Staatstrauer angeordnet

Flut-Drama in Spanien: „Ich hielt ihre Hand, doch die Strömung riss sie fort“

Überlebende berichten von der Katastrophe. In manchen Regionen war in ein paar Stunden so viel Regen gefallen, wie sonst im ganzen Jahr. 

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Menschen waten durch überflutete Straßen in Valencia. Mindestens 95 Tote gab es in Spanien durch die heftigen Regenfälle.
Menschen waten durch überflutete Straßen in Valencia. Mindestens 95 Tote gab es in Spanien durch die heftigen Regenfälle.Alberto Saiz/AP

Es sind schreckliche Bilder aus Spanien, die zeigen, welche unbändige Kraft die Natur entwickeln kann. Autos umhergewirbelt wie Spielzeug, Bäume entwurzelt und davongespült wie Streichhölzer, Schutt, der von den Wassermassen meterhoch angespült wurde. Was sich seit dem Dienstagnachmittag in der Region um Valencia und in anderen Orten Spaniens ereignet hat, ist selbst für Hochwasserbilder extrem.

Die Zahl der verzeichneten Todesopfer war im Laufe des Mittwoch immer weiter gestiegen. Am Abend nannte der Minister für Territorialpolitik, Ángel Víctor Torres, im Fernsehsender TVE die Zahl von mindestens 95 Toten, davon 92 in der Region Valencia, zwei in Kastilien-La Mancha und einer in Andalusien. Diese Bilanz sei „vorläufig“ fügte er hinzu. „Leider deutet alles darauf hin, dass diese Zahl noch steigen wird.“

Die Suche nach Leichen, Vermissten und von der Außenwelt abgeschnittenen Menschen in der Nacht fortgesetzt. „Wegen der Dunkelheit müssen allerdings viele Aktivitäten bis Tagesanbruch unterbrochen werden“, sagte der Leiter der Notfallabteilung des spanischen Roten Kreuzes, Iñigo Vila, am Abend dem staatlichen Fernsehsender RTVE.

Unter den Toten sind laut spanischen Medienberichten mindestens vier Kinder und sechs alte Menschen in einem Pflegeheim. Eine offizielle Gesamtzahl der Vermissten lag nicht vor. Hilfe benötigten auch Tausende Menschen, die in Fahrzeugen, Häusern und Dörfern ausharrten.

Vielerorts regnete es in wenigen Stunden so viel, wie sonst in einem ganzen Jahr.
Vielerorts regnete es in wenigen Stunden so viel, wie sonst in einem ganzen Jahr.Alberto Saiz/AP

Bei Flut in Spanien so viel Regen wie sonst in einem Jahr

In der Region Valencia waren laut dem Stromversorger Iberdrola 155.000 Haushalte ohne Strom. Auch die Telefonverbindungen fielen teilweise aus. In der Nacht waren zahlreiche Autobahnen und Landstraßen weiter unbefahrbar. Rund 1.200 Menschen saßen am Abend seit über 24 Stunden in Fahrzeugen fest. Flug- und Bahnverkehr waren ebenfalls beeinträchtigt. Der Flughafen von Valencia stand komplett unter Wasser.

Die Wetterbehörde Aemet verzeichnete „außergewöhnliche Regenmengen“. In einigen Gemeinden fielen demnach 300 Liter Wasser pro Quadratmeter in wenigen Stunden. Im Ort Chiva waren es demnach sogar 491 Liter in nur acht Stunden. „Das ist praktisch die Niederschlagsmenge eines ganzen Jahres“, teilte die Behörde im Onlinedienst X mit.

„Es hat zehn Stunden ohne Unterlass geregnet“, sagte José Manuel Rellán aus Ribarroja de Turia, einer nahe der Großstadt Valencia gelegenen Gemeinde, der Nachrichtenagentur AFP. „Die Straßen sind alle abgeschnitten, die Brücken sind zerstört.“ In dem 22.000-Einwohner-Ort war in der Nacht der Fluss Turia über die Ufer getreten. Viele Bewohnerinnen und Bewohner waren in ihren Häusern oder Autos eingeschlossen.

Autos wurden weggespült wie Spielzeug.
Autos wurden weggespült wie Spielzeug.Alberto Saiz/AP

Überlebende berichten von dramatischen Erlebnissen

Immer mehr Überlebende berichten Agenturen und spanischen Medien von der Tragödie, die vielen auch Verwandte genommen hat. Viele Betroffene berichten, dass sie seit dem Beginn der Flut am Dienstagnachmittag nicht geschlafen hätten. „Es war brutal, ein Strom von Wasser, der alles in wenigen Minuten weggespült hat“, berichtet ein Anwohner der Gemeinde Paiporta, die es besonders übel getroffen hat. „Wenn ich eine Batterie hätte, würde ich dir die Videos schicken.“ Viele der Bewohner harren ohne Strom und fließend Wasser aus, wissen laut den Berichten nicht wohin.

Ein 57-Jähriger mit dem Namen Ximo berichtet der Zeitung, wie ihn die Flut überrascht habe. Er habe sich auf einen Bauwagen an einer Baustelle retten können und dort stundenlang mit acht anderen Person gekauert. Einem älteren Ehepaar und zwei Mädchen habe er versucht zu helfen. „Ich hielt ihre Hand, aber die Strömung, die brutal war, floss so schnell und riss sie fort“, berichtete der Mann der Zeitung. Auch eine Fußgängerbrücke habe es weggespült und von der Metrostation sei nur noch Schrott übrig. 

Manche Flüsse in Spanien schwollen in wenigen Minuten massiv an.
Manche Flüsse in Spanien schwollen in wenigen Minuten massiv an.Víctor Fernández/EUROPA PRESS/dpa

Fluss schwoll „in drei bis vier Minuten“ massiv an

Eine Bewohnerin des Dorfes L'Alcudia in der Region Valencia sagte auf TVE, der Fluss sei innerhalb von „drei bis vier Minuten“ über die Ufer getreten. „Die ganze Landschaft hat sich in sehr kurzer Zeit komplett verändert“, fügte sie hinzu. In einem Vorort von Valencia türmten sich von den Wassermassen angespülte Autos aufeinander.

Die Regierung schickte laut Verteidigungsministerin Margarita Robles mehr als 1000 Spezialkräfte der Armee und Hubschrauber in die Region Valencia. Zudem waren 1500 Polizisten im Einsatz. In einigen der betroffenen Regionen hörte es am Mittwoch auf zu regnen. Doch noch ist die Katastrophe nicht überstanden. Ministerpräsident Pedro Sánchez sagte in einer Fernsehansprache, „wir können nicht davon ausgehen, dass diese katastrophale Episode schon beendet ist“. Er rief die Bewohner dazu auf, sich vorsichtig zu verhalten.

Manche Orte in Spanien verzeichneten mehr als 300 Liter Regen pro Quadratmeter.
Manche Orte in Spanien verzeichneten mehr als 300 Liter Regen pro Quadratmeter.Grafik: Massow, Redaktion: Schaller/dpa

Ministerpräsident: Unglück noch nicht überstanden

Sánchez habe mit König Felipe VI. gesprochen und ihn darüber informiert, dass ab Donnerstag eine dreitägige Staatstrauer gelte, sagte Territorial-Minister Torres. Der König schrieb sprach den Angehörigen der Opfer im Onlinedienst X sein Beileid aus und dankte den Einsatzkräften für ihre „titanischen“ Anstrengungen.

Seit 1996 waren bei einem Hochwasser in Spanien nicht mehr so viele Menschen ums Leben gekommen. Damals starben 86 Menschen in der nördlichen Provinz Huesca.

Die Bundesregierung und die Europäische Union sagten Hilfe zu. Die EU habe ihr Copernicus-Satellitenssystem aktiviert, um den spanischen Rettungskräften zu helfen, teilte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei X mit. Zudem werde der Zivilschutz unterstützt. ■