Regelmäßig besuche ich in Berlin eine Bibliothek. Einen dieser Tempel des Wissens, einen Hort der Literatur, der tiefgründigen Stille, der Kontemplation und des Rückzugs aufs Gedankliche. Ich atme auf, wenn ich statt der Sirenen draußen das Umblättern von Seiten höre. Wenn ich statt Hundekacke auf dem Trottoir den Staub auf Papier in den Regalen rieche.
Ich besuche also regelmäßig eine Bibliothek, die ich als dritten Ort einem jedem Menschen in seinem Alltag wünsche. Wirklich jedem Menschen? Nein, leider nicht jedem Menschen.
Laute Leute sollen draußen bleiben
Menschen, die in Bibliotheken laute Geräusche fabrizieren, sollen bitte lieber draußen bleiben. Dass ich das so klar sage, ist Ergebnis vieler Erlebnisse, die mich Zähne knirschen ließen und die Hände in der Tasche zusammenballen.
Eines dieser Erlebnisse hat sich erst gestern zugetragen: Eine Handvoll Kinder sitzt in Bücher versunken in der Kinderetage der Bibliothek. Still blättern sie in den Seiten der Comics. Süß, bis sie, und auch ich, jäh aufschrecken.
Denn einer dieser Lauten ist hereingeschneit. Schnatternd setzen sich Kind und Mutter auf das rote Lesesofa und das Kind beginnt mit ordentlich Dezibel aus einem „Käpt‘n Blaubär“-Buch vorzulesen. Ach, wie sie kichern und sich freuen. Und den Rotz nebenbei hochziehen. Auch als die Mutter sich verabschiedet und das Kind für eine halbe Stunde zwischen den Büchern parkt, hört es einfach nicht auf, laut vorzulesen.
Es ist nicht daran zu denken, selber einen Satz zu lesen und ihn zu verstehen. Immer wieder beginne ich von vorn, schaue flehentlich nach dem Personal, rolle mit den Augen und schnaufe mahnend. Es nützt gar nichts. Am Ende hat sich so viel Ärger in mir aufgestaut, dass ich kaum noch in der Lage wäre, meinen Hinweis, in einer Bibliothek solle man sich gefälligst ruhig verhalten, freundlich vorzubringen.
Wo zur Hölle waren Mutter und Vater?
Ich denke ja längst all die anderen Male mit, an denen die heilige Bibliotheksruhe gestört wurde. Einmal spielte ein Kleinkind zwischen den Regalen Fangen mit sich selbst. Dem Kind ist kein Vorwurf zu machen, aber wo zur Hölle waren Mutter und Vater? Ein anderes Mal spielten Teenie-Mädchen, anstatt zu lernen, TikTok-Videos ab. Ist es wirklich zu viel verlangt, an einem Ort, der Büchern huldigt, dem Lesen als stillstem aller Vergnügen auch nur eine Chance zu geben?
Schmelztiegel Stadtteilbibliothek
Bibliotheken wollen und sollen heutzutage alles sein. Es werden Tanzkurse angeboten. Man kann Videospiele spielen. Es gibt Tische an denen gelernt wird und bei den ganz Kleinen gibt es sogar eine Tobe-Ecke. Alles schön und gut. Aber kann man sich bitte zuerst auf die Kernkompetenz konzentrieren? Mach dich nicht beliebig, will ich brüllen. Eine Bibliothek ist kein verdammter Indoorspielplatz, kein Gaming-Center und keine Shopping-Mall. Und ja, eine Bibliothek darf auch einen Erziehungsauftrag haben.
Wenn wir alle ein wenig mehr achtgeben würden, was mit den Menschen um uns herum passiert, und uns selber nicht so wichtig nähmen, wäre schon viel gewonnen. In der Bahn, im Geschäft, im Wartezimmer, im Alltag. Diese ganze Ego-Gesellschaft mit ihrem „Es steht mir aber zu-Gehabe“ hängt mir sowas zum Halse raus. Es macht mich wahnsinnig, wenn in der Bahn laut telefoniert wird, wenn Leute einfach nicht schnallen, dass sie anderen im Weg stehen, wenn sie einzeln über den Zebrastreifen dackeln, wenn sie im Kino mitten im Film quatschen und gedankenlos öffentlichen Raum als ihren persönlichen Raum beanspruchen.
Und am schlimmsten an der Sache ist, dass ich selten den Mut habe, das auch anzusprechen. Huch, jetzt habe ich mich etwas in Rage gedacht. Ich bin also der Vulkan, in dem das Magma steigt und steigt. Und eines Tages wird man es wahrscheinlich aus einer Berliner Bibliothek sehr laut brüllen hören: „Ruhe endlich, verdammt nochmal!“
Was meinen Sie, muss man in Bibliotheken ruhig sein? Wo vermissen Sie das Einhalten von Regeln? Schreiben Sie uns: leser-bk@berlinerverlag.com ■