KURIER im Kiez

Hilfe, die Kinder sind weg! Wie Eltern eine Klassenfahrt überstehen

Warum es für Eltern manchmal noch schwerer ist, loszulassen, als für die Kinder.

Author - Stefanie Hildebrandt
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Eine Woche ohne Eltern. Eine Klassenfahrt ist ein aufregender Meilenstein im Leben von Schülern, im Leben von Eltern auch.
Eine Woche ohne Eltern. Eine Klassenfahrt ist ein aufregender Meilenstein im Leben von Schülern, im Leben von Eltern auch.Sina Schuldt/dpa

Wenn Sie am Montagmorgen um kurz nach halb neun irgendwo in Pankow eine Frau mit Taschentüchern hantieren sehen: Das bin ich. Ein Bus mit dem großen Kind wird um die Ecke in Richtung Autobahn abbiegen, während der Kloß in meinem Hals ein paar Tränchen in Richtung Augenwinkel drückt. Das kleine Kind wird hinter sich blickend, den Rucksack mit dem Kuschelhasen geschultert tapfer in Richtung S-Bahn marschieren und ebenfalls für eine Woche in die Weiten Brandenburgs entschwinden. Klassenfahrt, ein prägendes Ereignis im Leben eines jeden Grundschulkindes – und im Leben der Eltern erst!

Wir starten soft in die Vorbereitungen. Die ersten Packlisten hängen schon seit Wochen in der Küche. Ich brüte still darüber, wie das alles in einen Koffer passen soll. Allein vier Paar Schuhe (Gummistiefel, Sandalen, Wanderschuhe, Hausschuhe) und der kleine Rolli ist schon voll. Von den fünf Tüten mit Kleidung – eine für jeweils einen Tag in der Ferne – ganz zu schweigen. Der Große muss zudem seine eigene Bettwäsche und Handtücher mitbringen, wir überlegen, ob wir ein Paket an den Urlaubsort senden sollen. Doch so zuverlässig, wie die Post ist, kommt es bestimmt erst an, wenn sie schon wieder abreisen.

Aufgeregtheit bis zum Wahnsinn

In den Tagen vor der Abreise werden in immer wiederkehrenden Variationen die wichtigsten Fragen und Probleme in der Familie besprochen. Wie in einem guten Musikstück steigert sich die Intensität der Fragen, Ängste und der Aufgeregtheit bis zu Abfahrt ins Wahnsinnige. „Mama, ich will nur mit Janne und Elisabeth in ein Zimmer.“ „Mama, wie ist das Essen in Eberswalde?“, „Mama, ich bin so aufgeregt!“

Das eine Kind springt auf der Couch auf und ab. Das andere kommt nicht darüber hinweg, dass wirklich nur ein Kuscheltier mitgenommen werden darf. Schnell muss noch das Schwimmabzeichen in Bronze abgelegt werden, sonst wird’s nix mit dem Baden im See. Es werden Süßigkeiten gekauft und Pläne geschmiedet. Die Zweitklässlerinnen träumen von einer geheimen Nachtparty mit Snacks wie bei „Hanni und Nanni“, die Großen fantasieren von coolen Alleingängen durch das Dorf im Mecklenburgischen wie bei „Allein in der Wildnis“.  

Ausufernde Kuschelarien vor der Klassenfahrt

Ein immer wiederkehrendes Motiv in der Zeit vor der Abreise sind plötzliche, dringende und ungestüme Kuschelanfälle. Ich habe nie öfter „Ich hab dich sooo lieb“ gehört als in den letzten Tagen. Man wird dann im schlimmsten Fall in Judoka-Manier vor lauter Zuneigung niedergerungen oder abends beim Zubettgehen einfach nicht mehr losgelassen. Das ist schön. Und es lenkt vom eigenen Aufgeregtsein ab.

Szene aus dem Film „Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt!“. Wenn Eltern zurückbleiben, brauchen sie einen guten Plan und eine Massage.
Szene aus dem Film „Alfons Zitterbacke – Endlich Klassenfahrt!“. Wenn Eltern zurückbleiben, brauchen sie einen guten Plan und eine Massage.X Filme_X Verleih

Eltern allein zu Hause

Denn zwischen all den Vorbereitungen dämmert es auch den Eltern, dass sie nun eine ganze Woche lang auf sich gestellt sein werden. Kein Maulen am Morgen über die falsche Salami, keine Verhandlung über Switch oder keine Switch, kein Kampf ums Klo, kein Chaos, deutlich weniger Leben in der Bude. Puh, werden wir Zurückgelassenen das aushalten? Es soll ja sogar Eltern geben, die den Kindern heimlich nachreisen und sich neben der Jugendherberge im Hotel einquartieren.

So weit geht die Sehnsucht dann doch nicht, ich habe zur Beruhigung der mütterlichen Nerven aber erst mal eine Massage gebucht. Klassenfahrt ist eine Übung im Loslassen. Für die Kinder und die Eltern. Im besten Fall sind die Kinder bei der Rückkehr an der Herausforderung gewachsen. Sie haben Ängste überwunden, die Lehrer noch mal neu kennengelernt, sind zu einer Gemeinschaft geworden. Die Eltern konnten durchatmen, sich ohne Unterbrechung unterhalten, lange ausgehen und aufwendige Gerichte kochen, ohne dass einer igitt sagt. Sich gegenseitig vermissen, rückt so manchen Alltagsknatsch ins rechte Licht. Und nur wer Erfahrungen auf Reisen sammelt, kann am Ende auch sagen: Ist doch ganz schön hier zu Hause.

Wenn Sie am Freitag gegen Mittag also irgendwo in Pankow einen Pulk aufgeregter Eltern vor einer Schule sehen, auch da bin ich mittendrin. Ich freu mich schon jetzt auf das wilde Geplapper, wenn jeder erzählen will, wie es war auf der Klassenfahrt. Na ja, und ich fürchte, ich werde es sein, die die kleinen Nervensägen dann judokamäßig niederringt, vor lauter Wiedersehensfreude.

Stefanie Hildebrandt schreibt regelmäßig im KURIER über Geschichten aus dem Kiez. Kontakt in die Redaktion: wirvonhier@berlinerverlag.com