Aufnahme in Hall of Fame

Box-Ikone Ulli Wegner: Statt im Keller ist er jetzt in der Ruhmeshalle

Noch wichtiger ist dem vielmaligen Weltmeister-Macher nur, dass er nach zwei Jahren Krankenhaus und Reha-Kliniken wieder halbwegs fit ist.

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Ulli Wegner zeigt stolz seine Urkunde für die Aufnahme in die Hall of Fame. Laudator Sven Ottke freut sich wie Bolle mit.
Ulli Wegner zeigt stolz seine Urkunde für die Aufnahme in die Hall of Fame. Laudator Sven Ottke freut sich wie Bolle mit.Peter Hartenfelser/Imago

Die Sport-Welt verneigte sich, als Ulli Wegner (81) am 16. November als erster Boxtrainer in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen wurde. Es ist eine große Anerkennung für sein einmaliges Lebenswerk, ein Höhepunkt nach langer Leidenszeit. Noch vor drei Jahren wäre Wegner mit Ehefrau Margret per Auto in die Main-Metropole gebrummt. Diesmal rauschte das Ehepaar im ICE von Berlin nach Frankfurt. Denn erst seit einigen Wochen lebt der Box-Guru wieder zu Hause.

„Es kann sich keiner vorstelle, wie glücklich ich darüber bin. Nach zwei Jahren in Krankenhäusern und Reha-Kliniken fühlt sich mein gemütliches Zuhause wie ein Traumurlaub in einem Fünf-Sterne-Hotel an“, erzählt der Toptrainer mit einem feuchten Schimmer in den Augen. Sieben Operationen musste Wegner in den vergangenen zwei Jahren über sich ergehen lassen.

Küsschen, Küsschen für den Mann des Abends: Ehefrau Margret und Musterschüler Sven Ottke gratulieren Weltmeister-Macher Ulli Wegner.
Küsschen, Küsschen für den Mann des Abends: Ehefrau Margret und Musterschüler Sven Ottke gratulieren Weltmeister-Macher Ulli Wegner.Peter Hartenfelser/Imago

Zuletzt wurde dem Trainer ein 34 Zentimeter langer Nagel aus dem Bein entfernt. „Seilspringen kann ich noch nicht, aber im Haus und mit einem Stock kann ich mich schon wieder ganz gut bewegen.“

Ulli Wegner froh: Endlich wieder zu Hause ...

Bei diesen Worten fliegt ein lange vermisstes Lächeln über Wegners Gesicht. Der Trainer zeigt in Richtung Osten als er sagt: „Die vielen Schmerzen der vergangenen Monate steckte ich auch weg, weil mir überall Ärzte und medizinisches Personal halfen. Stellvertretend für alle möchte ich die Media-Klinik in Hoppegarten erwähnen.“

Ein bisschen versteckt wohnen die Wegners im Norden Berlins. Wir sitzen im Wohnzimmer und darunter im Keller befindet sich eine Goldgrube. Dort sind in Form von Bildern, Pokalen, Videos und Sportutensilien neben Wegners Lebensgeschichte auch die deutsche Box- und Sport-Historie sowie viele Unikate und Exponate von zahlreichen Berühmtheiten wohlsortiert aufbewahrt.

Der Boxtrainer kann sich durch seine Krankheit aber nicht mehr so wie früher um diesen Schatz kümmern. „Im Keller habe ich früher am liebsten gelesen, hinter mich gegriffen und hatte die wichtigsten Boxlehrbücher in der Hand. Das geht nicht mehr. Die Treppen sind zu gefährlich. Ich würde meine Sammlung gern der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen. Vielleicht finden sich Interessenten. Es handelt sich vielfach um Unikate.“

Als Traktorenschlosser fing alles an

Als er das sagt, klingt die Stimme des einstigen Haudrauf irgendwie ängstlich. Als fürchte er, die schöne Sammlung könnte unbeachtet bleiben. Natürlich lässt sich in Wegners Schatzkammer auch die Entstehung seines Buches „Ulli Wegner“ und des Films „13 Runden“ ebenso nachvollziehen wie eine DVD-Edition über das Leben des Boxtrainers.

Der gelernte Landmaschinen- und Traktorenschlosser erinnert sich genau an den Start seiner Trainer-Karriere: „Es war am 6. September 1971, da stellte mich Hans Spazierer als seinen Assistenten in Gera den Boxern vor.“ Sofort schwärmte Wegner von Europameistern und Spitzenboxern wie Ulli Kaden, Jürgen Fanghänel, Stefan Förster, Jürgen Voigtländer, Siggi Martin, Frank Rauschnik und, und, und ...

Ulli Wegner ist Ehrenbürger von Gera

Die Stadtverordnetenversammlung beschloss vor acht Jahren sogar, Ulli Wegner zum Ehrenbürger von Gera zu ernennen. Auf Usedom wiederum trägt eine Boxhalle den Namen Ulli Wegner. „Das ist eine große Ehre für mich“, gibt der Box-Senior zu. Dann erzählt er: „Ich wurde in Gera nicht mit der Sänfte durch die Stadt getragen, aber mir wurden Chancen zur persönlichen Entwicklung geboten. Ich habe als Schlosser und Schweißer bei der Wismut untertage angefangen und in der BSG Wismut Gera geboxt. Wenn man so will, habe ich mich von ganz unten nach oben gearbeitet.“

Immer mit vollem Einsatz: „Ich habe Trainerlehrgänge besucht, erwarb im Abendstudium die Fachschulreife und den Meisterbrief. Mit 33 Jahren delegierte mich die Wismut nach Bad Blankenburg zum Sportlehrer-Studium. Ich lernte als Assistent von Hans Spazierer alle Feinheiten des Boxsports kennen. Danach kümmerte ich mich als Bezirkstrainer intensiv um den Nachwuchs in Gera, ehe ich 1979 nach Berlin zum TSC versetzt wurde.“

Auf 10.000 Mark Prämie wartet Wegner noch heute

René Ryl, Herbert Bauch oder Eike Walther hießen einige Top-Boxer, die beim Neuen trainierten. Wegner ist längst zum „Box-Magier“ aufgestiegen, hat Boxer wie Marco Rudolph zum Amateur-Weltmeister und die Berliner Oktay Urkal und Thomas Ullrich zu olympischen Medaillen geführt, ehe er sich 1996 in die Profiszene wagte.

„Die versprochenen 10.000 Mark Prämie für die beiden Medaillen 1996 haben übrigens nie den Weg auf mein Konto gefunden“, knurrt Wegner immer noch. Die DBV-Funktionäre reagierten damals sauer, weil der Bundestrainer zu den Profis wechselte. Und da ging es erst so richtig los.

Wegner: „Die Anforderungen an mich waren bei den Profis viel höher als bei den Amateuren. Die Jungen werden bis heute immer schwieriger. Sie kommen von der Straße wie Arthur Abraham, Marco Huck, Alexander Frenkel, Karo Murat oder Francesco Pianeta und verfügen kaum über Amateur-Erfahrung.“

Eiserne Disziplin statt flotter Sprüche und Disco

Was durchaus ein Problem ist: „Ich baue sie auf, dann haben sie Erfolg und nicht alle können damit umgehen. Ich musste ihnen beibringen, mit Siegen richtig zu leben. Überhaupt musste ich als Trainer viel Erziehungsarbeit übernehmen. Manchmal hole ich erst jetzt durch, wie bequem ich als Trainer in Gera lebte.“

Ulli erinnert sich immer wieder noch gern daran: „Die Burschen kamen – wie damals mein erster Profi-Weltmeister, der leider schon verstorbene Marcus Beyer – von der Kinder- und Jugendsportschule, wurden dort gut geführt, konnten sich benehmen und wussten, dass eiserne Disziplin zu einem erfolgreichen Leistungssportler gehört. Sportliches Können erwirbt man nun einmal nicht mit flotten Sprüchen und schon gar nicht in der Disco.“

„Ohne Sven Ottke hätte es keinen Abraham gegeben“

Zu den Lichtgestalten seiner Trainerlaufbahn zählt der Altmeister an erster Stelle Sven Ottke, der es als Weltmeister zu 22 erfolgreichen Titelverteidigungen brachte und bei der Aufnahme in die Hall of Fame die Laudatio auf Ulli hielt. „Svennie hat mir viel Freude bereitet. Er weiß, was es bedeutet, in der Weltspitze mitzuhalten. Ohne Svennie hätte es keinen Abraham, keinen Huck, keinen Murat und wahrscheinlich auch nicht eine so glanzvolle Boxerin wie Cecilia Braekhus gegeben. Nur weil Sven Ottke zum Weltmeister aufstieg, gestattet mir unser Chef Wilfried Sauerland, mit den unbekannten Amateuren und den Frauen zu arbeiten.“

Vor jedem Training knöpft sich Wegner deshalb seine Pappenheimer vor. 20 bis 25 Minuten dauerten seine Vorträge: „Als Trainer sah ich mich zu einer Rundum-Betreuung meiner Boxer verpflichtet. Wenn ich merke, hier läuft was schief, muss ich als Trainer eingreifen. Ich bin der einzige, der ehrlich mit ihnen spricht.“

Der „Blutkampf“ ebnete Arthur Abraha den Weg

Das schwere pommersche Blut kommt dem gebürtigen Stettiner, der im vorpommerschen Penkun aufwuchs, bei dem Nervenjob entgegen. Arthur Abraham ist – bei allen Querelen – dem Trainer besonders ans Herz gewachsen. Das hängt auch mit dem Kampf am 23. September 2006 in Wetzlar gegen den Kolumbianer Edison Miranda zusammen.

Arthur Abrahams Blutkampf 2006 in Wetzlar verlangte auch Ulli Wegner alles ab.
Arthur Abrahams Blutkampf 2006 in Wetzlar verlangte auch Ulli Wegner alles ab.Baering/Müller/Imago

„Arthur blutete aus dem Mund. Zuerst dachte ich, er hat sich nur auf die Lippe gebissen. Arthur hielt aber recht komisch den Mund offen. Da schoss es mir durch den Kopf – der Kiefer. Ich war hin und her gerissen. Was tun? Ich schickte Arthur zur siebenten Runde in den Ring. Der Junge boxte gigantisch. Am Ende hatte er gewonnen. Heute ist er mir dankbar, dass ich nicht das Handtuch geworfen habe. Hätte ich den Kampf beendet, wäre Arthur wahrscheinlich nie Weltmeister und lange nicht ein so populärer Athlet geworden“, glaubt Wegner.

Der Blutkampf ging in die deutsche Boxgeschichte ein. Abraham wurde operiert und der Kiefer mit 22 Nägeln gefestigt. Die Drahtstifte stecken immer noch in Arthurs Kiefer.

Der deutsche Boxsport macht Ulli Wegner Sorgen

Natürlich ist der Trainer stolz, wenn einer wie Cruisergewichtler Marco Huck den Weltmeister-Gürtel umlegen darf: „Der Junge kam mit 15 Amateurkämpfen zu mir, brachte nichts weiter mit als seinen Willen und seinen Mut. Bei mir wurde er zum Weltmeister. Ich bilde mir ein, etwas Besonderes geschafft zu haben. In nur sechs Jahren habe ich gemeinsam mit meinem Kollektiv wie Co-Trainer Georg Bramowski und Physiotherapeut Ralf Lewandowski, ein ehemaliger DDR-Spitzen-Eiskunstläufer, aus Marco einen Top-Boxer gemacht.“ Wegner grinst und fragt: „Ist es da übertrieben, wenn ich sage, Huck ist meine Doktorarbeit?“

Ulli Wegner machte auch Marco Huck (l.) zum Weltmeister, nennt ihn seine Doktorarbeit.
Ulli Wegner machte auch Marco Huck (l.) zum Weltmeister, nennt ihn seine Doktorarbeit.Mausolf/Imago

Manche Fernseh-Zuschauer mögen einst entsetzt zugehört haben, wenn Wegner in der Ringecke seine Boxer anbrüllte. Der Trainer poltert bei diesem Thema auch heute sofort los: „Ich muss mit den Jungs so sprechen. Sie stehen unter Hochspannung, müssen manchmal einen Treffer verarbeiten, da muss ich laut reden, bis ich in ihren Augen erkenne, dass sie mich verstanden haben.“

Brüllen würde er am liebsten auch heute immer wieder, wenn er an die aktuelle Lage im deutschen Boxsport denkt. Brüllen, um alle Beteiligten wachzurütteln. Stattdessen stochert Ulli in seinem Kuchen und sagt mit ernster Miene: „Wir haben in Deutschland talentierte Boxer und Boxerinnen. Sie müssen aber intensiv und systematisch gefördert werden, damit sie uns nicht verloren gehen.“