Union-Kolumne

Sieh an, so einen wie Ansah hatte auch der 1. FC Union noch nie

Das Bilderbuch-Debüt des Stürmers mit zwei Traumtoren gegen den VfB Stuttgart sucht in den eisernen Erstliga-Annalen seinesgleichen.

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Wusste nach seinem Traum-Debüt kaum wohin mit den Gefühlen: Doppelpacker Ilyas Ansah
Wusste nach seinem Traum-Debüt kaum wohin mit den Gefühlen: Doppelpacker Ilyas AnsahMatthias Koch/imago

Diesen Traum hat wahrscheinlich jeder Knirps, wenn er anfängt, Fußball zu spielen. Abends im Bett liegen, sich in eine völlig andere Welt denken und sich vom Gefühl forttragen lassen, wie es wäre, für einen namhaften Verein gleich im ersten wichtigen Spiel zu treffen. In einem Spiel, in dem es um wirklich etwas geht.

Gleich noch doppelt treffen, sodass die Tore zum Sieg in diesem ersten Match der Saison reichen. Zumal über einen Gegner, der zu den heimlichen Favoriten auf eine vordere Platzierung zählt. „Das sind Momente, von denen man immer geträumt hat“, sagte deshalb Ilyas Ansah nach seinem Doppelpack für den 1. FC Union beim 2:1 zum Start in die neue Bundesligasaison gegen den VfB Stuttgart. Der Debütant im Trikot der Eisernen war jedoch auch ein klein wenig ungläubig: „Aber dass sie dann wirklich passieren …“

Vielleicht waren es auch nur die ersten Kostproben eines Traumfängers. Kaum jemand bei den Köpenickern, dem dabei nicht das Herz aufgegangen ist. Schon lässt sich von allen Seiten locker drüber plaudern. Hätte es nicht geklappt, wäre der Traum ein Traum geblieben. Auch nicht schlimm. Wie bei so vielen, für die sich der Traum bereits mit einem Einsatz ganz oben erfüllt hat. Ein Tor kann da nur das i-Tüpfelchen sein. Es gibt nicht viele Angreifer in der Bundesliga, die noch besser gestartet sind.

Nie hat ein Eiserner ein solches Erstligadebüt hingelegt

Elf Spieler nur haben im ersten Spiel für ihren neuen Verein drei Tore erzielt, die meisten aber hatten zuvor schon anderswo in der Bundesliga gespielt und dort ein nicht so spektakuläres Debüt gegeben. Nils Petersen ist bei seinem Einstand für Freiburg ein Dreier geglückt, nur hatte der Stürmer aus Halberstadt bereits bei Werder Bremen und Bayern München Erstligaerfahrung gesammelt.

Auch was Historisches für den 1. FC Union: Marius Bülter (M.) trifft 2019 beim 3:1 gegen Dortmund zum 1:0 …
Auch was Historisches für den 1. FC Union: Marius Bülter (M.) trifft 2019 beim 3:1 gegen Dortmund zum 1:0 …Matthias Koch/dpa

Erling Haaland, dem das im Dress von Borussia Dortmund bei einem 5:3 in Augsburg gelang, hatte mit Salzburg Champions League gespielt und war Nationalspieler für Norwegen. Olaf Marschall, der bei einem 3:3 von Dynamo Dresden beim VfB Leipzig, seinem Ex-Verein, alle Treffer für die Elb-Florenzer erzielte, war in Länderspielen für die DDR dabei und nach drei Jahren bei Admira/Wacker Wien gerade nach Deutschland zurückgekehrt.

… und legt dann auch noch das 2:1 nach – zum ersten eisernen Bundesliga-Doppelpack.
… und legt dann auch noch das 2:1 nach – zum ersten eisernen Bundesliga-Doppelpack.Andreas Gora/dpa

Auch Hermann Ohlicher, Friedhelm Funkel und Pierre-Emerick Aubameyang kennt man. Kaum noch Peter Meyer und Martin Fenin. Wohl erst recht nicht Roda Antar, Adhemar und Engelbert Kraus. Das wird selbst für Bundesliga-Enthusiasten ein Kramen in der hintersten Kiste der Erinnerungen. Klar ist, dass die beiden Treffer von Ansah alles andere als alltäglich sind.

In die Annalen des 1. FC Union gehen sie jedenfalls als außergewöhnlich ein. Nie hat für die Eisernen jemand ein derart spektakuläres Erstligadebüt hingelegt. Nicht in der Bundesliga und nicht in 19 Spielzeiten in der DDR-Oberliga. Marius Bülter, der erste Doppelpacker in der eisernen Bundesligageschichte, schaffte sein Kunststück im dritten Spiel bei einem 3:1 gegen Dortmund.

Joel Pohjanpalo zeigt es an: Er hatte gerade für den 1. FC Union dreimal gegen Bremen getroffen.
Joel Pohjanpalo zeigt es an: Er hatte gerade für den 1. FC Union dreimal gegen Bremen getroffen.Matthias Koch/imago

Joel Pohjanpalo, dem bei einem 3:1 gegen Bremen der erste Hattrick für die Köpenicker in Deutschlands oberster Spielklasse glückte, war da schon einige Monate im Berliner Südosten. Ähnlich historisch wie der Beginn für Ilyas Ansah fiel allenthalben der Start ins Spieljahr 1976/77 aus.

Für Ansah kann es Fluch und Segen sein

Das Team von Trainer Heinz Werner war nach drei Jahren in der zweitklassigen DDR-Liga gerade erst ins Oberhaus zurückgekehrt und bekam es im Lokalderby gleich mit dem BFC Dynamo zu tun. Das goldene 1:0, im prallgefüllten Stadion der Weltjugend von Ulrich Netz erzielt, ging gleichfalls in die Annalen ein. Nur hatte Netz, wie die meisten damals, schon eine längere Zeit bei Union hinter sich.

Für Ansah kann die perfekte Premiere Fluch und Segen sein. Obwohl er mit 20 Jahren ziemlich am Anfang seiner Profikarriere steht, liegt die Latte bereits verdammt hoch. Nicht jeder Schuss aus gut 25 Metern, wie beim ersten Tor bestaunt, kracht hoch an den linken Innenpfosten und von dort hinter die Linie. Auch flutscht nicht jede Direktabnahme, wie beim zweiten Treffer grandios ausgeführt, halb unterm gegnerischen Keeper durch, sondern zappelt auch mal nur im Fangnetz.

Das Quäntchen Glück wuchs gleich zweimal zum Quantum. Deshalb: Locker bleiben und zur Not verdammt viel Geduld mitbringen. Vor allem gilt das für einen jungen Mann wie Ilyas Ansah, der wahrscheinlich noch viele andere Träume hat.