Der gebürtige Münchner war gerade einmal acht Jahre alt, als in der Bundesligasaison 1968/69 Herthas legendärer Chefcoach Helmut „Fiffi“ Kronsbein das „Rotationsprinzip“ unter den Torhütern einführte. Und das kam so: Stammkeeper Volkmar Groß hatte sich verletzt und die Berliner holten Gernot Fraydl, seines Zeichens Nationaltorhüter von Österreich, ins Team. Da sich beide Torhüter später als gleichwertig erwiesen, ließ Kronsbein alle zwei Spiele rotieren. Am Saisonende kam Fraydl, wegen seiner großartigen Strafraumbeherrschung die „Spinne“ genannt, auf 18 Einsätze, Groß auf 17. Kronsbein aber trieb diesen ungewöhnlichen Konkurrenzkampf auf die Spitze, als er bei einer 1:2-Niederlage beim MSV Duisburg, die Schlussmänner in der Halbzeit tauschte!
Stefan Leitl hat 56 Jahre später natürlich keine Rotation im Sinn, nachdem er im Tor eine Entscheidung seines Vorgängers Cristian Fiel sofort korrigierte. Es war bereits der zweite Torhütertausch bei Hertha in dieser Spielzeit, weil Fiel in der Winterpause mit Tjark Ernst seine etatmäßige Nummer eins auf die Ersatzbank verbannte und Gersbeck zwischen die Pfosten stellte.
Hertha BSC: Magath, Labbadia und Dardai wechselten nicht den Torhüter
Vor allem Trainer, die unter Druck stehen, nutzen das Mittel Torhütertausch gern, um dem Team einen neuen Impuls zu geben. Bei Stefan Leitl – so denke ich - gehört diese Maßnahme zum Gesamtpaket, die oft fragile Defensive der Mannschaft zu stabilisieren. Der sensible Wechsel im Tor ist allerdings bei Hertha zuvor nicht sehr oft praktiziert worden.

Die Trainer, die seit 2020 wie nun Leitl in Notsituationen geholt wurden (Labbadia, Dardai, Korkut, Magath und wieder Dardai) griffen meist nur zu anderen Korrekturen, bauten auf Veränderungen bei den Feldspielern und redeten auch einzelne Spieler öffentlich stark. Das traf vor allem auf Felix Magath zu. Der erhob Kevin-Prince Boateng am Ende dessen schillernder Karriere zum Anführer und wurde in der Relegation gegen den Hamburger SV (0:1, 2:0) belohnt.

Stefan Leitl müssen nun elf Spiele reichen, um die Zweite Liga zu halten. Fakt ist, dass Keeper Ernst die Nummer eins bleiben wird. Aus der Ferne beobachtet auch Jürgen Röber, Herthas ehemaliger Kulttrainer, die Situation in Berlin. Röber war es, der 1997/98 nach dem Aufstieg in Liga eins auch einen brisanten Torhüterwechsel vornahm. Am siebten Spieltag - Hertha war noch ohne Sieg - setzte es eine 0:4-Niederlage bei Hansa Rostock. Nach knapp 100 Spielen in Serie im Hertha-Tor musste Christian Fiedler Platz für den Ungarn Gabor Kiraly machen. „Beide waren nahezu gleichwertig“, sagte mir Röber nun, „ich habe bei solch schwerwiegenden Personalentscheidungen oft mehrere Nächte sehr schlecht schlafen können.“ Bei Hertha ging es nach der Rostock-Pleite jedenfalls langsam aufwärts in der Tabelle.
Gabor Kiraly prägte bei Hertha BSC eine Ära
Ein Torhüterwechsel kann Einfluss auf die Hierarchie im Team haben, auch auf das Verhältnis zwischen Torwarttrainer und Chefcoach, falls es unterschiedliche Einschätzungen gibt. Spektakuläre Wechsel gab es auch immer auf großer Bühne. Der junge Oliver Kahn verdrängte 1990 beim Karlsruher SC Stammkeeper Alexander Famulla auf Dauer, als dieser gegen den VfL Bochum nach zwei Patzern in der Halbzeitpause gegen Kahn ausgewechselt wurde. Kahn, später längst der „Titan“, wurde ausgerechnet vor der WM 2006 von Jürgen Klinsmann degradiert. Der baute auf Jens Lehmann.