„Pfeile des Nordens“

Hunderte Tote bei Israels Militäraktion – eskaliert der Krieg?

Die folgenschwersten Angriffe Israels im Libanon seit fast zwei Jahrzehnten schüren die Sorge vor einer unkontrollierbaren Eskalation in der Region.

Author - Michael Heun
Teilen
Getroffen von israelischen Raketen: Rauchwolken über dem südlichen Libanon.
Getroffen von israelischen Raketen: Rauchwolken über dem südlichen Libanon.Hussein Malla/AP

Der Konflikt im Nahen Osten spitzt sich weiter zu: Nach den massiven israelischen Luftangriffen im Libanon, die am Montag fast 500 Todesopfer forderten, droht Iran nun mit „unumkehrbaren“ Konsequenzen. Die Welt blickt besorgt auf die Region. Ein großflächiger Krieg wird immer wahrscheinlicher.

Israelische Jets hatten am Montag mehr als 1300 Ziele im Süden und Osten des Libanon bombardiert. Die Angriffe galten militärischen Stellungen der Hisbollah, der schiitischen Miliz, die von Iran unterstützt wird. Bei den Angriffen wurden nach Angaben von Verteidigungsminister Joav Galant Zehntausende Raketen der Hisbollah zerstört. Dabei sollen aber auch 35 Kinder und 58 Frauen ums Leben gekommen sein, wie libanesische Behörden berichten.

Die israelische Armee verteidigt den Militäreinsatz unter dem Codenamen „Pfeile des Nordens“ und erklärt, man habe „eine große Zahl“ an Hisbollah-Mitgliedern eliminiert. Doch für die Zivilbevölkerung im Libanon wird die Lage immer bedrohlicher.

Iranische Spitzenpolitiker schlagen Alarm. Präsident Masoud Pezeshkian warf Israel vor, sein Land bewusst in den Konflikt hineinziehen zu wollen. „Wir wollen keinen Krieg“, erklärte Pezeshkian bei der Uno-Vollversammlung in New York, fügte aber hinzu, dass Israel mit den jüngsten Aktionen eine fatale Eskalation herbeiführe. Iran unterstütze die Hisbollah zwar, wolle aber keinen ausgewachsenen Konflikt.

USA zeigen sich besorgt über Entwicklung

Die USA, ein enger Verbündeter Israels, zeigen sich besorgt über die jüngsten Entwicklungen. Ein hochrangiger US-Diplomat, der anonym bleiben wollte, äußerte gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters deutliche Kritik an der israelischen Vorgehensweise. „Ich kann mich nicht erinnern, dass eine Eskalation je zu einer langfristigen Deeskalation geführt hat“, sagte der Beamte und betonte, dass Washington nicht von einer Bodeninvasion im Libanon überzeugt sei. Hinter den Kulissen suchen die USA nach diplomatischen Lösungen, um den „Kreislauf von Angriff und Gegenangriff“ zu durchbrechen.

Auch aus Europa kommen besorgte Stimmen. Josep Borrell, der EU-Außenbeauftragte, warnte eindringlich vor einer „gefährlichen Gewaltspirale“, die den Nahen Osten an den Rand eines großflächigen Krieges bringe. Die EU setzt ihre Bemühungen zur Deeskalation fort, doch angesichts der steigenden Opferzahlen fordert Borrell ein entschlossenes Eingreifen der internationalen Gemeinschaft.

Beirut: Rettungskräfte durchsuchen die Trümmer auf der Suche nach vermissten Personen am Ort des israelischen Angriffs vom Freitag.
Beirut: Rettungskräfte durchsuchen die Trümmer auf der Suche nach vermissten Personen am Ort des israelischen Angriffs vom Freitag.Hassan Ammar/AP

Netanjahu wendet sich ans libanesische Volk

Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu wandte sich mit einer Botschaft direkt an das libanesische Volk: „Israels Krieg ist nicht mit euch, sondern mit der Hisbollah“, sagte er. „Die Hisbollah hat euch schon allzu lange als menschliche Schutzschilde missbraucht.“ Um Israel gegen Hisbollah-Angriffe zu verteidigen, müssten die Waffen der Miliz unschädlich gemacht werden, sagte Netanjahu.

Im Süden des Libanons brach Panik unter den Menschen aus, viele flohen in Richtung Beirut oder andere Orte im Norden des Landes. Auf den Straßen kam es zu langen Staus, Schulen wurden in Notunterkünfte umgewandelt. Es herrsche „Panik und Chaos“, berichteten Augenzeugen. Nach den Bombardierungen im Süden griff Israels Luftwaffe auch Stellungen in der Bekaa-Ebene im Nordosten des Libanons an, wie es aus Sicherheitskreisen hieß.

Die israelische Regierung beschloss nach den Luftangriffen in Erwartung von Gegenschlägen einen landesweiten Ausnahmezustand. Dieser hat auch zur Folge, dass die Größe von Versammlungen eingeschränkt werden kann. In der Nacht wurde in vielen Ortschaften im Norden Israels erneut Raketenalarm ausgelöst.

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. ,
Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel. ,Pool European Pressphoto Agency/dpa

Frankreich beantragt Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrats

Frankreich hat bereits reagiert und eine Dringlichkeitssitzung des Uno-Sicherheitsrats beantragt. „Hunderten Menschen im Libanon wurde das Leben genommen, und wir können nicht einfach zusehen“, erklärte Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot. Auch Ägypten ruft die internationalen Mächte zum sofortigen Handeln auf.

Die G7-Staaten gaben eine gemeinsame Erklärung heraus, in der sie vor den unvorstellbaren Folgen eines weiteren Konflikts in der Region warnten. „Aktion und Reaktion drohen, den gesamten Nahen Osten in einen größeren Krieg zu stürzen“, hieß es darin. Die Welt müsse nun alles daransetzen, diese Eskalation zu stoppen.

Autos stehen auf der Straße nach Beirut im Stau. Die Menschen fliehen vor den israelischen Luftangriffen aus den Dörfern im Süden fliehen.
Autos stehen auf der Straße nach Beirut im Stau. Die Menschen fliehen vor den israelischen Luftangriffen aus den Dörfern im Süden fliehen.Mohammad Zaatari/A

Währenddessen beherrscht die Krise im Nahen Osten auch die Uno-Generaldebatte in New York, bei der Staats- und Regierungschefs aus aller Welt zusammenkommen. Uno-Generalsekretär António Guterres wird in den kommenden Tagen deutlich Stellung beziehen, um eine weitere Verschärfung der Lage zu verhindern. Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock ist vor Ort und will in ihrer Rede auf die dramatische Situation im Nahen Osten eingehen. ■