näher betrachten.
„Unsere Kinder sind bei Wind und Wetter draußen inmitten der Wildnis. Sie sollen die Natur mit allen Sinnen erleben, sie anfassen, ihr lauschen und dabei ruhig auch schmutzig werden“, sagt Julia Werner, Leiterin der Anfang März dieses Jahres eröffneten Kita „Kleine Wildhüter“. Dass es sich dabei um eine ganz besondere Kindereinrichtung handelt, ist nicht zu übersehen: Die Ranger der Brandenburger Naturwacht sind regelmäßig zu Gast und gehen mit den „Kleinen Wildhütern“ auf Exkursionen. Im März waren Biber und Fischotter Thema, im April der Wald und die Frühblüher. Im Mai stehen Amphibien im Mittelpunkt. Im Sommer werden gemeinsam Insekten bestimmt, im Oktober Baumarten.
Demnächst legen die kleinen Wildhüter einen Gemüsegarten an
Die Idee für die Einrichtung mit engem Bezug zum Schutzgebiet, wo in die Natur der Auenlandschaft nicht eingegriffen wird, hatte Nationalparkleiter Dirk Treichel bereits vor zehn Jahren. „Die jüngsten Bewohner der Region sollen mit den Besonderheiten dieses Nationalparks aufwachsen“, erzählt er. Bemerke er doch in der Bevölkerung immer wieder ein Unverständnis gegenüber dem Konzept „Wildnis“, in dem Natur so gelassen werde, wie sie sich selbst entwickele – auch vor dem Hintergrund des Klimawandels. „Wie wichtig die Vernässung der Auenwiesen für Flora und Fauna ist oder dass Totholz Lebensraum für viele Tiere bedeutet, lernen die Kleinen und entwickeln dabei im besten Fall ein Verständnis dafür“, hofft der Biologe.

Gemeinsam mit der Stadt Schwedt als Kita-Träger beantragte man Fördermittel, entwickelte ein Konzept und arbeitete an Aussehen sowie Ausstattung des Kita-Gebäudes. Anstelle einer alten Stallanlage steht auf dem Gelände direkt neben dem Schloss Criewen nun ein neues Haus mit einem Spielplatz aus Holzelementen und einem Wasserspielplatz im Außenbereich.
Demnächst wollen die fünf Erzieher mit ihren „Kleinen Wildhütern“ in Zusammenarbeit mit dem Parkgartenverein auch einen Gemüsegarten im benachbarten Park anlegen. Im Inneren der Kita dominieren warme Naturfarben, großformatige Fotos aus dem Nationalpark, Baumhäuser und eine Kreativwerkstatt. Dazu gibt es Gestaltungselemente wie mit grünem Stoff bezogene Schlafkörbchen – Nester – für die Jüngsten und eine Ruheinsel mit weichen Kissen und großen Plüschgänsen.
Der Kooperationsvertrag zwischen Nationalparkverwaltung und Kita wird demnächst unterschrieben. Darin festgelegt sind laut Treichel die fachliche und inhaltliche Begleitung der Kinder und die Qualifizierung der fünf Pädagogen. „Neben dem Unteres Odertal gibt es in vielen weiteren Nationalparks und Biosphärenreservaten Schul- und Kita-Kooperationen, damit Kinder die Tier- und Pflanzenwelt in ihrer Nähe besser kennenlernen“, sagt Nicole Ebser vom Verein Nationale Naturlandschaften. Bundesweit existierten demnach mehr als 100 zertifizierte Nationalpark- oder Biosphären-Kitas und 180 Schulen.

26 Mädchen und Jungen gehören aktuell zu den „Kleinen Wildhütern“ in Criewen, neben Kitakindern sind auch Schüler bis zwölf Jahre in der Hortgruppe. „Wir haben insgesamt 45 Plätze, wachsen stetig. Kamen zuerst vor allem Kinder aus den umliegenden Ortschaften und aus Criewen, interessieren sich zunehmend auch Eltern aus Schwedt für unser besonderes, naturnahes Konzept“, erzählt Kita-Leiterin Julia Werner. Nach den Ausflügen, auf die sich alle kleinen Wildhüter freuen und die sie meist noch lange danach beschäftigen, werde das jeweilige Thema beim Basteln, Malen und beim Spielen in der Kita vertieft, so Werner.
Die 90 Naturwacht-Ranger kooperieren mit 35 Kitas und Schulen
„Ein tolles Projekt, was wir gern unterstützen“, sagt Britta Schmidt, Leiterin der Brandenburger Naturwacht. „Die Mädchen und Jungen wachsen inmitten der Natur des Nationalparks auf – das ist landesweit einmalig.“ Die 90 Naturwacht-Ranger kooperieren auch in den 14 weiteren Naturlandschaften Brandenburgs mit 35 Kitas und Schulen bei der Umweltbildung. Es gibt Projekttage, Schul-Arbeitsgemeinschaften oder gepflegte Partnerschaften. „Allerdings werden dort andere Schwerpunkte als im Nationalpark gesetzt. Beispielsweise geht es in Naturparks um Nachhaltigkeit im Umgang mit der Natur oder die schonende Landschaftsnutzung“, betont Andreas Hein.

Er ist einer von zehn Rangern im Unteren Odertal, hat viel Geduld mit seinen kleinen Wildhütern, die er für Flora und Fauna im Nationalpark sensibilisieren will. „Ich mag Kinder in dem Alter sehr – sie sind unbedarft, wissbegierig, hinterfragen viel. Es macht Spaß, ihr Interesse für die Natur zu wecken. Da kann man nicht früh genug anfangen.“
Die „Kleinen Wildhüter“ seien schon jetzt vorsichtiger und sorgsamer im Umgang mit Tieren und Pflanzen, hat Kita-Leiterin Werner beobachtet. „Sie wissen bereits, dass man wild lebende Arten nicht durch lautes Reden oder ungestümes Anfassen erschrecken sollte.“ Man liebe und schütze nur, was man kenne, ergänzt Nationalparkleiter Treichel. ■