Einen Platz in einem Pflegeheim zu ergattern, ist bereits eine Herausforderung – ihn aus eigener Tasche zu finanzieren, gleicht einem Sechser im Lotto. Während die Politik Reformen verspricht, bleibt die zentrale Frage: Wie lange hält dieses System noch durch?
Für viele Berlinerinnen und Berliner bedeutet der Einzug in ein Pflegeheim den finanziellen Absturz. Die Eigenbeteiligung liegt inzwischen bei durchschnittlich 2975 Euro pro Monat – 340 Euro mehr als im Vorjahr, wie der Ersatzkassenverband vdek errechnet hat.
Wer es schafft, einen Heimplatz für seine Angehörigen zu finden, kann sich glücklich schätzen, schreibt der „Tagesspiegel“ (Bezahlschranke). Seit Jahren schrumpft das Angebot, 2023 waren in Berlin noch rund 31.000 Plätze verfügbar. Gleichzeitig gehen die geburtenstarken Jahrgänge bald in Rente, was den Bedarf in den kommenden Jahren massiv steigen lässt. Doch anstatt neue Pflegeheime zu bauen, bleibt der Markt angespannt. Warum? Und wieso steigen die Kosten unaufhaltsam, obwohl von Insolvenzen und einem drohenden Heimsterben die Rede ist?
Teure Pflege: Wer bezahlt die Rechnung?
Die Wurzeln des Problems reichen bis zur Einführung der Pflegeversicherung 1995 zurück, so der „Tagesspiegel“. Im Gegensatz zur Krankenversicherung funktioniert sie nach dem Teilkasko-Prinzip: Die Kassen übernehmen nur einen festgelegten Anteil der Kosten. Da die staatlichen Zuschüsse nur langsam angepasst werden, während Inflation und Löhne steigen, wächst die finanzielle Belastung für Pflegebedürftige stetig.
Die Heimbetreiber argumentieren, dass sie lediglich ihre gestiegenen Ausgaben weitergeben – höhere Lebensmittel- und Energiekosten sowie die gesetzliche Verpflichtung, seit 2022 überdurchschnittliche Löhne zu zahlen. Doch Kritiker sehen darin nicht die ganze Wahrheit.
Streit um Pflegekosten: Berechtigte Steigerung oder Gewinnmaximierung?
Die Verbraucherzentrale Berlin äußert Zweifel daran, dass jede Preissteigerung gerechtfertigt ist. Die Kosten würden steigen, aber nicht jede Erhöhung sei notwendig, sagt Pascal Bading, Jurist und Berater für Betroffene zum „Tagespiegel“.
In den sogenannten Pflegesatzverhandlungen, bei denen Kassen, Betreiber und das Land die Kosten für die nächsten Monate festlegen, werden oft pauschale Erhöhungen ohne genaue Nachweise vereinbart – eine Praxis, die Zeit und Mühe spart, aber nicht zwangsläufig die tatsächlichen Kosten widerspiegelt.

Sabine Gundlach, Unternehmensberaterin für Pflegeeinrichtungen, sieht das differenzierter. Während Kollektivverhandlungen oft pauschale Steigerungen festlegen, müsse bei individuellen Verhandlungen jeder einzelne Posten detailliert begründet werden. Ihrer Erfahrung nach sind letztere oft vorteilhafter für die Betreiber.
Die Senatsgesundheitsverwaltung betont, dass Pflegeheime keine unangemessenen Gewinne erzielen dürften. Selbst nach Kollektivverhandlungen werde geprüft, ob die Kostensteigerung gerechtfertigt sei.
Fehlende Förderung: Warum entstehen kaum neue Pflegeheime?
Neben den hohen Kosten bleibt das Problem des knappen Angebots bestehen. Laut dem Statistischen Bundesamt wird die Zahl der Pflegebedürftigen in Berlin bis 2035 auf rund 216.000 steigen – heute sind es knapp 185.000. Doch Neubauten bleiben Mangelware.
Die Gründe liegen auch in der Finanzierung: Der Bau eines Pflegeheims mit 100 Plätzen kostet laut dem Arbeitgeberverband Pflege rund 13 Millionen Euro. Viele Investoren schrecken vor diesen Summen zurück. Der Ersatzkassenverband vdek fordert daher eine stärkere Beteiligung der Länder an den Investitionskosten, um die Eigenanteile der Pflegebedürftigen zu senken.
Aktuell gibt es in Berlin 265 Pflegeheime, davon 75 mit öffentlicher Förderung. Doch ein Förderprogramm für Neubauten fehlt. Andere Bundesländer wie Bayern gehen einen anderen Weg und bezuschussen jeden neuen Platz mit bis zu 60.000 Euro.
Verbraucherschützer Bading merkt allerdings an, dass viele Betreiber gar keine staatlichen Zuschüsse wollen – denn ohne Förderung müssen sie die Investitionskosten nur bei den Behörden anzeigen, und diese werden dann direkt auf die Bewohner umgelegt. Das führt schon mal zu absurden Summen: Im „Haus Sonne“ in Lichterfelde fielen zuletzt 1521 Euro monatlich allein für diesen Posten an.
Pflege als Renditeobjekt
Trotz aller Schwierigkeiten bleibt die Branche für Investoren attraktiv. Laut einer Analyse des Immobilienberaters Savills lag die Spitzenrendite für Pflegeheime in Deutschland Ende 2024 bei 5,2 Prozent, berichtet der „Tagespiegel“.
Ein Grund für diese hohen Renditen liegt in der Struktur vieler Einrichtungen: Oft gehören die Immobilien nicht den Betreibern selbst, sondern externen Investoren. Die Mieten fließen dann in die Berechnung der Heimkosten ein. Besonders problematisch wird das, wenn Heime mehrfach den Eigentümer wechseln – die sogenannten Investitionskosten können so zu einem zweiten Heimentgelt werden.
Pflege-System am Limit – was kann die Politik tun?
Während eine Insolvenzwelle in Berlin bislang ausgeblieben ist, steht außer Frage: Das Pflegesystem ist reformbedürftig. Die Kassen stehen unter enormem Druck, und wenn die Ersparnisse der Pflegebedürftigen aufgebraucht sind, bleibt oft nur die Sozialhilfe.
Ein viel diskutiertes Modell ist der sogenannte Sockel-Spitze-Tausch in der Pflegeversicherung, den auch die SPD in den aktuellen Wahlkampf trägt. Er sieht vor, dass die Eigenanteile auf 1000 Euro gedeckelt werden. Die Umsetzung wäre allerdings teuer – je nach Berechnungsmodell könnte sie mehrere Milliarden Euro kosten.
Ohne grundlegende Reformen steuert das Pflegesystem also auf einen Kollaps zu – mit drastischen Folgen für Pflegebedürftige und ihre Familien.
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