Friedrichstadt-Palast

Berlin: Polizeischutz und Küsse für Stardesigner Jean Paul Gaultier

Im Berliner Friedrichstadt-Palast fand am Mittwochabend die Weltpremiere von „Falling | In Love“ statt. Der Jubel war groß, der Trubel auch.

Author - Karim Mahmoud
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Und Schmatz! Jean Paul Gaultier mit den Jedward-Zwillingen bei der „Falling <strong>|</strong> In Love“-Premiere im Friedrichstadt-Palast in Berlin.
Und Schmatz! Jean Paul Gaultier mit den Jedward-Zwillingen bei der „Falling | In Love“-Premiere im Friedrichstadt-Palast in Berlin.APress/imago

Die Welt ist aus den Fugen, und der Friedrichstadt-Palast in Berlin liefert die Show der Stunde: Liebe in Zeiten des Hasses, genau darum geht es im neuen bunten Kolossal-Werk der größten Theaterbühne der Welt. Am Mittwochabend fand die Premiere von „Falling | In Love“ statt. Natürlich mit der berühmten Kickline. Natürlich umjubelt. Und unter Polizeischutz.

Latex, Gummi und ein Hauch von Rebellion. Die Bühne ist ein großer Zaubergarten, und mittendrin steht ER: ein junger gehörloser Poet namens You. You sucht die Liebe, aber wird er sie wirklich finden?

Auch wenn es in diesen Tagen nicht einfach ist, sich auf eine entrückte, in Wolken schwebende Geschichte über Liebeskummer einzulassen, man muss dem „Palast“-Intendanten Berndt Schmidt zugestehen: Ein Händchen für Timing hat er.

So sieht sie aus, die Show „Falling | In Love“. Jean Paul Gaultier entwarf Hunderte Kostüme dafür.
So sieht sie aus, die Show „Falling | In Love“. Jean Paul Gaultier entwarf Hunderte Kostüme dafür.Bernd Elmenthaler/imago

In allen möglichen Ecken des Planeten schießen sich die Menschen gleichzeitig tot, aber Schmidts Friedrichstadt-Palast arbeitet emsig an der großen Versöhnung. Von Berlin geht halt immer der Weltentwurf aus. Und das gelingt Schmidt und seinem künstlerischen Team um Visual Design Direktor Jean Paul Gaultier und Regisseur Oliver Hoppmann in jedem Falle gut, zumindest visuell.

100 Millionen Swarovski-Kristalle für Jean Paul Gaultier

Die Geschichte, die  „Falling | In Love“ erzählt, ist natürlich etwas dünne. Ungefähr so dünn wie das Versprechen „Ich werde dich immer und ewig lieben!“ Aber sie ist massentauglich, und darauf kommt es im Friedrichstadt-Palast an.

100 Millionen Swarovski-Kristalle (wer hat die eigentlich gezählt?) funkeln die 1900 Zuschauer im Saal an. Sie wurden aufwendig in der Kulisse verteilt. In einer Szene bewegen sich die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts katzengleich auf einem regelrechten Kristall-Teppich – und bekommen so nebenbei noch eine hübsche Fußmassage.

Glitzerprodukte will die EU ja ab dem 15. Oktober komplett verbieten, aus Nachhaltigkeitsgründen: Aber im Friedrichstadt-Palast blitzt und glitzert es, als wären Luxus und Licht das neue Sparen.

Jean Paul Gaultier mit dem Ballett des Friedrichstadt-Palasts
Jean Paul Gaultier mit dem Ballett des Friedrichstadt-Palastseventfoto54/imago

14 Millionen Euro hat diese gigantische Show gekostet, bis jetzt! Es ist die teuerste aller Zeiten im Haus. Gefloppt werden darf also nicht, denn dann ist Schluss mit lustig. Aber es sieht ja auch nicht so aus.

Berndt Schmidt sagte vor der Weltpremiere, die wegen chaotischen Verhältnissen bei der Kartenausgabe erst mit mehr als einer halben Stunde Verspätung startete: Schon über 100.000 Tickets seien im Vorverkauf rausgegangen. Damit sind wohl 60 Prozent der Produktionskosten wieder drin.

Allein die Kostüme von Gewand-Großmeister Jean Paul Gaultier haben Unsummen verschlungen, entsprechend können sie sich in Berlin dann aber auch sehen lassen. Natürlich sind die berüchtigten Kegelbusen gleich da, die Madonna einst berühmt machte, ebenso die für  Gaultier typischen Strapse-Variationen und horizontal ausladenden Schultern. Ein wiederkehrendes Thema der neuen Show ist die Liebe zur Natur, also muten die Künstlerinnen und Künstler oft wie Tiere und Pflanzen an.

Jean Paul Gaultier kreierte 500 Kostüme für den Friedrichstadt-Palast

Irgendeiner zog kürzlich den Vergleich mit dem Triadischen Ballett von Bauhaus-Meister Oskar Schlemmer  (1888–1943). Was natürlich Quark ist. Denn das Triadische Ballett war ein Experiment der Geometrie und Zahlen-Magie. Die abgezirkelte Präzision der mechanischen Kostüme Schlemmers steht für eine Welt, die ihre alte organische Geschmeidigkeit verloren hat. Vor allem in den Zweierbeziehungen. Die Zahl Drei steht dabei für das Kollektiv, das die Zweierbeziehung endgültig überwindet.

Intendant Berndt Schmidt (l.) neben Jean Paul Gaultier und Regisseur Oliver Hoppmann (r.) bei der Weltpremiere in Berlin.
Intendant Berndt Schmidt (l.) neben Jean Paul Gaultier und Regisseur Oliver Hoppmann (r.) bei der Weltpremiere in Berlin.Photopress Müller/imago

So gesehen ist die Geschichte von „Falling | In Love“, sind die sicher sehenswerten Kostüme von Gaultier eher nicht triadisch. Denn was wird erzählt in diesem fließenden schönen Glitzer-Märchen der glamourösen Art? Die Geschichte von You (Callum Webdale) und Me (Laura Panzeri), die nach einer langen Odyssee der Einsamkeit endlich zueinanderfinden, zur Zweisamkeit.

Dass Gaultier im „Palast“ der richtige Mann für den Style und Touch ist, darüber kann auch nach der Weltpremiere kein Zweifel bestehen. Wenngleich das aufregendste Kostümdesign, das lustige Wassertropfen-Ballett, gar nicht von ihm entworfen wurde, sondern von Sasha Frolova, die gern mit aufblasbarem Latex arbeitet.

Conchita Wurst auf dem Rasenteppich bei der Weltpremiere im Friedrichstadt-Palast
Conchita Wurst auf dem Rasenteppich bei der Weltpremiere im Friedrichstadt-PalastPhotopress Müller/imago

Aber Gaultier muss sich nicht grämen. Er ist in Berlin der Star. Selbst wenn es wahr wäre, dass er in der Pariser Couture-Szene längst zum alten Eisen gehört, hier an der Spree macht der 71-Jährige bella figura. „Ich war begeistert von der Vision für diese Grand Show, von der Botschaft der Inklusion und dem Lob der Andersartigkeit“, so der französische Stardesigner. Mehr als 500 Kostüme hat er für die Show kreiert.

Berliner Krawattengott lobt Jean Paul Gaultier

Begeistert war nicht nur Gaultier, begeistert war auch das Publikum der Weltpremiere: „Wir werden hier jedes Mal so beschenkt“, sagte Inka Bause dem KURIER. „Bombastisch“, nannte Conchita Wurst den glamourösen Abend. Und Berlins Krawattengott Jan-Henrik Maria Scheper-Stuke musste neidlos anerkennen: „Gaultier ist deutlich kreativer als ich.“

Dieter Hallervorden und Christiane Zander bei der „Falling | In Love“-Show-Premiere in Berlin.
Dieter Hallervorden und Christiane Zander bei der „Falling | In Love“-Show-Premiere in Berlin.Apress/imago

Und auch Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) und Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) waren hin und weg von dem Abend. Ebenso Barbara Slowik, Berlins Polizeipräsidentin, die in diesen Tagen nur wenig Zeit für Ausflüge in den Kulturbetrieb hat. Jedenfalls brachte sie ihre Beamten gleich mit ins Theater. Wegen der verschärften Bedrohungslage stand der Friedrichstadt-Palast quasi unter Polizeischutz.

Intendant und Show-Produzent Berndt Schmidt hatte unmittelbar vor Show-Beginn gesagt, in seinem Theater würden Juden, Christen und Muslime arbeiten, Russen ebenso wie Ukrainer. Und alle würden sie sich verstehen. Wenn das keine Hoffnung macht …

Unter den prominenten Gästen, die dieses Mal alle über einen Rasenteppich spazieren durften, waren auch Wolfgang Lippert, Jeanette Hain, Heike Makatsch und Trystan Pütter, Ella Endlich, Jo Groebel, Alina Levshin, Holger Klotzbach, Julian F. M. Stoeckel, Gerlinde Jänicke, Georg Strecker, Klaus Wowereit, Bettina Cramer mit ihrer Tochter Carla, die selbst im „Palast“ tanzt, Sheila Wolf, Tina Ruland, Dieter Hallervorden, Jasmin Wagner, Kool Savas, Berlins Kultursenator Joe Chialo und die Holocaust-Überlebende Margot Friedländer.

Karten für die Show  „Falling | In Love“ gibt es im KURIER-Ticketshop.