Bahnstreik in der Hauptstadt

Berlin zeigt Lokführer-Streik die kalte Schulter

Die Berliner haben sich dank BVG ihre Ausweichrouten gesucht, nur Touristen irren während des aktuellen Lokführerstreiks umher. Wer kann, bleibt zu Hause. 

Author - Stefanie Hildebrandt
Teilen
Lee aus Seoul muss am Hauptbahnhof einen Zug nach Nürnberg bekommen.
Lee aus Seoul muss am Hauptbahnhof einen Zug nach Nürnberg bekommen.Volkmar Otto

Schon am Abend vorher ist der neue, noch härtere Streik der GDL-Lokführer bei den Damen in der Pankower Sauna das Thema. Noch bis Freitag, 18 Uhr, sollen S-Bahnen und Regionalbahnen in Berlin, der Zugverkehr im ganzen Land still stehen. Etwas abgeklärt, konstatiert die eine, dass es fast schon besser sei, zu wissen, dass ab Mittwochnacht gar nichts mehr fährt, als das Überraschungs-Ausfall-Bingo, das man sonst von der S-Bahn kennt. Eine andere freut sich, dass sie mit der M1 von Pankow bis zur Friedrichstraße trotz des Streiks bequem durchfahren kann. Der Einwand, dass die Tram dann aber sicher sehr voll sei, zählt nicht. Ist sie auch sonst.

Die Berliner sind Streik-erprobt

An diesem sonnigen Streikmittwoch sind die meisten Berliner vorbereitet, sie kennen die Ausweichrouten, die sich durch die BVG mit U-Bahn, Bus und Tram bieten oder bleiben, wenn sie es können, im Homeoffice. Andere bauen auf den Notfahrplan der S-Bahn, der die Härten wenigstens etwas abmildern soll. 

Eine leere S-Bahn am Bahnhof Gesundbrunnen.
Eine leere S-Bahn am Bahnhof Gesundbrunnen.Volkmar Otto

Doch auf dem S-Bahnhof Buch gibt es am Morgen lange Gesichter. Trotz des angekündigten 20-Minutentakts auf einigen Strecken (S3 zwischen Erkner und Ostbahnhof, S46 zwischen Königs Wusterhausen und Schöneberg, S5 zwischen Strausberg Nord und Ostbahnhof sowie für die S9 zwischen Friedrichstraße und Flughafen BER) fährt halb sieben im Berufsverkehr keine S-Bahn vom Norden aus in die Stadt. Die Option, mit dem Bus zur U-Bahn zu fahren, kostet viel Zeit. Gut zwei Stunden statt einer ist eine Frau zur Arbeit unterwegs. Besonders die Pendler aus Brandenburg sind von dem Streik betroffen.

Händler an Bahnhöfen mit Einbußen

Aber auch die Händler an den Bahnöfen haben heute weniger Kundschaft als sonst. Mehmet wird seine leckeren Brötchen am S-Bahnhof Schönhauser Allee heute nicht loswerden, dabei hat er schon weniger als üblich vorbereitet. Nur 20 Prozent seiner Kunden, die sonst kommen, sind heute da, schätzt er. Am Ostkreuz haben sie den Stand gleich zugelassen. Man kenne das von vorherigen Streiks, die Leute blieben vielfach zu Hause, sagt Mehmet.

Mehmet wird seine Brötchen nicht los, es kommen viel weniger Kunden als üblich am S-Bahnhof Schönhauser Allee vorbei. 
Mehmet wird seine Brötchen nicht los, es kommen viel weniger Kunden als üblich am S-Bahnhof Schönhauser Allee vorbei. BK Hildebrandt

Auf dem Gleis herrscht am Vormittag eine solche Ruhe, dass das Gurren der Tauben das einzige Geräusch ist, welches die Ohren ausfindig machen können. Wie dreckig der S-Bahnhof Schönhauser Allee ist, fällt noch mehr ins Auge. Streiken die Putzkräfte auch? Einen solchen Tag könnte man sehr gut zum Großreinemachen nutzen.  

U-Bahn und Busse retten uns Berliner

Nicht so in den Bussen und U-Bahnen der Stadt. Die sind erwartungsgemäß deutlich voller als üblich, wie die BVG mitteilte. „Besonders jene BVG-Linien, die parallel zu den bestreikten S-Bahnverbindungen verlaufen, wurden von vielen zusätzlichen Fahrgästen genutzt. In der Regel reichten die Fahrzeugkapazitäten aus. Zum Teil mussten Fahrgäste jedoch auf die nächste Fahrt warten“, hieß es. 

Auf ihren Zug wartet auch Lee aus Seoul in Südkorea am Bahnhof Gesundbrunnen. Sie will zum Hauptbahnhof und dann weiter in den ICE nach Nürnberg. Mit dem Handy checkt sie die Verbindungen und hofft, dass die Züge auch tatsächlich fahren. 

Am selben Bahnhof steigt plötzlich eine ganze Schulklasse aus einem Aufzug. Mutig, sich an einem Streiktag mit den Öffis auf einen Ausflug zu begeben. In vollem Bus und mit voller U-Bahn sei man aber gut durchgekommen, sagt einer der Lehrer, jetzt geht es ins Museum.

Ausflug in Grüne

Man kann so einen Streiktag auch entspannt angehen, wie Ronny und Laura am Hauptbahnhof beweisen. Sie haben frei und nehmen den nächsten Zug raus ins Grüne, der eben kommt. Eine Regionalbahn nach Frankfurt/Oder wird sie nach Erkner fahren, wo sie den Sonnentag wandernd verbringen wollen. 

So viel freie Zeit hat Anni nun aber wirklich nicht. Etwas ratlos steht sie an der Friedrichstraße am Gleis und muss irgendwie zum Savignyplatz kommen. Die Chefs beim Praktikum wären sicher nicht erbaut, wenn sie zu spät wäre. „Es ist schon heftig, dass sich alles an Streiks und Protest in Berlin konzentriert“, sagt die Modeschneiderin.

Anni aus Charlottenburg muss zur Arbeit und nimmt dafür notgedrungen Umwege in Kauf.
Anni aus Charlottenburg muss zur Arbeit und nimmt dafür notgedrungen Umwege in Kauf.Volkmar Otto

Auch andere Menschen sind in der Stadt unterwegs, müssen ihren Geschäften nachgehen und sich wieder einmal auf Umwege und längere Fahrzeiten einstellen. Björn und Birgit sind zu Geschäftsterminen in Berlin und rangieren sich mit der U-Bahn gekonnt und gelassen durch das Berliner Schienennetz. Mitleid haben sie besonders mit den Pendlern. Dass Millionen Menschen von den Streiks so in Mitleidenschaft gezogen werden, findet Birgit heftig. 

Dennoch: Die Berliner nehmen die Einschränkungen gelassen hin. Was ist ein Streik wert, an den man sich früher oder später gewöhnt, fragt man sich. Dank der BVG-Kollegen lässt sich in Berlin immer noch ein Weg ans Ziel finden. Das Streik-Schwert schneidet hier nur halb so scharf in den Alltag der Berliner. 

Björn und Birgit sind geschäftlich in der Stadt unterwegs und navigieren sich per U-Bahn zum Ziel. 
Björn und Birgit sind geschäftlich in der Stadt unterwegs und navigieren sich per U-Bahn zum Ziel. Volkmar Otto

Der Mann mit der orangeroten Warnweste auf dem Bahnsteig am Gesundbrunnen hat recht: richtigen Stillstand in Berlin gäbe es erst, wenn man bei Bahn und BVG einmal gemeinsam die Arbeit niederlegen würde. Mindestens bis dahin gilt Schulterzucken, nich uffregen, weitermachen. ■