Corona : Die Fackel brennt, aber die Zweifel an Olympia bleiben
In Griechenland wird die Fackel für die Sommerspiele in Tokio entzündet. Doch die Sorge wächst, dass sie nicht wie geplant stattfinden können.

Mit dem Start des olympischen Fackellaufs an diesem Donnerstag sollte Tokyo 2020 eigentlich immer näher rücken. Während die Offiziellen in Japan dieses Bild aufrechterhalten, verkündet die Regierung dort schon drastische Mittel. Die Frage nach der Durchführbarkeit stellt sich so erneut.
Diesmal fehlt der Glamour. Das Zünden des olympischen Feuers in Olympia, dem Ursprungsort des weltweit größten Sportevents nahe Athen, sollte eigentlich von Fans bejubelt werden. Aber wenn die Fackel dort nun entzündet und bald darauf in Athen übergeben wird, darf in diesem Jahr niemand zuschauen. Zu hoch sei das Risiko, haben griechische Offizielle Anfang dieser Woche gesagt, dass sich wieder jemand infizieren würde. Schließlich zählt auch Griechenland mittlerweile mehr als 70 Infektionsfälle um das Virus Covid-19, inzwischen unter dem Namen Corona zu zweifelhafter Berühmtheit gelangt.
Feuer per Charterflug nach Asien
Das mag ein Makel sein, ansonsten aber soll alles nach Plan laufen: Die olympische Fackel wird auf dem Landweg von Olympia nach Athen getragen, am Mittwoch kommender Woche dann per Charterflug der japanischen Fluglinie All Nippon Airways nach Ostasien transportiert. Dort geht der ritualisierte Dauerlauf vom 26. März an weiter, dann nur noch auf japanischen Boden bis zur Austragungsstadt. Von Fukushima im Nordosten spaziert das immer lodernde olympische Feuer quer durch Japan, bis es am Abend des 24. Juli im frisch renovierten Olympiastadion von Tokio ankommt. Und dann ist die größte Sportveranstaltung des Jahres eröffnet.
So jedenfalls lautet die bisherige Version des Ablaufs, an die sich Offizielle − allen zunehmenden Widrigkeiten zum Trotz − weiterhin klammern. Weltweit sind derzeit offiziell über 113.000 Menschen mit Covid-19 infiziert. In Japan sind es mehr als 1 200 und wie eigentlich in jedem Land ist die Tendenz steigend. Im Februar gaben von der Regierung und dem Olympischen Organisationskomitee unabhängige Gesundheitsexperten zu Bedenken: Angesichts der augenblicklichen Situation wäre Japan sicherlich nicht imstande, eine Großveranstaltung wie die Olympischen Spiele auf sichere Weise auszutragen. Dafür fehle den Institutionen des Landes eine passende Strategie.
Ist Japan einige Wochen später schon besser eingestellt? Die Regierung schenkt dem Problem jedenfalls viel Beachtung. Diese Woche hat das japanische Parlament über die Modifizierung eines Gesetzes debattiert, die es dem Premierminister Shinzo Abe erlauben soll, aufgrund der gesundheitspolitischen Lage den nationalen Ausnahmezustand auszurufen. Abe, der dieses Gesetz auch ohne die Stimmen der Opposition durch die beiden Parlamentskammern bringen kann, stellte die Bevölkerung schon in der vergangenen Woche auf einen nahenden Notstand ein. Bisher konnte er allen Schulen und Veranstaltern diverser Großevents nur dringend dazu raten, die Tore vorerst nicht mehr aufzusperren. Mit dem geänderten Gesetz kann er das anordnen.
Sumo-Turnier ohne Zuschauer
Die Liste abgesagter oder eingeschränkt stattfindender Sportveranstaltungen in Japan ist schon jetzt beeindruckend. Nachdem Ende Februar die Marathonläufe von Tokio und Nagoya ihr Teilnehmerfeld jeweils auf Profis beschränkten, verkündete die professionelle Fußballliga J-League, alle ihre Spiele auszusetzen. Bald folgten die Profiligen im Baseball und Rugby mit Einschränkungen und Unterbrechungen. Ein großes Turnier in der Traditionssportart Sumo fand nun ohne Zuschauer statt. Und auch Vorbereitungsveranstaltungen für die Olympischen Spiele selbst wurden schon abgespeckt oder verschoben.
So stellt sich immer deutlicher die Frage: Ist es wirklich wahr, dass in den Sitzungen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), wie dessen Präsident Thomas Bach zuletzt behauptete, niemand auch nur mit einem Wort über eine mögliche Absage von Olympia nachdenkt? Ebenso behauptet das Tokioter Organisationskomitee weiterhin, dass eine Absage „keine Option“ sei. Auch Japans nationalistischer Premier Abe, für den Olympia ein riesiges, patriotisches Prestigeobjekt ist, lässt sich nicht zu öffentlichen Zweifeln hinreißen. Und immer wenn unter Offiziellen vereinzelt doch auf die Möglichkeit einer Verschiebung hingewiesen wird, heißt es von anderer Seite umso deutlicher, alles werde wie geplant ablaufen. Und das bedeutet: In Tokio brennt das olympische Feuer vom 24. Juli 2020 an.
Die Widersprüchlichkeit zwischen der Ankündigung eines nationalen Ausnahmezustands und den Beteuerungen, dass in Hinblick auf Olympia schon alles unter Kontrolle sein werde, ruft in Japan allmählich böse Erinnerungen wach. Nachdem vor ziemlich genau neun Jahren am 11. März 2011 durch ein schweres Erdbeben und einen Tsunami das Atomkraftwerk Fukushima Daiichi havariert war, wurden auf einen Schlag ganze Orte unbewohnbar.
In den Tagen und Wochen danach reagierte Japans Regierung aber nur langsam und bisweilen unkoordiniert. Immer wieder verharmloste sie die Lage im Nordosten des Landes. Auch im Herbst 2013, als Tokio das Austragungsrecht für die Olympischen Spiele 2020 gewann, behauptete Shinzo Abe noch vor laufenden Kameras in Bezug auf die Lage in Fukushima: „Lassen Sie mich klarstellen, alles ist unter Kontrolle.“ Ähnlich fragwürdig kommen die offiziellen Äußerungen jetzt daher, wenn es heißt, trotz Covid-19 werde alles nach Plan laufen.
Ob Japans Regierung aber doch aus den Krisentagen aus 2011 gelernt hat, könnte sich zeigen, wenn Premier Abe den angekündigten Ausnahmezustand tatsächlich ausruft und dann auch entsprechend deutliche Worte zur Realisierbarkeit der Olympischen Spiele findet. Denn selbst wenn es dem ostasiatischen Land gelingen würde, die Zahl von Neuinfizierungen so einzudämmen, so dass die Lage in Japan als halbwegs sicher betrachtet werden kann, sind sichere Olympische Spiele dadurch nicht garantiert. Keine andere Veranstaltung der Welt zieht so viele Millionen Besucher an, die aus jedem Staat der Erde kommen. So wird durch Olympia auch das Risiko eines Neuimports von Covid-19 bestehen.
Es sei denn, man käme in den nächsten Wochen zu dem Schluss, dass sich die Veranstaltung notfalls auch absagen oder verschieben ließe. Einen solchen Schritt will Abe vermeiden. Wohl noch weniger Interesse an einem japanischen Sommer ohne olympisches Spektakel haben das Tokioter Organisationskomitee sowie das Internationale Olympische Komitee. Ihnen würde ohne die Sommerspiele nicht nur viel Glamour verloren gehen, sondern auch ihre wichtigste Einnahmequelle.