Naturheilverfahren gewinnen in der Medizin an Bedeutung. Die Charité in Berlin zum Beispiel hat eigens eine Hochschulambulanz für Naturheilkunde und einen Projektbereich für integrative und komplementäre Medizin eingerichtet. Das Uniklinikum kooperiert mit dem Immanuel-Krankenhaus in Wannsee.
Dort startet jetzt ein Projekt mit traditioneller indischer Medizin: Patienten werden in einem Ayurveda-Zentrum stationär behandelt. Was genau passiert in der Klinik? Für wen kommt die Therapie infrage? Was kostet sie? Und zahlt die gesetzliche Krankenversicherung dafür? Ein Gespräch mit Chefarzt Andreas Michalsen.
Herr Prof. Michalsen, was passiert in einem Ayurveda-Zentrum?
Die ayurvedische Medizin ist eine Form der Naturheilkunde, die schon seit sehr langer Zeit im südostasiatischen Raum praktiziert wird. In Indien ist sie Staatsmedizin neben der konventionellen Medizin. Ärzte dort absolvieren ein fünfjähriges Studium in diesem Bereich. Die Ayurveda-Medizin hat das gleiche Grundprinzip wie die europäische Naturheilkunde, umfasst aber ein viel größeres Spektrum.
Geht es dabei auch um gesunde Ernährung, Sport, Bewegung und Stressabbau?
Im Grunde ja, wobei im Bereich Bewegung Yoga eine wichtige Rolle spielt. Mit ungefähr 1000 Heilpflanzen ist auch die Bandbreite in der ayurvedischen Medizin deutlich größer als in der Naturheilkunde. Manuelle Anwendungen, wie Ölmassagen, sind im Ayurveda umfangreicher und intensiver. Es gibt auch Entspannungsverfahren und Wärmebehandlungen.

Welches Ziel verfolgen Sie mit dem Zentrum?
Wir möchten erstmals in Deutschland die bisherigen wissenschaftlichen Erkenntnisse in einem Krankenhaus anwenden. Wir starten dazu erst einmal in einem kleinen Rahmen mit vier Betten, aber die Kapazitäten können erweitert werden, wenn die Nachfrage dafür vorhanden ist.
An wen richtet sich das Angebot?
An Patienten mit Arthrose, Menschen mit chronischen Schmerz- und Rheuma-Erkrankungen. Schwerpunkte sind außerdem Erschöpfungssyndrome, Burnout, hier haben wir in einer eigenen Studie gute Resultate erzielt. Dann behandeln wir Personen mit Stoffwechsel-Erkrankungen wie Diabetes Typ 2, Bluthochdruck, aber auch neurologische Erkrankungen, zum Beispiel Multiple Sklerose, auch Parkinson, wo nach Studienlage das Mikrobiom im Darm eine wichtige Rolle spielt. Die Behandlung von Hauterkrankungen ist auch möglich.
Behandeln Sie ambulant und stationär?
Ambulante Therapien bieten wir schon lange am Immanuel-Krankenhaus an. Das begann 2011. Seit etwa zehn Jahren haben wir Manualtherapie und Ernährungsberatung fest im Programm. Jetzt beginnen wir mit der Königsdisziplin in der ayurvedischen Medizin, dem Panchakarma. Dabei werden stationär all die erwähnten Module zusammengenommen und sehr intensiv angewandt.

Wie lange dauert eine solche stationäre Behandlung?
In der Regel zwei Wochen.
Was kostet ein Aufenthalt?
Zwei Wochen kosten etwa 9900 Euro, alles inklusive.
Das ist sehr viel Geld.
Das stimmt, aber wir haben einen sehr hohen ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Aufwand. Wir haben ein sehr erfahrenes interdisziplinäres Team aufgebaut, dies umfasst einen indischen ayurvedischen Arzt, ayurvedische Manualtherapeuten, Yoga-Therapeuten bis hin zu einem spezialisierten Koch und Ernährungstherapeuten. Gleichzeitig wird die komplette Schulmedizin und die naturheilkundliche Medizin in einem Gesamtkonzept verabreicht. Wir haben den großen Vorteil, dass wir bereits über Ärztinnen und Ärzte verfügen, die sowohl Fachärzte sind als auch eine ayurvedische Ausbildung haben. Ich selbst bin Internist.
Übernimmt die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten?
Das Angebot richtet sich zunächst an Selbstzahler und Privatversicherte, da diese Art der Medizin noch nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Das, was wir machen werden, gibt es in Deutschland so noch nicht, und es handelt sich um einen längeren Prozess, ein solches medizinisches Verfahren in das System zu integrieren.
Wird das Projekt wissenschaftlich begleitet?
Wir haben schon einige Forschungsprojekte erfolgreich abgeschlossen, unter anderem zu Arthrose, zum Fibromyalgie-Syndrom, zum Reizdarmsyndrom sowie Erschöpfungs- und Müdigkeitssyndromen. Diese Forschungsarbeit wollen wir weiterführen.
Sie haben eine Professur an der Charité, die wiederum einen Bereich für Naturheilkunde und komplementäre Medizin unterhält. Macht sie bei Ihrem Projekt mit?
Das ist ein Projekt des Immanuel-Krankenhauses Berlin, aber natürlich greifen wir auf Erkenntnisse der langjährigen Forschungsarbeit im Kontext der Charité zurück und wollen in Zukunft diese Forschung verstärken.
Wie aufgeschlossen steht die Schulmedizin der Komplementärmedizin gegenüber?
Schulmedizin und komplementäre Medizin konkurrieren nicht miteinander, sie ergänzen sich da, wo es sinnvoll ist. Es geht darum, eine Medizin zu betreiben, die das Beste aus beiden Bereichen miteinander verbindet. Und zwar mit wissenschaftlichen Studien sehr fundiert unterlegt. Die Bevölkerung steht der komplementären Medizin aufgeschlossen gegenüber. Wir haben repräsentative Umfragen durchgeführt, denen zufolge knapp die Hälfte der Teilnehmer sich in dieser Weise äußert.

Haben Sie schon Anmeldungen?
Wir haben bereits eine Warteliste. Obwohl wir zunächst Selbstzahler behandeln, und die Nachfrage dadurch etwas limitiert ist. Allerdings richtet sich das Angebot insbesondere an Patienten mit komplexeren gesundheitlichen Problemen. Sie haben einen hohen Leidensdruck und wollen nach zum Teil vielen vergeblichen Therapieversuchen eine ergänzende Behandlungsoption ausprobieren.
Was passiert nach einem stationären Aufenthalt?
Naturheilkunde, egal ob Ayurveda oder Traditionelle chinesische Medizin, ist an den Lebensstil geknüpft. Wir wissen, dass Patienten gewillt sind, etwas an ihrer Lebensweise zu ändern und diese Veränderung beizubehalten, wenn sie ihnen hilft. Wenn sie in alte Muster verfallen, ist die Therapie nicht nachhaltig.
Wann werden Krankenkassen eine solche stationäre Behandlung bezahlen, was meinen Sie?
Das ist schwer zu sagen. Wir reden da wohl eher von Jahren als von Monaten. Wir haben lange überlegt, ob wir trotzdem diesen Schritt gehen. Es gibt Erkrankungen, bei denen uns die Wirkung der ayurvedischen Medizin sehr beeindruckt. Deshalb haben wir uns gesagt: Wir trauen uns das jetzt, wir machen das. Und dann schauen wir, wie sich das Projekt entwickelt.