So etwas gab es in der amerikanischen Hinrichtungs-Hochburg Texas noch nie. Obwohl es offene Zweifel an der Schuld von Todeskandidat Robert Robertson gibt, lehnte zuletzt der Begnadigung- und Aufschub-Ausschuss und der Gouverneur von Texas eine Verschiebung der Hinrichtung ab. Bis ausgerechnet Politiker des Repräsentantenhaus eingriffen.
In einer bislang einmaligen Aktion schickte der Ausschuss des Komitees für Kriminalangelegenheiten dem Häftling eine Zwangsvorladung für den 21. Oktober – womit sich die Justizbehörden strafbar gemacht hätten, wenn sie die gesetzlich bindende Einladung durch die Exekution verhindert hätten. Der juristische Schachzug funktionierte und der Henker wurde in letzter Minuten nach Hause geschickt.
Hinter dem Fall Robertson steckt ein trauriges Familiendrama. Seine zweijährige Tochter Nikki wurde am 28. Januar 2002 mit hohem Fieber, einer Atemwegsinfektion, Erbrechen und Durchfall in die Notaufnahme gebracht. Sie starb am 1. Februar. Laut Robertsons Anwälten beschlossen die Cops den Vater wegen Mordes festzunehmen, weil es angeblich Anzeichen von Baby-Schütteltrauma gegeben habe.

Im Prozess sagte ein Notarzt und eine Krankenschwester aus, dass Robertson bei der Einlieferung seines todkranken Kindes „kalt und abweisend“ gewesen war. Erst nach der Verurteilung wegen Mordes zum Tode 2003 kam heraus, dass Robertson an Autismus leidet und deshalb nicht in der Lage ist, offen Gefühle zu zeigen.
Robert Robertson pocht seit 20 Jahre auf seine Unschuld
Robertson, der seit 20 Jahren auf seine Unschuld pocht, überzeugte das „Innocence Project“ für unschuldig verurteilte Todeskandidaten, sich seines Falles anzunehmen. Dieser versuchten vergeblich, die Gerichte dazu zu bringen, die Verurteilung noch einmal neu zu beleuchten.
Und das, obwohl sie die eidesstattlichen Erklärungen von medizinischen Experten vorlegen konnten, dass das sogenannte Baby-Schütteltrauma auf „pseudowissenschaftlichen Anhaltspunkten basiert“ und dass Staatsanwälte - wie im Fall von Robertson - „die Diagnose für ihre Zwecke missbraucht haben“.

Der Untersuchungsausschuss im texanischen Repräsentantenhaus hatte am Morgen des Hinrichtungstages die eidesstattliche Aussage eines Experten gehört. Dieser sagte aus, dass alle Beweise der Autopsie und des Krankenhausberichts darauf hindeuten, dass Nikki allein an den Komplikationen einer bakteriellen und viralen Lungenentzündung gestorben war.
Zudem sagte Brian Wharton, der ehemalige Chef-Ermittler der Polizei, aus, dass er seine Rolle bei der Verurteilung des Vaters tief bereue. Denn er und sein Team hätten damals alle anderen Erklärungen für den Tod des kleinen Mädchens ignoriert und sich allein darauf fokussiert, Robertsons Verurteilung zu garantieren – „obwohl ich selbst Zweifel an seiner Schuld hatte“.
Robertsons Anwältin Gretchen Sween lobte in einer Pressemitteilung die „mutigen texanischen Politiker beider Parteien“, die ihrem Mandanten überraschend ein neues Fünkchen Hoffnung gaben: „Robert lebt, um einen weiteren Tag kämpfen zu können. Wir hoffen, dass wir durch seine Erfahrungen die Integrität des Kriminal- und Justizsystems verbessern können!“ ■