„Wir im Osten“

Vor 50 Jahren: Schöbel, Sparwasser-Tor und Siegesfeier auf der Reeperbahn

Zur EM-Eröffnung erinnert sich unser Autor an die WM 1974 und an das legendäre DDR-Spiel gegen die BRD.

Author - Norbert Koch-Klaucke
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Das legendäre 1:0 der DDR gegen die BRD bei der Fußball-WM 1974: Jürgen Sparwasser bekommt den Ball und bringt ihn ins Tor. Torwart Sepp Maier hat keine Chance.
Das legendäre 1:0 der DDR gegen die BRD bei der Fußball-WM 1974: Jürgen Sparwasser bekommt den Ball und bringt ihn ins Tor. Torwart Sepp Maier hat keine Chance.Werner Schulze/imago

Ab heute (14. Juni) geht nun das große Fußball-Fest los. Die Deutschen treten gegen die Schotten an und starten die EM im eigenen Land. Auch mich hat das Fieber gepackt, auch wenn ich nicht gerade ein großer Fan bin. Aber so ein Turnier ist für mich immer etwas Besonderes.

So wie die WM, die vor genau 50 Jahren in der Bundesrepublik stattfand und bei der die deutschen Kicker aus dem Westen und dem Osten erstmals aufeinander trafen. Das unvergessene Spiel sorgt noch immer für Gesprächsstoff, das ich damals als Siebenjähriger in der DDR im Fernsehen verfolgte.

Bevor ich auf das legendäre Sparwasser-Tor zu sprechen komme, fällt mir da noch ein ganz anderer Wettstreit zwischen den beiden deutschen Teams ein. Sie standen sich 1974 nicht nur im Stadion gegenüber, sie kämpften im Vorfeld auch auf musikalischen Gebiet gegeneinander.

Die Helden von ‘74: Frank Schöbel und Jürgen Sparwasser bei einem Spiel ehemaliger DDR-Oberliga-Kicker (2022)
Die Helden von ‘74: Frank Schöbel und Jürgen Sparwasser bei einem Spiel ehemaliger DDR-Oberliga-Kicker (2022)Hohlfeldt/imago

Frank Schöbel bei der WM ‘74: Sein Fußball-Hit war weltmeisterlich

Während die westdeutschen Nationalspieler ihr Lied „Fußball ist unser Leben“ unter der Leitung des Musik-Produzenten Jack White (der unter seinem echten Namen Horst Nußbaum bei Tennis Borussia kickte) schmetterten, schickte die DDR-Elf Frank Schöbel, selbst leidenschaftlicher Fußballer, ins Feld. Ich muss sagen, sein Lied „Ja, der Fußball ist rund wie die Welt“ hatte 1974 da mehr weltmeisterliche Qualitäten. Das spürten man auch bei der WM-Eröffnungsfeier, bei der Schöbel mit dem Song auftrat und die Zuschauer begeisterte.

Frank Schöbel singt sein Fußball-Lied bei der Eröffnungsfeier der WM 1974 im Frankfurter Waldstadion.
Frank Schöbel singt sein Fußball-Lied bei der Eröffnungsfeier der WM 1974 im Frankfurter Waldstadion.Horstmüller/imago

Aber zurück zum Sport: Zur Einstimmung auf die jetzige EM habe ich mir die Doku-Serie „Deutschlands Doppelsieg – Die Fußball-WM 1974“ in der ZDF-Mediathek angeschaut. Und ich muss sagen, ich war überrascht, wie heute die damaligen westdeutschen Fußball-Stars wie Paul Breitner nun mit großem Respekt von den DDR-Fußballern sprechen.

Die Weltmeister-Stars von 1974: Dickes Lob für DDR-Spieler

Man müsste ja glauben, dass ihnen die 1:0-Niederlage gegen die DDR noch immer mächtig wurmt. Schließlich war der Frust bei Beckenbauer und Co. damals recht groß. Doch 50 Jahre später kommt ein dickes Lob für den Torschützen Jürgen Sparwasser.  „Niemand hätte diesen Treffer besser machen können“, sagt Paul Breitner in der Doku. „Sensationell, vielen Dank!“

Paul Breitner mit dem WM-Pokal 1974
Paul Breitner mit dem WM-Pokal 1974Pressefoto Baumann/imago

Diese „Danke“ ist ehrlich gemeint. Denn trotz der Niederlage kamen die Bundesdeutschen wie die DDR in die nächste Runde, hatten aber durch den verpassten Gruppensieg die leichteren Gegner. Die DDR musste als Gruppensieger gegen die härteren Brocken antreten, flog nach Niederlagen gegen Brasilien (0:1) und Holland (0:2) und einem 1:1 gegen Argentinien aus dem Turnier. Das westdeutsche Team kam ins Finale, schlug Holland mit 2:1 und wurde Weltmeister.

Bemerkenswert war für mich, wie die Kicker aus beiden deutschen Staaten sich nach dem legendären Spiel verhielten, das im Juni 1974 im Hamburger Volksparkstadion stattfand. Die aus dem Westen spülten sich in ihrem Quartier die Niederlage mit Whiskey herunter, rauchten Zigarren. Und die DDR-Spieler feierten ihren Sieg auf der Reeperbahn!

Vor dem Spiel gegen die Westdeutschen machten Jürgen Sparwasser und seine Mannschaftskollegen eine Hamburger Hafenrundfahrt. Den 1:0-Sieg feierten einige von ihnen dann abends auf der Reeperbahn.
Vor dem Spiel gegen die Westdeutschen machten Jürgen Sparwasser und seine Mannschaftskollegen eine Hamburger Hafenrundfahrt. Den 1:0-Sieg feierten einige von ihnen dann abends auf der Reeperbahn.WEREK/imago

Wirklich! In der ZDF-Doku erzählen Sparwasser und Co. erstmals, wie einige Spieler sich damals zu der Hamburger Sündenmeile fahren ließen. Ganz brav seien sie dort gewesen, sagt der damalige DDR-Torwart Jürgen Croy. „Wir haben ein paar Bier getrunken und einen Zitronen-Likör. Mehr war nicht.“

Nun bin ich gespannt, wie sich unsere heutigen deutschen Kicker bei der EM in der Heimat schlagen werden. Vielleicht schaffen sie es ja, am 14. Juli im Berliner Olympiastadion im Finale zu spielen und den Titel zu holen. Schön wäre es ja!

Norbert Koch-Klaucke schreibt jeden Freitag im KURIER über Geschichten aus dem Osten.
Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com

Blick auf die Hamburger Reeperbahn: 1974 feierten einige DDR-Fußballer dort den WM-Sieg gegen die BRD. 
Blick auf die Hamburger Reeperbahn: 1974 feierten einige DDR-Fußballer dort den WM-Sieg gegen die BRD. Lars Berg/imago