Grumpy Cat & Co

Der Boom der Petfluencer: Wenn Haustiere zu Mini-Menschen werden

Eine Brandenburger Linguistin von der Universität Viadrina erforscht, wie Hund und Katze in den sozialen Medien präsentiert und immer mehr vermenschlicht werden.

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Die inzwischen gestorbene Katze Grumpy Cat war eine der ersten Petfluencerinnen. So ausstaffiert schickten ihre Besitzer die Katze im Jahr 2015 zur Weltpremiere von Disneys „Cinderella“ im El Capitan Theatre in Hollywood.
Die inzwischen gestorbene Katze Grumpy Cat war eine der ersten Petfluencerinnen. So ausstaffiert schickten ihre Besitzer die Katze im Jahr 2015 zur Weltpremiere von Disneys „Cinderella“ im El Capitan Theatre in Hollywood.Nina Prommer/EPA/dpa

„Ich hatte eine wundervolle Zeit bei Mamas und Papas Hochzeit und fühlte mich wundervoll in meinem Tutu“, lassen die Besitzer ihren schwarzen Zwergspitz auf dem Instagram-Kanal „zulathepom“ plaudern. Auch „Goldenretriever_lilly“ spricht zu ihren Followern: „Gestern hatten wir viel Spaß im Schnee!“ In den sozialen Medien gibt es immer mehr Petfluencer, die ihre Tiere zum Geschäft machen. Eine Brandenburger Linguistin erforscht jetzt, wie Hund und Katze im Internet vermenschlicht werden.

Besitzer verleihen ihren Haustieren dabei nicht selten eine Stimme – und erschaffen eine heile, familiäre Parallelwelt, in die viele Follower gern abtauchen. Der Zwergspitz hat 1,1 Millionen Follower, der Golden Retriever 776.000.

Choupette von Karl Lagerfeld war eine der ersten Petfluencerinnen

Die inzwischen gestorbene Grumpy Cat mit ihrem grimmigen Gesichtsausdruck war im Internet ein Star, ebenso wie die Katze Choupette des Modeschöpfers Karl Lagerfeld. Die beiden gehörten zu den ersten Petfluencern – also Haustieren, die durch ihre Präsenz im Netz weltberühmt wurden. Petfluencer ist ein zusammengesetztes Wort aus Pet (englisch für Haustier) und Influencer.

Inzwischen gibt es unzählige niedliche Vierbeiner, die bei Instagram, Snapchat oder TikTok von ihren Besitzern ein eigenes Profil bekamen, teils Millionen Follower haben – und weitaus kommunikativer erscheinen als Grumpy Cat.

Miriam Lind, die Leiterin der Gruppe Posthumanistische Linguistik. Kommunikative Praktiken zwischen Menschen, Tieren und Maschinen an der Europa-Universität Viadrina, zeigt ihr Buch „Mensch, Tier, Maschine“.
Miriam Lind, die Leiterin der Gruppe Posthumanistische Linguistik. Kommunikative Praktiken zwischen Menschen, Tieren und Maschinen an der Europa-Universität Viadrina, zeigt ihr Buch „Mensch, Tier, Maschine“.Patrick Pleul/dpa

„Mir fiel auf, wie viele Accounts es inzwischen gibt, auf denen hauptsächlich Hunde und Katzen nicht nur putzig aussehen, sondern angeblich auch sprechen“, erzählt Miriam Lind, Linguistin an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder). Die Besitzer der Tiere tun in sozialen Netzwerken so, als würden ihre Vierbeiner scheinbar selbst ihre Gedanken und Gefühle mitteilen.

Lind beschäftigt sich in einem sechs Jahre laufenden Forschungsprojekt mit der Kommunikation zwischen Mensch und Tier. Wie sich die Sprache verändert, wenn Menschen nicht nur untereinander, sondern mit ihren Tieren kommunizieren, ist ihr Forschungsschwerpunkt. „Sprache ist ja eigentlich das zentrale Merkmal, das den Menschen vom Tier unterscheidet. Was bedeutet diese zunehmende Interaktion zwischen beiden für das Verständnis von Sprache?“, fragt die 38-Jährige.

Haustiere als Familienmitglieder oder Partnerersatz

„Vor 100 Jahren waren Katze oder Hund – heute die häufigsten Tierarten bei den Petfluencern – eher Nutztiere. Da wäre kaum einer auf die Idee gekommen, persönliche Gespräche mit ihnen führen zu wollen“, sagt die Forscherin. Inzwischen aber scheine das ein grundlegendes Bedürfnis der Menschen zu sein, da Tiere zu echten Familienmitgliedern oder auch zum Ersatz menschlicher Lebenspartner würden.

Das kann Hester Pommerening vom Deutschen Tierschutzbund bestätigen. Sein Haustier in den sozialen Medien zu präsentieren, sei inzwischen Teil menschlicher Kultur geworden, sagt die Tierschützerin, die diese Entwicklung zwiespältig sieht. „Das Problem: Je erfolgreicher ein Tier als Petfluencer wird, desto höher ist das Risiko, dass Profit und Likes in den Vordergrund des Halters rücken und das Wohl des Vierbeiners aus den Augen verloren wird.“ Besonders kritisch sehen Tierschützer ihren Angaben nach die Vermenschlichung von Hund oder Katze, beispielsweise durch das Anziehen von Kleidung oder die Präsentation als Werbestar.

Das sieht man auch im neuesten Post des Accounts „Goldenretriever_lilly“. Ein Welpe liegt da im Bett auf dem Rücken, angelehnt an ein Plüschtier, auf dem Bauch ein Gläschen mit Snacks, und schaut auf dem iPad einen Film.   

Follower bekämen dadurch ein falsches Bild von den tatsächlichen Bedürfnissen und Verhaltensweisen von Tieren vermittelt. „Tiere sollten nicht künstlich in Szene gesetzt, sondern, wenn überhaupt, in ihrem normalen Alltag fotografiert werden“, sagt Pommerening.

Tierhalter schreiben im Internet in Ich-Form für Hund oder Katze

Etwa 12.000 Petfluencer-Posts von Hunden und rund 8000 von Katzen hat sich die Brandenburger Forscherin Lind inzwischen näher angeschaut. Was ihr bei den im Herbst vergangenen Jahres begonnenen Recherchen als spezifisch deutsch aufgefallen ist: „Wer sein Tier nicht kommerziell vermarktet – etwa um besonderes Futter oder Zubehör von Kooperationsfirmen an Follower zu verkaufen –, der kreiert mit ihm eine heile Parallelwelt“, sagt die Sprach-Forscherin.

Auch die German Petfluencer Awards gibt es inzwischen. Auf der Gelände der Preisverleihung darf auch eine Kulisse für Fotoshootings nicht fehlen.
Auch die German Petfluencer Awards gibt es inzwischen. Auf der Gelände der Preisverleihung darf auch eine Kulisse für Fotoshootings nicht fehlen.Christoph Reichwein/dpa

Süße Tierbilder im Internet seien der Renner, um vom stressigen oder problembehafteten Alltag abzuschalten. Infantil und verkindlicht würden Hund oder Katze zunehmend scheinbar sprechen. „Die Besitzer schreiben unter ihre Tierfotos Texte in der Ich-Form ihres Vierbeiners“, berichtet Lind. Wer Kommentare zu diesen Posts hinterlasse, tue das häufig auch aus der Perspektive des eigenen Haustiers. „Da sind richtige Communitys entstanden – vor der Nutzung des Internets undenkbar. Man bleibt unter sich, kritische Einträge gibt es kaum.“

„Sprechende“ Tiere im Netz sind kein deutsches Phänomen

Das kann auch die Linguistin Naomi Truan von der holländischen Universität Leiden bestätigen. Sie hat speziell auf Twitter die Posts französischer Katzenbesitzer analysiert. „Die Besitzer tun, als wären sie ihre eigene Katze, und transferieren eigene Emotionen auf das Tier. Da hat sich im Französischen eine Art Katzensprache mit bestimmten Begriffen und Formulierungen entwickelt, die jedes Mitglied der betreffenden Community übernimmt.“ Auch Dialekte würden dabei eine Rolle spielen. „Wer sich zugehörig fühlt, übernimmt diese Eigenheiten und passt sich an.“

Sogenannte Petfluencer, Tiere mit reichweitenstarken Accounts in den sozialen Netzwerken, warten in einem Kölner Kino auf die Vorführung des Films „DC League of Super-Pets“.
Sogenannte Petfluencer, Tiere mit reichweitenstarken Accounts in den sozialen Netzwerken, warten in einem Kölner Kino auf die Vorführung des Films „DC League of Super-Pets“.Henning Kaiser/dpa

Von ihrer Forschung erhofft sich die Linguistin Lind vor allem Erkenntnisse, die beispielsweise in der Psychologie genutzt werden könnten. „Ich will erfahren, wie fundamental sich das Verhältnis zum Haustier gewandelt hat, das inzwischen quasi einen menschlichen Status bekommt, und ich will verstehen, wie durch Sprache und Kommunikation eine Art Parallelwelt konstruiert wird, in der das Leben scheinbar noch in Ordnung ist.“

Zudem interessiere sie, was die Internetkultur mit den Menschen mache und wie durch Beiträge in den sozialen Medien neue Identitäten als Katzen- oder Hunde-Mama entstünden.

Wie KI bei der Kommunikation helfen soll

Auch Maschinen und Künstliche Intelligenz (KI) spielen bei der Kommunikation zwischen Mensch und Tier mittlerweile eine Rolle. „Da sollen Sprachassistenten oder KI-Programme entwickelt werden, die das Bellen übersetzen oder die Videotelefonie mit dem Vierbeiner ermöglichen“, beschreibt die Forscherin Lind.

Unternehmen würden Geräte entwickeln, die den Hund auch in Abwesenheit der Halter mit KI trainieren sollen. Zur Belohnung spucke die Maschine Leckerlis aus. „In einer Zeit, wo viele Leute kaum mehr Zeit für das Familienleben haben, sollen diese Geräte bei der Beschäftigung helfen“, erklärt Lind.