Deutsche OP-Pannen

Frau (39) soll an Zyste operiert werden – und wird versehentlich sterilisiert

Immer wieder passieren schwere Fehler in den Krankenhäusern. Experten gehen von mehreren Tausend Todesfällen durch Behandlungsfehler aus. 

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In deutschen Krankenhäusern kommt es bei Operationen immer wieder zu schweren Fehlern mit fatalen Folgen.
In deutschen Krankenhäusern kommt es bei Operationen immer wieder zu schweren Fehlern mit fatalen Folgen.Uew Anspach/dpa

Wenn man operiert wird, setzt man alle Hoffnung darauf, dass der OP-Arzt auch weiß, was er da tut. Aber immer wieder kommt es in deutschen Operationssälen zu schweren Pannen. Patienten oder Körperteile werden verwechselt, die falschen Medikamente verabreicht oder Gegenstände nach Operationen unbeabsichtigt im Körper zurückgelassen. Solche schwerwiegenden Fehler von Ärzten nennt der Medizinische Dienst „Never Events“. Versehen, die laut Gutachtern niemals passieren dürften und vermeidbar wären.

So ein „Never Event“ ist auch einer 39-jährigen Frau passiert. Sie sollte wegen einer Zyste operiert werden. Doch als sie nach der Narkose wieder aufmachte, musste sie feststellen, dass sie sterilisiert worden war. Der Grund: Sie wurde im Krankenhaus mit einer anderen Frau verwechselt. 

Rund 150 Versehen dieser gravierenden Art registrierten die Gutachter im vergangenen Jahr. Das teilte der Medizinische Dienst bei der Vorstellung seiner Jahresstatistik 2023 in Berlin mit. Er fungiert als Begutachter für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherungen. Insgesamt 75 Patienten starben demnach wegen der Fehler von medizinischem Personal. Im Jahr davor führten die Fachleute 84 Todesfälle auf solche Fehler zurück.

Experten gehen von 17.000 vermeidbaren Todesfällen aus

„Um solche Ereignisse zu verhindern, brauchen wir eine Meldepflicht“, fordert der Vorstandschef des Medizinischen Dienstes Bund, Stefan Gronemeyer. Da es diese in den Krankenhäusern aktuell nicht gibt, erfasst die Statistik nur Fälle, die auf die Initiative der Patienten zurückgehen. Denn aktuell läuft es so: Wer das Gefühl hat, dass bei der eigenen Behandlung ein Fehler passiert ist, der kann sich an seine gesetzliche Krankenkasse wenden. Diese können dann den Medizinischen Dienst einschalten, um den Fall klären zu lassen. Erst dann landet der Fall in der Statistik. Fast 12.500 Mal kam es 2023 dazu, das sind rund 600 Gutachten weniger als im Vorjahr.

In den meisten Fällen (71,1 Prozent) wiesen die Fachleute dem medizinischen Personal kein Fehlverhalten nach. In rund jedem fünften Fall (21,5 Prozent), also bei 2679 Behandlungen, erlitten Patienten wegen eines Fehlers der Mediziner einen Schaden. Bei allen weiteren Gutachten lag entweder kein Schaden vor, oder es konnte kein eindeutiger Zusammenhang zwischen Schaden und Fehlverhalten nachgewiesen werden.

Schockierend: Bei knapp einem Drittel (29,7 Prozent) der Betroffenen bleiben die durch die OP verursachten Schäden dauerhaft. 180 der fehlerbedingten Dauerschäden stufte der Medizinische Dienst im vergangenen Jahr als schwer ein. Das bedeutet: Patienten sind nun pflegebedürftig, blind oder gelähmt.

Die Dunkelziffer der Behandlungsfehler sei insgesamt wahrscheinlich deutlich höher. Gronemeyer verweist darauf, dass Fachleute davon ausgehen, dass es bei etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen zu Fehlern und vermeidbaren Schäden komme: „Demnach sind jedes Jahr 168.000 Patientinnen und Patienten davon betroffen. Die Experten gehen von circa 17.000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen aus.“

Dr. Stefan Gronemeyer ist Vorstandschef des Medizinischen Dienstes Bund: Er fordert eine Meldepflicht für Behandlungsfehler.
Dr. Stefan Gronemeyer ist Vorstandschef des Medizinischen Dienstes Bund: Er fordert eine Meldepflicht für Behandlungsfehler.Jürgen Heinrich/imago

Fehler bei chirurgischen Eingriffen sind für Patienten in der Regel leichter zu erkennen als zum Beispiel Medikationsfehler. Die meisten der Vorwürfe (29,5 Prozent) beträfen daher die Orthopädie und die Unfallchirurgie, heißt es. Rund zwei Drittel aller Vorwürfe bezogen sich auf den stationären Sektor, meist Kliniken.

Patientenvertreter fordern Härtefallfonds

Damit aus diesen Fehlern gelernt werden kann und sie sich nicht wiederholen, braucht es nach Ansicht des Medizinischen Dienstes eine Pflicht, solche Fälle zu melden – sanktionsfrei und pseudonymisiert. „Wenn solche Fehler passieren, dann bestehen Risiken im Versorgungsprozess, denen systematisch nachgegangen werden muss“, fordert Gronemeyer. Er kritisiert, dass die von der Bundesregierung geplante Krankenhausreform keine Verfahren zur Vermeidung von Fehlern enthalte. Diese seien im Ausland längst üblich.

Auch die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte den Umgang mit Fehlern in der Medizin scharf. „Patientinnen und Patienten werden hierzulande im Stich gelassen. Denn eine Fehlerkultur in Praxen und Pflegeheimen ist nicht existent“, erklärt der Vorstand der Stiftung, Eugen Brysch.

Auf dpa-Anfrage teilt das Bundesgesundheitsministerium mit, Kliniken und Praxen seien bereits gesetzlich verpflichtet, Fehlermeldesysteme umzusetzen. „Sowohl im vertragsärztlichen Bereich als auch in Krankenhäusern verdeutlichen Auswertungen einen hohen Umsetzungsstand von Fehlermanagement und Fehlermeldesystemen“, heißt es aus dem Ministerium.

Damit Betroffene entschädigt werden könnten, brauche es einen Härtefallfonds, wie er im Koalitionsvertrag versprochen sei. „Es kann nicht sein, dass die Geschädigten viele Jahre warten müssen, um zu ihrem Recht zu kommen“, kritisiert Brysch und fordert vom Gesundheitsminister einen Gesetzesentwurf. Das Ministerium teilt mit, es werde geprüft, ein Konzept für die Ausgestaltung eines Härtefallfonds in Auftrag zu geben.