An ihrem Körper hängen Flügel und Beine von Insekten, Panzer von Käfern und Köpfe von Ameisen. Eine Rüstung aus toten Körperteilen. Klingt nach Horror-Film, ist aber der Tarnmantel einer neu entdeckten Raupe, der Knochensammler-Raupe. Was es noch gruseliger macht: Die Körperteile stammen von ihrer Beute. Knochensammler-Raupen sind Fleischfresser.
Wissenschaftler entdeckten die skurrilen Insektenlarven in einem kleinen, 15 Quadratkilometer großen Stück Bergwald auf der Hawaii-Insel O'ahu, wie sie im Fachblatt „Science“ berichten. Dass sie erst jetzt entdeckt wurden, liegt nicht nur an der zwar makaberen, aber recht guten Tarnung. Es gibt wohl auch nicht viele von den Knochensammler-Raupen: Nach Jahren der Suche seien gerade einmal 62 Exemplare beobachtet worden.
In ihren Seiden-Kokon webt die Raupe die toten Körperteile
Vermutlich um selbst nicht gefressen zu werden, umgibt sich die nur wenige Millimeter große Raupe mit einem Kokon aus Seide, den sie mit den ungenießbaren Teilen ihrer Beutetiere schmückt. „Die Körperteile werden sorgfältig auf ihre Größe hin vermessen, bevor die Raupe sie in ihre Sammlung einwebt“, schreiben die Wissenschaftler. Jeder potenzielle Neuzugang werde mehrmals gedreht, mit den Mundwerkzeugen ertastet, und überwiegend auf eine Größe herunter gekaut, die in die Hülle passe.
Ungewöhnlich ist auch das Jagdverhalten der Knochensammler-Raupe. Die Motten-Larve der Gattung Hyposmocoma lebt ausschließlich in Spinnennetzen, die in Baumhöhlen oder Felsspalten gewoben wurden. Die Raupen kriechen durch diese Netze auf der Pirsch nach geschwächten, sterbenden oder kürzlich gestorbenen anderen Insekten, die sich im Netz verfangen haben. Sie klauen also den Spinnen die Beute. Auch vor Artgenossen machen sie nicht halt und kannibalisieren diese, falls sie auf ein kleineres Exemplar treffen.

Dass die außergewöhnliche neue Art ausgerechnet auf Hawaii entdeckt wurde, ist den Wissenschaftlern zufolge kein Zufall: Die geografische Isolation der Inselgruppe habe eine ganze Reihe bizarrer Arten hervorgebracht, darunter Libellenlarven, die auf dem Land und nicht im Wasser leben, Spinnen, die ihre Beute aus der Luft aufspießen, und eine ganze Reihe fleischfressender Raupen. Solche karnivoren Raupen sind für sich schon eine Seltenheit: Unter den fast 200.000 derzeit bekannten Motten- und Schmetterlingsarten weisen gerade einmal 0,1 Prozent der Larven ein solches räuberisches Verhalten auf.
Die Strategie der Knochensammler-Raupen und ihrem gruseligen Gewand scheint aufzugehen: Bislang hätten sie noch keine von Spinnen erlegte oder gefangene Knochensammler-Raupe beobachtet, heißt es in der Studie. ■