Kolumne „Wir im Netz“

Twitter – ein Nachruf auf eine Social-Media-Plattform

Nicht erst seit den neuesten Porno-Regeln ist Twitter auf dem absteigenden Ast. Schade ist es um die Plattform, die einst die Welt vereint hat.

Author - Jana Hollstein
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Die Zeit des freundlichen Vögelchens ist vorbei.
Die Zeit des freundlichen Vögelchens ist vorbei.Pond5 Images/imago

„Du bist auf Twitter? Das sind doch auch nur noch Porno-Bots, oder?“ – das ist häufig die Reaktion, die ich bekomme, wenn ich jemandem in meinem Umfeld von etwas erzähle, was ich auf Twitter gelesen habe. Mit den neuen Nutzungsregeln wird es offiziell, aber diese Beschreibung traf eigentlich auch schon vorher auf Twitter zu.

Seit Elon Musk die Plattform übernommen und in „X“ umbenannt hat (was vor allem bei vielen älteren Nutzern Panik ausgelöst hat, weil viele dachten, sie wären gehackt worden und jemand hätte eine Porno-App auf ihrem Handy installiert), ist Twitter eigentlich kaum noch nutzbar. Unter fast jedem Tweet bekomme ich Antworten von Bots, die mir „Nacktbilder im Profil“ versprechen.

Und das ist noch das Harmloseste. Nicht selten schicken die Bots die Nacktbilder gleich mit, und ich öffne nichtsahnend die App, nur um mit entblößten Genitalien und ganzen Pornos begrüßt zu werden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie es sein muss, als Minderjährige einer solchen Masse an sexuellen Inhalten ausgesetzt zu sein, während das Gehirn noch nicht vollständig entwickelt ist.

Twitter-Nutzer wandern zu Alternativen wie Threads oder Bluesky ab.
Twitter-Nutzer wandern zu Alternativen wie Threads oder Bluesky ab.AFLO/imago

Twitter-Nutzer verstreuen sich im Internet

Viele meiner Freunde und Bekannten, genauso wie viele, die die Plattform professionell nutzen, haben sich inzwischen von ihr verabschiedet. Entweder haben sie ganz mit dem Konzept Kurznachrichtendienst abgeschlossen oder sich verstreut auf Konkurrenten wie Threads oder Bluesky.

Auch ich habe mir Accounts auf diesen Plattformen angelegt, aber es ist irgendwie nicht dasselbe. Ich glaube, der Charme von Twitter war immer, dass es der einzige (oder zumindest größte) Kurznachrichtendienst war. Keine andere Social-Media-Plattform hat so ein Ausmaß an Austausch über Landes- und Kulturgrenzen hinweg ermöglicht. Man erfuhr von politischen Entwicklungen häufig früher als durch die klassischen Nachrichtenkanäle und bekam ein Gefühl für gesellschaftliche Schwingungen in Ländern, in denen man noch nie war. In dem Moment, als die große Mehrheit das sinkende Schiff verlassen hat, war diese Ära vorbei.

Auf Twitter bleibt nur noch der Galgenhumor

Das klingt jetzt, als wäre Twitter komplett ausgestorben, was natürlich nicht stimmt. Wühlt man sich durch die Pornos, die politischen Extremisten und die Werbung für obskure Produkte (die großen Werbekunden sind längst abgesprungen, deswegen bleiben Twitter nur Dinge wie „der schnellste Weinflaschenöffner der Welt“), bleibt der harte Kern derjenigen, die wie der Kapitän mit dem Schiff untergehen.

Und dass das Schiff untergeht, wissen wir alle. Musk hat mehr als 80 Prozent der Angestellten gefeuert, in der Konsequenz stürzt Twitter regelmäßig ab und ist selbst an den Tagen, an denen es funktioniert, kaum wirklich nutzbar.

Da ist alles, was den Nutzern auf Twitter noch bleibt, der Galgenhumor. Durch sein kurzes Textformat war Twitter schon immer eine gute Plattform für Witze und bissige Kommentare. Und Gott sei Dank ist es trotz allem ihr Humor, den Twitter-Nutzer nicht verloren haben.

Jana Hollstein schreibt immer dienstags für den KURIER über die große weite Welt des Internets. Mails an wirvonhier@berlinerverlag.com