Donald Trump schießt sich bereits auf die mögliche neue Rivalin im Präsidentschaftsduell ein. „Sie ist so schlecht, sie ist so erbärmlich“, höhnt er über US-Vizepräsidentin Kamala Harris. Dabei geht er schon davon aus, dass sie ihren Chef Joe Biden als Präsidentschaftskandidatin ablösen wird. Trumps ebenso voreilige wie vehemente Attacke zeigt, dass er fest mit Harris rechnet, sollte Biden trotz seiner Dementis doch aus dem US-Präsidentschaftsrennen aussteigen.
In der von Panik gefärbten Debatte der US-Demokraten über Biden seit dem desaströs fahrigen und wirren Aufritt des 81-Jährigen im Fernsehduell gegen Trump hat Harris nicht die winzigsten Risse in ihrer Loyalität zum Präsidenten erkennen lassen. „Biden ist unser Kandidat“, sagte sie dem Sender CBS News. „Wir haben Trump einmal geschlagen, und wir werden ihn wieder schlagen, Punkt.“
Sollte aber der mit massiv gewachsenen Zweifeln an seiner mentalen Eignung fürs Präsidentenamt konfrontierte Biden aussteigen, hätte die Vizepräsidentin wohl gute Chancen, auf die erste Stelle des Wahltickets vorzurücken.
Ihr würden alle bisherigen Spenden an das Team zufallen
Zwar besteht dafür kein Automatismus. Durch ihr Amt ist Harris designiert, Biden als Präsident zu ersetzen, sollte dieser durch Tod oder Krankheit ausfallen – seine automatische Nachrückerin in der Wahlkandidatur ist sie hingegen nicht. Doch gegenüber den anderen gehandelten Ersatzkandidaten wie etwa dem Gouverneur von Kalifornien, Gavin Newsom, oder der Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, hätte Harris mehrere Vorzüge zu bieten – nicht zuletzt einen finanziellen.

Da sie als erneute Kandidatin für das zweithöchste Staatsamt eine gemeinsame Wahlkampagne mit Biden führt, würden ihr bei dessen Ausstieg alle bisherigen Spenden an das Biden-Harris-Team zufallen – ein nicht zu unterschätzender Vorteil. Zudem hat sie als Biden-Vize bereits in den vergangenen Monaten intensiv Wahlkampf geführt – vor allem im Rahmen einer Kampagne für das Abtreibungsrecht, die sie kreuz und quer durchs Land geführt hat. Damit hat sie bereits in einem der zentralen Wahlthemen an Profil gewonnen.
Der Kolumnist Paul Waldman nannte Harris auf der Plattform des Senders MSNBC die „offensichtliche Erbin“ Bidens. Die Tochter eines Jamaikaners und einer Inderin zu übergehen, würde seiner Ansicht nach auch als „Beleidigung schwarzer Frauen, eine der wichtigsten Wählergruppen der Partei“, aufgefasst werden.
Die frühere Generalstaatsanwältin von Kalifornien und US-Senatorin war im Januar 2021 mit großen Erwartungen Vizepräsidentin geworden: Als erste Frau und erste Schwarze in dem Amt schrieb sie Geschichte, der Posten galt bereits damals als Sprungbrett für eine spätere eigene Präsidentschaftskandidatur.
Als Vizepräsidentin blieb sie über weite Strecken blass
Allerdings blieb Harris dann als Vizepräsidentin über weite Strecken eher blass. Dies lag teilweise am Amt selbst: Vizepräsidenten haben es in den USA meist schwer, aus dem großen Schatten des Präsidenten hervorzutreten.
Biden übergab seiner Stellvertreterin zudem manche eher undankbare und komplizierte Aufgabe, so war sie zeitweise für den Umgang mit der Migrationskrise an der Grenze zu Mexiko zuständig. Harris stand sich aber auch wiederholt selbst im Weg. In Interviews und anderen öffentlichen Auftritten leistete sie sich mehrere Patzer, nicht immer wirkte sie souverän.

Die Demokraten können also nicht unbedingt erwarten, dass sie mit Harris rasch und klar Trump überflügeln würden. In einer vier Tage nach dem Biden-Trump-Duell veröffentlichten CNN-Umfrage schnitt sie zwar besser gegen den voraussichtlichen Präsidentschaftskandidaten der Republikaner ab als Biden, blieb aber gleichfalls hinter Trump: Mit 45 Prozent lag sie zwei Punkte hinter dem Republikaner, während Biden mit 43 Prozent sechs Punkte zurückblieb.
Noch ausreichend Zeit, um bei der Wählerschaft Punkte zu sammeln
Allerdings hätte Harris als Nachrückerin für Biden durchaus noch ausreichend Zeit, um bei der Wählerschaft Punkte zu sammeln – nicht zuletzt mit dem Abtreibungsrecht, dessen landesweite Abschaffung durch das konservativ dominierte Oberste Gericht vor zwei Jahren weitverbreitete Frustration und Empörung ausgelöst hat.
Und in ihrer Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulisten könnte Harris auch ihre ganze Erfahrung als einstige Generalstaatsanwältin ausspielen: Trump, seit dem Schuldspruch im New Yorker Schweigegeldprozess der erste strafrechtlich verurteilte Ex-US-Präsident der Geschichte und zudem mit drei weiteren strafrechtlichen Anklagen konfrontiert, wäre insofern ein Kontrahent, der zu Harris passt. ■