Hightech aus Cottbus

Superlenker aus Cottbus macht’s möglich: Maximilian wird Paralympics-Star

Sein Fahrradlenker ist fertig gebaut, mit dem der große Traum wahr werden könnte: die Teilnahme an den Paralympics Ende August in Paris.

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Frederik Hähnel (r.), Lehrertrainer Paralympics Radsport vom Behinderten- und Rehabilitationssportverband Brandenburg e.V., und Maximilian Jäger, Paralympics-Radsportler, auf seinem Dreirad mit einem speziellen Lenker.
Frederik Hähnel (r.), Lehrertrainer Paralympics Radsport vom Behinderten- und Rehabilitationssportverband Brandenburg e.V., und Maximilian Jäger, Paralympics-Radsportler, auf seinem Dreirad mit einem speziellen Lenker.Patrick Pleul dpa

Wissenstransfer in die Gesellschaft zu bringen ist ein wichtiges Ziel der Cottbuser Universität BTU. Ein Projekt zeigt, wie Forschung und Handwerk Hand in Hand gehen für einen Ausnahmesportler.

Maximilian Jäger schaut konzentriert. Eigentlich hat der 24-Jährige gerade wenig Zeit für Medienanfragen, die Vorbereitung auf die nächsten Weltcups erfordert einen strengen Zeitplan, das Trainingslager mit der Nationalmannschaft steht an. Doch der Paracycler, der seit 2018 in Cottbus trainiert, weiß auch, wie besonders dieser Moment gerade ist für seine sportliche Karriere. Sein Fahrradlenker ist fertig gebaut, mit dem der große Traum wahr werden könnte: die Teilnahme an den Paralympics Ende August in Paris. „Ich werde trainieren die nächsten Wochen, dann sieht es ganz gut aus“, sagt er bescheiden und schaut in die Runde.

Um ihn herum stehen ein Tischlermeister, Wissenschaftler der Brandenburgischen Technischen Universität BTU) vom Institut für Leichtbau und Wertschöpfungsmanagement, vom Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP und sein Trainer. In den vergangenen Monaten hat die Crew „Maxi“, wie sie den Behindertensportler liebevoll nennt, eng begleitet. Ziel war es, einen Fahrradlenker zu entwickeln und zu bauen, der individuell auf den Sportler abgestimmt ist. Jäger hat eine linksseitige Spastik, die Folge ist eine Armlängendifferenz.

Seine zahlreichen Medaillen, darunter 2023 den WM-Titel im Einzelzeitfahren, hat Max, wie er auch gern genannt wird, noch mit einem herkömmlichen Fahrradlenker geholt. Doch bei Rennen saß er ständig schief – eine Belastung für seine Hüfte, für das Skelett. „Das war nicht mehr gesund, ich hab mir Sorgen gemacht“, erzählt sein Trainer Frederik Hähnel. Wie aber Abhilfe schaffen, wie ihm helfen?

Komplett an Maximilian angepasster Rennradlenker

Für spezielle Lösungen sind Kooperationen nötig, weiß Hähnel. „Wir im Para-Sport haben leider wenig Möglichkeiten, obwohl wir so hohen Bedarf haben an individuellen Lösungen, irgendwo Unterstützung zu bekommen.“ Es sei schwer, Partner zu finden, die sich Zeit nähmen und Expertise und Ideen einbrächten. Zudem müsse auch alles erschwinglich sein. Das in Berlin ansässige Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) etwa konzentriere sich auf wenige Athleten im olympischen und paralympischen Bereich, beschreibt der Trainer.

Maximilian Jäger, Paralympics-Radsportler, trainiert auf einem Dreirad mit einem speziellen Lenker.
Maximilian Jäger, Paralympics-Radsportler, trainiert auf einem Dreirad mit einem speziellen Lenker.Patrick Pleul/dpa

So suchte Hähnel zunächst Hilfe bei Metallbau-Firmen in der Region. Die hätten aber nur „Garagenbedarf“ gehabt, erinnert er sich. „Was wir brauchten, war ein individueller, auf Position und Körperhaltung von Maximilian angepasster Rennradlenker, der möglichst leicht und dennoch sicher und stabil ist.“

Der Behinderten- und Rehabilitationssportverband Brandenburg stellte den Kontakt zu kreativen Köpfen des CreativeOpenLab (COLab) an der Universität BTU Cottbus-Senftenberg her. Der aus Strukturmitteln finanzierte Maschinenpark bietet moderne Technik und Know-how – Forscher, Unternehmen und Einrichtungen können das nutzen. Ein wichtiges Ziel der Uni: der Wissenstransfer in die Gesellschaft.

Die Mission Lenker für Max begann im März 2023, wie sich Oliver Dorn, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fachgebiet Polymerbasierter Leichtbau erinnert. Mit Werkstattleiter Eyke Heinze vom COLab steht er neben einer Maschine, die wie ein großer Backofen aussieht. Tatsächlich habe die Erstellung der Prototypen für den Lenker etwas von Kuchenbacken, macht es Dorn bildhaft. Zunächst aber wurden sportphysiologische Untersuchungen durchgeführt, Maximilian musste dafür viele Male vor einer Videowand fahren.

Die genaue Sitzposition wurde mittels eines verstellbaren Lenkers eingestellt, den entwickelt das COLab-Team an nur einem Nachmittag. Damit konnte die Armlängendifferenz von Max ermittelt werden. Ein Modell des Fahrradlenkers wurde am PC hergestellt. Der erste Prototyp entstand mit dem 3D-Drucker und wurde mit Kohlenstofffasern verstärkt. Der zweite Prototyp war dann optimal für Maximilian.

Superlenker war die Rettung

In einem nächsten Schritt wurde mit einem erstellten Computerprogramm in einer 5-Achs-Fräsmaschine das Negativ der Lenkerform in einen Aluminiumblock gefräst. Wichtigster Verbundwerkstoff beim Bau war Kohlenstofffaser, bekannt für seine hohe Festigkeit und Steifigkeit bei geringem Gewicht. Dazu kam eine Schutzschicht aus Harz. Die sorge dafür, dass die Fasern an einer bestimmten Position liegen blieben, damit der Lenker belastbar sei, erklärt Dorn.

In einem Autoklav, einem gasdicht verschließbaren Druckbehälter, wurden die Verbundstoffe bei 120 Grad und einem Druck von sechs Bar „gebacken“ und ausgehärtet. Er habe vorher überhaupt nichts mit der Materie zu tun gehabt, erzählt Tischlermeister Heinze. Begeistert habe ihn die enge Zusammenarbeit zwischen Wissenschaft und Handwerk.

Werkstoffentwicklung, Werkzeugfertigung, Erstellung der Prototypen und Prüfung – diese Schritte an einem Ort und noch dazu in der Nähe von Max seien ein Novum, schwärmt Felix Kuke, Leiter des Zentrums für nachhaltige Leichtbautechnologien beim Fraunhofer-Institut IAP.

Maximilian hebt vorsichtig seinen Lenker an, der nicht einmal ein Kilogramm wiegt. Beim nächsten Weltcup im Mai soll er zum Einsatz kommen. Finanziert wurde er größtenteils mit Forschungsgeldern der Uni BTU. „Das Besondere ist, dass wir die Möglichkeit hatten, das so schnell und so kostengünstig umzusetzen. Das hätten wir als Verband ohne die BTU nicht leisten können“, macht Luisa Wieczorke vom Brandenburger Behindertensportverband deutlich. Weitere Gespräche seien geplant. „Wir hätten da noch Sportler mit Bedarfen.“

Max, der vor dem Para-Radsport Ski Alpin betrieb, hat bunte Streifen an seiner Radlerhose – das Zeichen des amtierenden Weltmeisters im Zeitfahren. Tragen darf er sie bis zur nächsten WM. „Ich habe ein Lebensmotto: Yes, I Can“, sagt der Sportler bestimmt. Seine Familie in Bad Brückenau bei Fulda, die er meist nur zu den Feiertagen sehe, unterstütze ihn sehr. In der Freizeit treffe er gern Freunde.

Am Paralympischen Bundesstützpunkt Cottbus trainieren acht Top-Athleten im Radsport aus Deutschland. Sie fänden optimale Bedingungen, schwärmt Trainer Hähnel. Die Zusammenarbeit mit der Lausitzer Sportschule und dem Behindertensportverband Brandenburg sei eng. Max hat im vergangenen Jahr an der Schule Abitur gemacht, auch das Freiwillige Soziale Jahr absolviert er dort – beste Voraussetzungen für sein Training.

Hähnel hat schon „wildeste Konstruktionen“ von Lenkern bei Para-Weltcups gesehen, die „irgendwie zusammengeschweißt waren“. Er freut sich schon auf die Gesichter der Konkurrenz. „Wir sind die ersten, die so einen tollen Carbon-Lenker an die Startlinie bringen.“ ■