Nach WM-Desaster und vermurkstem Neuanfang

Ziemlich dreist: Hansi Flick beansprucht eine dritte Chance

Bosse vertrauen dem Bundestrainer und seinem Plan: Alles löwt im September viel besser.

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Abwärts geht es unter Hansi Flick mit der Nationalmannschaft. Der Bundestrainer schaut dabei genau auf die Stufen, damit er nicht ins Stolpern kommt.
Abwärts geht es unter Hansi Flick mit der Nationalmannschaft. Der Bundestrainer schaut dabei genau auf die Stufen, damit er nicht ins Stolpern kommt.Bernd Thissen/dpa

Hansi Flick ist voll im Modus von Jogi Löw. Sein Vorgänger auf dem Nationaltrainerposten fand nach dem WM-Desaster in Russland 2018 drei Jahre lang nicht mehr in die Spur. Hansi ist nach dem Rekordstart nicht mehr erfolgreich. Aber von Selbstzweifeln fehlt jede Spur. Nach dem kläglichen WM-Scheitern sowie dem vergeigten Neustart beansprucht der 58-Jährige am absoluten Stimmungstiefpunkt auch noch eine dritte Chance als Bundestrainer.

„Ich kann versprechen, dass wir im September eine andere Mannschaft sehen“, sagt Flick. Zeitgleich warf Rudi Völler, sein wichtigster Schutzpatron, am Ende des Testspiel-Fiaskos eine andere „Qualitätsfrage“ auf.

Der DFB-Sportdirektor und Ex-Teamchef zielte nach dem 0:2 gegen Kolumbien ganz auf die Spieler. Flick dagegen sei doch als Trainer „am Ende die ärmste Sau“, meinte der 63-Jährige. War es nur ein Ablenkungsmanöver nach der von ihm zuvor auch für den Fall der dann prompt eingetretenen nächsten Niederlage verkündeten Job-Garantie für Flick?

Nach Flicks Kabinen-Ansprache flüchten die Stars ab in den Urlaub

In der Kabine richtete der Bundestrainer in Völlers Beisein noch ein paar Worte an sein nicht EM-taugliches Team, bevor die Akteure um Champions-League-Sieger Ilkay Gündogan noch in der Nacht schnellstmöglich in den Urlaub entschwanden. Zurück blieben viele Fragen, auf welche die DFB-Entscheider um DFB-Präsident Bernd Neuendorf, Liga-Boss Hans-Joachim Watzke und Krisenmanager Völler in den fast drei Monaten bis zu den nächsten Länderspielen gegen Japan und Frankreich Antworten geben müssen.

Ein einfaches Weiter-so müsste sich nach den Erfahrungen in der Spätphase von Flick-Vorgänger Joachim Löw eigentlich verbieten. Jürgen Klopp würde deutsche Fan-Herzen sofort höher schlagen lassen, ist aber weiterhin gebunden beim FC Liverpool. Julian Nagelsmann wäre nach seiner Freistellung beim FC Bayern zumindest frei. Stefan Kuntz? Ralf Rangnick? Roger Schmidt?

Im Presseraum der Schalke-Arena wurde Flick nach dem Spiel gefragt, ob er persönliche Konsequenzen ausschließe. „Natürlich ist es eine Situation für mich, die ich so in dieser Form noch nicht erlebt habe. Ich gewinne Spiele sehr, sehr gerne. Und ich hasse wirklich zu verlieren“, antwortete der 58-Jährige. „Ich habe gesagt, ich gehe kompromisslos im Juni diesen Weg“, schloss er an. Und: „Mir macht es einfach auch Spaß, eine Mannschaft auf ein Turnier vorzubereiten.“

Flick will nicht von selbst den Weg frei machen

Nein, Flick will nicht von selbst den Weg freimachen. Den massiven Vertrauensverlust – gerade auch bei den Fans – hält er für reparabel. „Ich bin überzeugt, die Fans wollen uns sehen“, sagte er. Ob „uns“ auch ihn noch mit einschließt?

Nach dem bestürzenden Flickwerk beim 3:3 gegen die Ukraine, dem 0:1 in Polen und der mit Pfiffen der 50.000 Zuschauer quittierten Niederlage gegen bissige Kolumbianer räumte der DFB-Chefcoach ein, dass sein Experimentierkurs mit Systemwechsel und erstaunlichen Personal-Rochaden ein Fehlschlag war. „Wenn wir es auf den Punkt bringen, ist es in die Hose gegangen. Das, was wir ausprobiert haben, hat nicht geklappt“, sagte Flick, der nach den Toren von Luis Diaz vom FC Liverpool und Juan Cuadrado von Juventus Turin per Handelfmeter versteinert am Spielfeldrand hockte.

Fakt ist: Hansi hat die Nationalmannschaft nach der WM-Katastrophe beim Neuanfang ein weiteres Mal geschrumpft. Dass das geht, hielten Bosse und Fans für eigentlich unmöglich. Die neue Realität sieht Deutschland dichter am Fußballzwerg denn am Giganten, über den der Titel bei der Heim-EM 2024 vergeben wird. Hansi gelobt Besserung. Es klingt wie Durchhalteparolen. Im Herbst werde „man versuchen, einen Stamm von 10, 12, 14 Spielern dann auch wirklich festzuzurren und zu benennen“, kündigte Flick an. Es solle dann auch klar sein, wer auf den jeweiligen Positionen die Nummer eins sei. Seine Bosse hat Flick schon auf seiner Seite. Sie glauben ihm.

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