Für 14 Stunden galt der Australier Benjamin Cohen ein Messer-Mörder. So lange dauerte es, bis der wirkliche Täter der Messerattacke von Sydney identifiziert war und bekannt wurde, dass er an einer psychischen Krankheit litt. Bis zu diesem Zeitpunkt verbreitete sich im Internet die Falschinformation, dass der jüdische Student Cohen die sechs Menschen ermordet habe. Verantwortlich für die Lüge waren rechte Hetzer, Judenhasser und prorussische Aktivisten. Denen könnte nun eine massive Zivilklage drohen.
Nach der Attacke in dem Einkaufszentrum in Sydney, bei der sechs Menschen getötet wurden, hatten mehrere Konten in den sozialen Medien Fotos und persönliche Informationen von Benjamin Cohen geteilt. Darin wurde der 20-Jährige beschuldigt, der Amokläufer zu sein. Zudem wurden Falschinformation verbreitet, in denen er wahlweise als islamistischer Terrorist oder Zionist dargestellt wurde.
Student wird Opfer von Hetzjagd nach Messerattacke in Sydney
„Es ist äußerst enttäuschend zu sehen, wie Tausende von Menschen gedankenlos Fehlinformationen verbreiten, ohne sich auch nur im Geringsten Gedanken über die Überprüfung der Fakten oder die Folgen für das wirkliche Leben zu machen“, sagte Cohen gegenüber dem australischen Rundfunksender ABC. „Und dann nutzen sie diese Informationen, um eine Agenda durchzusetzen und Hass zu verbreiten.“
@the.australian Channel 7 has blamed “human error” for identifying the wrong man as the knife-wielding murderer who killed six people at Sydney’s Bondi Junction Westfield on Saturday. This is Ben Cohen, falsely named as the murderer, who is a first-year UTS student. The murderer’s name was Joel Cauchi.
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Direkt im Anschluss an die Attacke kursierten Videos von dem Amokläufer. Dazu verbreiteten die Konten Falschinformationen, dass es sich bei ihm um einen Mann aus dem Nahen Osten handele. Dabei war der Täter ein 40-jähriger Australier, ohne Bezug islamistischen Netzwerken. Kurz darauf tauchte der erste Post von einem Account auf, der behauptete, dass es sich bei dem Täter um „Benjamin Cohen aus Bondi Sydney“ handele. Dazu schrieb der Account auf der Plattform X (zuvor Twitter): „Nur ein Jude würde ein Baby erstechen. Jetzt macht es Sinn.“ Auch sonst verbreitet das Profil vor allem antisemitische und frauenfeindliche Hetze. Mittlerweile wurde es gelöscht.
Zunächst wird vor allem von der britischen konservativen Talkshow-Moderatorin Julia Hartley-Brewer behauptet, dass es ein islamistischer Terrorist gewesen sei.

Prorussische Aktivisten verbreiten Falschinformationen über Messer-Mörder
Erst drei Stunden später greifen prorussische Aktivisten die Falschinfos auf. Simeon Boikov sitzt im russischen Konsulat in Sydney und hat dort politisches Asyl beantragt. Die australischen Behörden suchen ihn per Haftbefehl. Er schrieb, dass ihm Abonnenten die Informationen zur Identität des Angreifers aus dem Einkaufszentrum bestätigt hätten. Zudem postete er einen Screenshot vom Profil Cohens im Karrierenetzwerk LinkedIn. Die Informationen seien unbestätigt. In weiteren Posts wiederholt er die Hetze gegen den jüdischen Studenten.
Auch die Nutzerin Maram Susli verbreitet die Information weiter. Die Australierin mit syrischen Wurzeln verbreitet immer wieder Falschinformationen und Propaganda zur Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien, des Iran, Russlands und der palästinensischen Terrorgruppe Hamas. Zudem kommentiert sie: „Wenn das stimmt, würde das erklären, warum ich dachte, dass er israelisch aussieht.“

Nachrichtensender greift Falschinformation auf
Über Nacht verbreitet sich die Falschinformation mit dem Namen und Bildern von Cohen viral. Vor allem Konten mit rechtsradikaler Hetze teilen sie. Innerhalb weniger Stunden wird der Name des Studenten in dem Online-Netzwerk 72.000 Mal genannt. Am Sonntagmorgen dann hat der Post so viel Dynamik in den Netzwerken erzeugt, dass sogar der Sender 7 News die Falschnachricht verbreitet und den 40-jährigen Angreifer als Benjamin Cohen benennt.
Besonders propalästinensische und antisemitische Profile wiederum greifen nun die vermeintliche Nachricht auf und teilen wiederum Screenshots davon – die einen als Beweis, dass eine antisemitische Verschwörung die wahre Identität des angeblich muslimischen Killers verdecke. Die anderen meinen, dass die Behörden versuchten, die Gewalttat eines Zionisten zu verbergen.
Auch die Syrerin Maram Susli verbreitet nun wieder den Nachrichtenbeitrag und sieht ihn als Bestätigung, dass es ein jüdischer Angreifer gewesen sei.

14 Stunden lang Messermörder
Erst gegen 8.30 Uhr am Sonntagmorgen veröffentlicht die Polizei des Bundesstaates New South Wales den wahren Namen des Killers: Joel Cauchi. Der 40-Jährige ist weder Moslem noch Jude. Stattdessen soll der Mörder psychisch krank gewesen sein.
Eine Stunde später veröffentlicht Simeon Boikov, der im russischen Konsulat Asyl gesucht hat, eine Entschuldigung. „Frühere unbestätigte Berichte, in denen über die mögliche Identität des Mannes als David Irvine oder Ben Cohen spekuliert wurde, haben sich nicht bestätigt. Verzeihung.“ Zu diesem Zeitpunkt dürfte ihm bereits geblüht haben, dass die Online-Hetzjagd Konsequenzen haben könnte.
Hetzjagd könnte Konsequenzen für Verursacher haben
Die prorussische Propagandistin Susli rechtfertigte die Verbreitung der Falschnachricht damit, dass sie die Information vom Sender 7 News verbreitet habe. Doch ihren ersten Beitrag mit dem Namen Benjamin Cohen veröffentlichte sie lange vor dem Bericht des Senders. Sie behauptet nun ihrerseits, dass sie nun Opfer einer Hetzjagd werde und eigentlich unschuldig sei. Der Sender 7 News wiederum schob sein Versagen auf einen individuellen menschlichen Fehler. Wie der entstanden sei, dazu sagte ein Sprecher des Senders auf Anfrage von ABC nichts.
Für die Verbreiter der Falschnachrichten könnte die Geschichte dennoch Konsequenzen haben. Denn Experten sehen die Desinformationskampagne als sehr gefährlich an. „Es bestand ein sehr ernstes Risiko für seine persönliche Sicherheit“, so die Expertin Elise Thomas vom Institute for Strategic Dialogue gegenüber ABC.
Wie berichtet wird, hat sich der Student Benjamin Cohen entschieden, rechtlich gegen die Verursacher der Hetzjagd vorzugehen. Laut dessen Vater hat man eine Anwaltskanzlei in dem Fall beauftragt. Sie ist spezialisiert auf Rufmord-Kampagnen. ■