Es ist der Moment, in dem Anstand aufhört und Eitelkeit beginnt: Menschen drängen sich an Absperrungen, filmen Einsatzkräfte, streamen aus dem Wald – und nennen das dann „Ermitteln“. Im Fall Rebecca, der Berlin seit sechs Jahren nicht loslässt, wird die Suche nach Wahrheit zur Kulisse für Schaulustige. Während Profis Millimeter für Millimeter vorgehen, trampeln Hobby‑Detektive über potenzielle Spuren. Die Staatsanwaltschaft warnt ausdrücklich: Solche Aktionen behindern Ermittlungen. Das ist Respektlosigkeit mit Ansage – oder einfach nur ekelhaft.
Zwei Tage lang haben Ermittler in Tauche gegraben, gescreent, gefilmt: Leichenspürhunde, Drohnen – Präzisionsarbeit, für die man Ruhe braucht. Aber rund um die Absperrungen herrscht Volksfeststimmung. Neugierige, die „nur mal schauen“ wollen – na klar … Leute, die glauben, mit einer Handykamera klüger zu sein als Forensiker und Mordkommission. Genau dort, wo Zeit ohnehin der größte Feind ist. Nach sechseinhalb Jahren zählt jedes Partikel. Jede verwischte Stiefelspur, jeder umgedrehte Erdklumpen kann die Arbeit von Tagen zunichtemachen. Das sage nicht ich, das sagen die Ermittler selbst.
True‑Crime hat seinen Anteil an der Verrohung
Und ja, True‑Crime hat seinen Anteil an der Verrohung. Podcasts, Clips, Threads: Der mediale Dauerrausch hat eine Generation hervorgebracht, die echte Fälle wie Rätselspiele behandelt – mit Live‑Kommentaren, Karten, vermeintlichen „Hinweisen“. Wir sind hier aber nicht in einem Escape Room in Berlin-Mitte. Das ist ein Vermisstenfall, hinter dem sich sehr wahrscheinlich ein schreckliches Verbrechen verbirgt. Ein junges Mädchen ist wahrscheinlich brutal ums Leben gekommen. Wer daraus Content macht, macht aus Leid ein billiges Like‑Business.
Wem fällt eigentlich ein, Ermittler am Flatterband zu belehren? Wer gibt irgendwem das Recht, Angehörige in Kommentarspalten zu zerpflücken? Wer meint, „Detektiv“ zu sein, weil er Koordinaten in eine App tippt? Das ist nicht Zivilcourage. Das ist Anmaßung. Und sie hat Folgen: Ein falscher Schritt kann die Beweisführung zerstören. Ein neugieriger Fußmarsch kann Wege blockieren, in denen Profis in dieser Minute arbeiten müssten. Aufklärung entsteht nicht im Livestream, sondern im Labor, im Aktenraum, im gründlichen Verhör – ohne Publikum, ohne Applaus.

Was jetzt zu tun ist?
Erstens: Abstand. Absperrungen sind keine Deko. Wer sie ignoriert, gefährdet die Wahrheit. Jeder Mensch mit Anstand muss mit dem Gaffen aufhören.
Zweitens: Konsequenz. Wer behindert, zahlt – mit empfindlichen Bußgeldern bis hin zu Strafverfahren. Das Instrumentarium existiert, es muss angewendet werden.
Drittens: Plattformpflicht. Livestreams aus Einsatzbereichen, Geotagging sensibler Orte, „Tatort‑Touren“ – weg damit. Sichtbarkeit darf nicht über Rechtsstaat stehen.
Viertens: Fokus. Die Polizei bittet gezielt um Hinweise – etwa zum auffälligen pinkfarbenen Wagen im Bereich der A12 rund um den 18. Februar 2019. Wer wirklich helfen will, meldet das – und sonst nichts – den Ermittlern.
Rebecca ist kein Hashtag. Sie ist ein Mensch. Ihr Gedenken verdient Stille und Sorgfalt, nicht Selfies am Flatterband. Wir als Stadt, als Netzgemeinde, als Nachbarn haben eine einfache Pflicht: Haltet Abstand. Haltet euch zurück. Haltet euch an die Regeln. Alles andere ist Selbstinszenierung auf Kosten von Gerechtigkeit.