Georgiens EM-Sensation

Hertha BSC: Vertrieben aus Deutschland! Jetzt kehrt Kobiaschwili als EM-König zurück

Ex-Herthaner Lewan Kobiaschwili macht als Präsident Georgiens EM-Fußballmärchen wahr, vor zehn Jahren kehrte er Deutschland aus einem bitteren Grund den Rücken.

Author - Wolfgang Heise
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Ex-Herthaner Lewan Kobiaschwili im Glück! Als Fußballpräsident machte er Georgiens Fußballwunder, die EM-Teilnahme, möglich.
Ex-Herthaner Lewan Kobiaschwili im Glück! Als Fußballpräsident machte er Georgiens Fußballwunder, die EM-Teilnahme, möglich.Imago Images/Beautiful Sports

Die Sensation ist perfekt! Fußballzwerg Georgien mit 3,7 Millionen Einwohnern ist zum ersten Mal bei der EM dabei. 4:2-Elferkrimi gegen Griechenland im Play-off-Endspiel. Ein Land im Rausch. Und wer steckt dahinter? Antwort: Ex-Herthaner Lewan Kobiaschwili (46). Er machte das Wunder als Fußballpräsident Georgiens möglich. Aus Deutschland vor zehn Jahren vertrieben, jetzt kehrt Kobi im Sommer als EM-König zurück.

Georgiens Nika Kvekveskiri traf zum entscheidenden Elfer im Stadion von Tiflis. Danach brachen alle Dämme. Die Fans stürmten wie im Rausch des Glücks den Platz, rannten zu den Nationalspielern. Ein Land ist wachgeküsst. Georgien-Boss Kobiaschwili saß auf der Tribüne und genoss es. Aber da wurden wohl auch ganz andere Erinnerungen wach bei ihm. Bittere Bilder von der Skandal-Relegation mit Hertha BSC in Düsseldorf 2012, als die Blau-Weißen abstiegen und der frühere Linksverteidiger danach für siebeneinhalb Monate gesperrt wurde, weil er angeblich Schiedsrichter Wolfgang Stark geschlagen haben soll.

Ein Land im Rausch! Georgiens Fußballfans stürmten nach dem Elferkrimi gegen Griechenland den Rasen im Stadion von Tiflis.
Ein Land im Rausch! Georgiens Fußballfans stürmten nach dem Elferkrimi gegen Griechenland den Rasen im Stadion von Tiflis.Imago Images/One inch production

Kobiaschwili wurde über ein halbes Jahr vom DFB gesperrt

Was damals in Düsseldorf wirklich geschah, bleibt bis heute ein Rätsel. Nach dem zu frühen Abpfiff des Schiris Stark begann das große Chaos in Düsseldorf. Der Platz wurde von Fortuna-Fans gestürmt. Herthas Spieler flüchteten auf der völlig überfüllten Treppe zu den Stadionkatakomben. Einige stolperten auf den Stufen. Der KURIER-Reporter war damals mittendrin im Chaos und war fassungslos über die völlig überforderten Ordner.

Im Nachhinein behauptete Wolfgang Stark, dass er von Kobiaschwili geschlagen worden sei. Doch der Hertha-Spieler beteuerte immer wieder seine Unschuld und beschrieb detailliert seinen Treppensturz, auch vor dem DFB Gericht: „Ich weiß nur, dass ich selbst von hinten geschubst wurde, die Treppe runtergefallen bin. Im Fallen habe ich mich gedreht, meinen Arm oben gehabt, da waren noch zwei andere Leute dazwischen, gegen die ich gefallen bin. Ich kann nicht ausschließen, dass ich dabei vor mir laufende Leute berührt habe, einer davon war der Schiedsrichter. Aber es war eben keine Absicht – und das ist mir wichtig. So habe ich das auch ausgesagt.“

Schlag gegen Schiri Stark? Kobiaschwili beteuert seine Unschuld

Der DFB glaubte ihm nicht und verdonnerte ihn zu siebeneinhalb Monaten Spielsperre. Kobiaschwili akzeptierte, hätte er es nicht getan, wäre er wohl lebenslang gesperrt worden. Kobi damals: „Ich wollte nicht, dass meine Karriere so zu Ende geht. Ich will noch weiter Fußball spielen: hier in Berlin, für Hertha BSC.“

Keiner konnte es so richtig glauben, dass der sonst so ruhige und zurückhaltende 100-malige Nationalspieler derart ausgerastet sein soll. Herthas Ex-Trainer Otto Rehhagel sagte vor dem DFB-Gericht den legendären Spruch aus: „Kobi ist der fairste Spieler nach dem Zweiten Weltkrieg.“

Seit diesem Urteil war für Kobiaschwili nichts mehr, wie es war. Er saß die Strafe ab, spielte danach noch anderthalb Jahre für Hertha, machte parallel ein Studium für Sportwirtschaft. Doch ein Angebot vom damaligen Manager Michael Preetz nach der Karriere, bei Hertha zu arbeiten, lehnte er ab. Von Deutschland hatte er nach 16 Jahren genug. Kobi ging zurück in seine Heimat, mit einem großen Traum: Georgiens Fußball als Verbandspräsident zu modernisieren und nach vorne zu bringen. Damals belächelten ihn noch viele. Ein Jahr später, im Oktober 2015, nicht mehr. Kobiaschwili wurde mit nur 38 Jahren zum Fußballboss gewählt.

Kobiaschwili wurde 2015 mit 38 Jahren Fußballpräsident in Georgien

Eine Revolution im kleinen kaukasischen Land. Kobi sprach vor neun Jahren gnadenlos die Mängel an: „Der Verband trägt die Hauptverantwortung für den erfolglosen Fußball. Wir haben keine Profis mehr in den europäischen Topligen, und das Niveau der eigenen Meisterschaft ist schwach.“

Zwei Jahre nachdem er als Präsident im Amt war, sagte er: „Ganz so heftig hätte ich es nicht erwartet. Ich hatte sehr viele Ideen, musste aber erst Geld akquirieren, um Dinge auch tatsächlich umsetzen zu können. Aber wir sind ein gutes Team im Fußballverband, konnten die Strukturen verändern und effektiver gestalten. Wir haben in den zwei Jahren viel geschafft.“

Kämpfer Kobi räumte auf. Die georgische Profi-Liga wurde von 16 auf zehn Teams reduziert. Dafür wurde die Struktur im Nachwuchs- und Amateurbereich vergrößert. Kobiaschwili: „Rund 8000 Amateure spielen bei uns regelmäßig. Wir haben dafür eine große Liga geschaffen. Das gab es vorher noch nie in Georgien.“ Die Saat ging auf.

Natürlich auch mit Rückschlägen, die WM 2018 und die EM 2021 wurden verpasst. Zweimal wechselte Kobiaschwili den Nationaltrainer aus. Mit dem früheren Bayern-Profi und Bayern-Co-Trainer Willy Sagnol kam 2021 der Glücksgriff. Der Franzose implantierte das Sieger-Gen ins Nationalteam. Bis jetzt der Elferkrimi gegen Griechenland in den Play-offs gewonnen wurde. Bei der EM in Deutschland spielen die Kaukasus-Kicker jetzt in einer Gruppe gegen die Türkei, Tschechien und Portugal. Geht da das georgische Wunder mit Kobi weiter? ■