Kolumne „Wir über 50“

Das besondere Platzangebot

Die Zeichen der Zeit. Alle wollen alt werden. Aber ewig aussehen wie 40?

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Sie wehrt sich nicht gegen Falten und graue Haare. Das gelebte Leben und Lebensfreude sind ihr ins Gesicht geschrieben.  
Sie wehrt sich nicht gegen Falten und graue Haare. Das gelebte Leben und Lebensfreude sind ihr ins Gesicht geschrieben. Anne Griessel/Panthermedia/imago

Liebe Leserin und lieber Leser,

ich muss Ihnen eine Geschichte erzählen, die mir – ziemlich aufgeregt - meine Freundin Johanna berichtete. Sie genießt ihr Rentnerdasein, legt viel Wert auf ihr Aussehen und ihre Fitness. Komplimente bestätigen ihr immer wieder zehn Jahre weniger Lebenszeit. Wer hört das nicht gern?

Vor ein paar Tagen fuhr sie U-Bahn und in der vollen U5 stand ein junger Mann auf und bot ihr seinen Platz an. Sie schaute sich um, ob nicht jemand hinter ihr stehe, der weitaus älter ist. Nee, war nicht. Ihr galt das überaus freundliche Angebot des Mannes, dessen Sozialverhalten ich auf die Rote Liste der bedrohten Umgangsformen setzen würde. Johanna lehnte zuerst freundlich ab, fand dann aber den Platz in der vollen Bahn doch sehr angenehm.

Was ihr am meisten zu schaffen machte, war die offenkundige Tatsache, dass sie nun in einem Alter ist, in dem man schon mal einen Platz in den Öffis angeboten bekommt. Ich tröstete sie, dass das wirklich eine Ausnahme sei, aber sie schließlich auch den Tatsachen ins Auge schauen müsse.

Die Jahre hinterlassen ihre Spuren

Alter ist sehr relativ. Mit 15 wollten wir alle so aussehen, als seien wir längst erwachsen. Heute schummeln wir mit flotter Frisur, einem schicken Look und einem trainierten Körper das ein oder andere Jährchen weg. Aber die Jahre mit ihren Enttäuschungen, dem Stress, Krankheiten und Sonnensünden haben genauso Spuren hinterlassen wie unsere sympathischen Lachfalten – es ist nun mal unser Leben. Hinzu kommt der ganz normale Alterungsprozess, gegen den kein Kraut gewachsen ist und keine Creme auf Dauer hilft. Alle Organe unseres Körpers verändern sich. Das ist genetisch programmiert, Ausnahmen gibt es nicht.

Als Seniorin in einer übervollen U-Bahn einen Sitzplatz angeboten zu bekommen, ist ein fast ausgestorbener Akt der Höflichkeit. 
Als Seniorin in einer übervollen U-Bahn einen Sitzplatz angeboten zu bekommen, ist ein fast ausgestorbener Akt der Höflichkeit. Schöning/imago

Warum sich wehren gegen etwas, was die Natur so vorgesehen hat? Am Anti-Aging-Wahn verdient sich so manches Unternehmen eine goldene Nase, aber macht es die Nutzerinnen glücklicher? Da wage ich ein Nein. Natürlich müssen wir uns pflegen, den Körper in Form halten (halbwegs jedenfalls). Aber ich denke, viel wichtiger als sich vehement gegen Falten und graue Haare zu wehren, ist zu akzeptieren, dass wir nicht für immer 40 bleiben. Schluss mit dem Jugendwahn, das Altern hat seine eigene Schönheit.

Wichtig ist, sich selbst anzunehmen

Slow-Aging statt Anti-Aging. Einen Gang herunterschalten, sich selbst annehmen, auf die eigenen Wünsche und Bedürfnisse hören. Gesund essen, viel Bewegung an der frischen Luft, Menschen im unmittelbaren Umfeld, die einem guttun. Klingt nicht kompliziert, oder?

Übrigens habe ich bei der Vorbereitung zu diesem Thema gelesen, dass der Alterungsprozess der Haut etwa mit dem 30. Lebensjahr einsetzt. Warum sollte ich jetzt, reichlich drei Jahrzehnte später, darüber traurig sein, dass mir die Spuren des Lebens ins Gesicht geschrieben sind? Und wenn uns jemand in der Bahn einen Platz anbietet oder die Tür aufhält, ist ein Dankeschön eine passende Reaktion. Und ein Lächeln – das macht garantiert jünger!

Ihre Sabine Stickforth ■