Donnerwetter, so was bekommt der Fan in deutschen Boxringen noch zu sehen? Beim Box-Abend des Magdeburger SES-Stalls kletterte vor einer Woche der Kubaner Osleys Iglesias (25) ins Seilgeviert. Er verteidigte seinen IBO-Weltmeistertitel gegen den Wolfsburger Artur Reis (30). „Da trifft Feuer auf Feuer“, hatte vor dem Kampf Reis-Trainer Dirk Dzemski (51) prophezeit. Am Beispiel dieses Kampfes kann man sehen, wie sich auch ein ausgemachter Experte irren kann.
Denn einen Boxer wie Iglesias gab es lange nicht mehr in einem deutschen Seilquadrat. Der in zehn Profikämpfen ungeschlagene Reis drehte sich schon in der ersten Runde wie ein Brummkreisel und saß einmal kurz auf den Brettern. Nach 38 Sekunden der vierten Runde war endgültig Schluss. Ein Arzt musste dem schwer angeschlagenen Reis wieder auf die Beine helfen.
Chemie-Pokal? Da blutet bei Ulli Wegner das Herz
Ulli Wegner (81) saß als Top-Experte und Deutschlands erfolgreichster Profi-Trainer (elf Weltmeister sowie mehrere olympische Medaillengewinner) am Ring und staunte: „Iglesias ist echte Weltklasse. Im Supermittelgewicht ist er die Nummer 1 auf der Welt. Bramo hat eine prima Arbeit geleistet.“ Bramo, das ist Wegners ehemaliger Co-Trainer Georg Bramowski (65).

Edelboxer Iglesias weilte mit der kubanischen Staffel 2019 beim ehemaligen Chemie-Pokal-Turnier, das von Halle nach Köln verlegt wurde. „Dort wurde der Chemie-Pokal verstümmelt und ist jetzt unbedeutend“, schimpft Wegner wohl zu Recht. Iglesias schien’s egal. Er setzte sich in Köln von den Kubanern ab und blieb in Deutschland.
„Der Boxer gab damals an, dass er unbedingt zu Olympia wollte. Er hatte gehofft, dass sein Landsmann Arlen Lopez nach den Spielen von Tokio zurücktritt und Iglesias als Nummer 1 im Supermittelgewicht in die kubanische Olympiamannschaft rückt“, erzählt Wegner. Doch da hatte Osleys die Rechnung ohne Lopez gemacht. Arlen holte sich in Tokio 2021 Olympiagold, lässt mit Blick auf Paris 2024 weiter die Fäuste fliegen.
Trainer Georg Bramowski hat bei Ulli Wegner gelernt
Iglesias landete nach seiner „Flucht“ bei Bramowski. Der Coach wiederum war seit Jahresfrist oft im „Schnee-Dom“ von Bispingen am Rande der Lüneburger Heide. Bramowski wandelte sich nicht zum Wedel-König. Seine Welt bleiben weiter die Boxringe. „Tornado-Fighting“ nennt sich der Boxstall, bei dem der „Trainer des Jahres 2021“ einen Job gefunden hat.
Bramowski: „Wir haben hier in einer Nebenhalle der Ski-Arena traumhafte Bedingungen mit allem, was man zur Ausbildung der Profiboxer benötigt.“ Star des Teams ist natürlich Osleys Iglesias Estrada, der sich im Herbst 2022 im polnischen Gleiwitz klar den IBO-WM-Titel im Supermittelgewicht gegen den Ukrainer Andrii Velikovskyi (29) erkämpfte.

Den bekanntesten Namen der Trainingsgruppe trug übrigens lange Joscha Blin (25), dessen im Vorjahr verstorbener Opa Jürgen (†79) vor 53 Jahren in Zürich spektakulär gegen Muhammad Ali (†74) bis zur siebenten Runde durchgehalten hatte. In Deutschland kletterten die Tornado-Boxer bisher eher selten in den Ring. „Wir boxten bisher vorwiegend in Polen“, sagt Bramowski.
Die Polen kennen Osleys Iglesias besser als die Deutschen
Der TV-Sender POL-SAT veranstaltet in jedem Jahre acht Boxabende, bei denen die Bispinger als Stammgäste durch die Seile klettern. Bramowski macht sich bei diesen Events nicht nur als Trainer, sondern auch als Dolmetscher einen Namen. Georg kam nämlich mit zehn Jahren mit den Eltern (sein Vater war Deutscher) von Beuthen (Bytom) nach Leipzig.
Eine Zeit lang hielt nach dem Aus des Sauerland-Boxstalls dann SES-Manager Ulf Steinforth (56) Bramowski und dessen Boxer über Wasser. Um aber einen Star wie Iglesias zu Titelkämpfen in den großen Verbänden wie WBA, WBO oder IBF zu verhelfen, fehlt den Magdeburgern wohl bis dato doch ein bisschen das Kleingeld.
So muss der Kubaner weiter auf seine Chance warten, kann aber voll auf die weitere Unterstützung des Chemnitzer Rechtsanwalts Markus Rese bauen, in dessen Fitness-Zentrum im Chemnitzer Stadtpark Bramowskis Boxer nun neben Bispingen Sandsäcke und Birne bearbeiten können.
Osleys Iglesias fand seine große Liebe in Sachsen
Linksausleger Iglesias fand zudem in Sachsen nicht nur mit Manager Rese und Trainer Bramowski beste sportliche Fachexperten. Mit Lucy traf der Ringheld dort auch seine große Liebe. Das Paar erwartet im Dezember – Osleys wird am 14. Dezember 26 Jahre alt – das erste Kind.

Inzwischen dreht auch Ulli Wegner mächtig mit am Rad und versucht, seine alten Verbindungen spielen zu lassen. „Iglesias ist ein begnadeter Boxer, für mich ist er im Mittel- oder Supermittelgewicht eine ganz große Nummer. Ich traue ihm durchaus einen WM-Sieg in einem großen Verband zu. Es wäre sehr schade, wenn wir einen solchen Boxer in Deutschland untergehen lassen“, wiederholte er noch mal seine Bewunderung.
SES-Boxstall hofft mit auf Chance bei Iglesias
Die Bewunderung teilt auch Box-Promoter Steinforth. SES-Pressechef Christof Haverkamp verriet hinter vorgehaltener Hand: „Wir wurden gerade in Puerto Rico von der WBO für unsere Arbeit sehr gelobt. Vielleicht tun sich auch bei uns Chancen für Iglesias auf. Wir bleiben dran und arbeiten hart weiter für den Jungen und für Bramo.“
Vielleicht bekommt Box-Deutschland ja doch durch SES und Iglesias wieder Spitzen-Kämpfe wie zu Zeiten von Maske, Beyer, Ottke oder Abraham zu sehen.