Jede fünfte Frau in Deutschland hat keine Kinder. Diejenigen, die sich aktiv dagegen entschieden haben, nennen sich kinderfrei. Nicht kinderlos, weil es ihre freie und selbstbestimmte Entscheidung ist. Warum stehen kinderfreie Menschen, besonders Frauen, aber so einer ablehnenden Haltung in der Gesellschaft gegenüber? Und: Sind sie wirklich so egoistisch, wie es das Klischee sagt? Prof. Dr. Claudia Rahnfeld ist Professorin für Sozialwissenschaften an der dualen Hochschule in Gera und hat genau diese Fragen in ihrer Studie „Gewollte Kinderlosigkeit“ gemeinsam mit Annkatrin Heuschkel untersucht.
Gesellschaftlicher Druck auf Frauen ist sehr hoch
„Frauen können es heutzutage immer noch niemandem recht machen“, erklärt Prof. Dr. Rahnfeld. Auf die Aussage, dass kinderfreie Frauen egoistisch sind, hat sie eine klare Antwort: „Man kann nicht ernsthaft wollen, dass Frauen nur aufgrund des gesellschaftlichen Drucks Mutter werden. Es gibt immer noch Frauen, die sich trotz all der Debatten nicht frei entscheiden können, ich nehme mich da selbst nicht raus, weil dieser gesellschaftliche Druck enorm ist.“
Doch nur weil Frauen keine Kinder bekommen wollen, heißt es nicht, dass sie Kinder grundsätzlich ablehnen. Die Studie belegt, dass viele der befragten Frauen sehr sozial veranlagt sind und sich gerne um Kinder anderer kümmern.
Warum entscheiden sich Frauen aktiv dagegen, ein Kind zu bekommen?
Grundsätzlich gelte, dass der „innere Mutterwunsch“, der irgendwann bei jeder Frau einsetze, ein Mythos sei. 50 Prozent der kinderfreien Frauen treffen laut der Studie ihre Entscheidung bereits vor ihrem 21. Lebensjahr und bereuen diese auch im hohen Alter nicht. Gesellschaftlich stießen sie jedoch auf großen Widerstand. Viele Frauen müssten sich rechtfertigen, und nicht wenige nutzen „sozialverträglichere“ Ausreden wie „Es hat einfach nicht geklappt“, um weniger Angriffen ausgesetzt zu sein.
„Solange ein Kind noch dazu beiträgt, dass Frauen am Arbeitsmarkt zurückgestoßen werden und solange sich ein Kind fast ausschließlich im Lebenslauf einer Frau niederschlägt und in dem eines Mannes so gut wie gar nicht, können wir noch nicht über Gleichstellung sprechen“, erklärt Prof. Dr. Rahnfeld.

„Menschen fällt es schwer, von traditionellen Familienbildern abzuweichen“
Prof. Dr. Rahnfeld bemerkt, wie stigmatisiert Frauen in der Gesellschaft sind, wenn sie sich gegen Kinder entscheiden. Sie sieht in dieser Ablehnung eine klare Ursache: „Das hat tief verwurzelte soziale und psychologische Gründe. Menschen fällt es schwer, von traditionellen Familienbildern abzuweichen, weil diese Sicherheit bieten. Eine Abweichung wird oft als Angriff auf das eigene Lebensmodell empfunden. Besonders in den Krisenzeiten, in denen wir uns aktuell befinden, lässt sich das feststellen.“ Doch das kann nicht die Lösung sein, findet die Wissenschaftlerin. „Wir müssen gesellschaftlich offener über das Thema reden und traditionelle Vorstellungen aufbrechen. Politische Konzepte sollten nicht mehr auf traditionellen Familienbildern basieren. Es braucht neue Formen der Fürsorge und Gleichstellung.“
Dabei darf ihrer Meinung nach die Realität nicht aus den Augen verloren werden. „Die Reproduktionsrate in Deutschland und Europa liegt seit Jahren unter dem Niveau, das zur Erhaltung notwendig ist. Das führt zu realen gesellschaftlichen Herausforderungen wie dem Fachkräftemangel.“ Claudia Rahnfeld ist jedoch der Meinung, dass es zu kurz gedacht wäre, dafür die Frau zur Verantwortung zu ziehen: „Die Frage ist, wie wir damit umgehen: Bleiben wir an alten Modellen hängen oder entwickeln wir neue Konzepte?“ Die Frage nach der Mutterschaft solle eine Überlegung sein, die jede Frau anstellen dürfe. Ohne Druck, ohne Stigmata. Denn Frauen seien erst mal Frauen, keine Mütter.