Ausgelassener kann die Stimmung beim 1. FC Union nicht sein als nach diesem fast historischen Sieg gegen Freiburg. Auf der Waldseite ist der Teufel los. Auch sonst steppt der Bär im Stadion An der Alten Försterei. Ritter Keule, das Maskottchen, ist auf den Rasen gestürmt. Benedict Hollerbach, der Schütze zum wichtigen wie sehenswerten 1:0, liegt sich mit Manager Oliver Ruhnert in den Armen. Lucas Tousart will Chris Bedia zu einer Tanzeinlage inspirieren. Rani Khedira, der in diesem Spiel gesperrt, und Kevin Vogt, der verletzt fehlte, sind mittendrin. Im Spielerkreis wird Jakob Busk, der nach achteinhalb Jahren scheidende Däne, in die Höhe geworfen und von den Fans mit „Ja-kob Bu-usk!“-Sprechchören gefeiert. Die wie immer ausverkaufte Arena gleicht nach dem in allerletzter Minute geschafften Klassenerhalt einem Tollhaus.
Rönnow: Keeper des 1. FC Union kann auch am Herd und am Klavier
Nur einer spaziert durch die Reihen, als ginge ihn das alles nicht die Bohne an. Auf seinem Arm genießt Söhnchen Theodor, inzwischen viereinhalb, die spontane Feier und die vor Freude tobende Meute mit der Ruhe, die auch sein Vater ausstrahlt. Bis vor ein paar Minuten stand der noch in seiner grasgrünen Spielkleidung zwischen den Pfosten jenes Tores, über dem auf der Videotafel wuchtig das 2:1 prangt. Auch er hatte nach dem emotionalen Ende der Partie und des Spieljahres Tränen in den Augen, hat sich aber wieder im Griff und genießt den Augenblick: Frederik Rönnow.
Längst gehört der Schlussmann, der seine dritte Saison beim 1. FC Union gespielt hat, zu den prägenden Figuren des Vereins. Manche nennen ihn ein wichtiges Puzzlestück in einer meist funktionierenden Gruppe, anderen imponieren seine bärenstarke Ruhe und frappierende Sicherheit, für die dritten ist er ein cooler Typ, für die allermeisten ein großartiger Torhüter und für alle gemeinsam ein durch und durch sympathischer Kerl. Er ist ein Typ, den sich wahrscheinlich jede Mutter einer heiratsfähigen Tochter als Schwiegersohn wünscht. Zumal selbst seine Kochkünste nach eigener Aussage „immer besser“ werden und er auch am Klavier meist die richtigen Töne anzuschlagen weiß.
Union-Torwart 71 Länderspiele auf Dänemarks Bank
Vor allem aber ist er geerdet. Fest verankert in seiner Familie, zu der seit genau einem Jahr ein zweites Kind gehört. Am Abend vor dem damals letzten Saisonspiel wurde es geboren. Danach hat Rönnow gegen Bremen die Null gehalten, zum elften Mal in jener Saison hat er das geschafft in seinem 29. Saisonspiel. Und das nach einer fast durchwachten Nacht. „Ich habe vor dem Spiel gegen Bremen im Krankenhaus geschlafen. Das war zwar nicht optimal“, sagt er, „aber es hat ja alles geklappt.“ Als „krass“, „krank“ und „Wahnsinn“ bezeichnet er all das, was seinerzeit innerhalb kürzester Zeit passiert ist.
Seine Wahl zum Unioner der Saison inklusive. Mit Abstand hat er sich damals durchgesetzt. „Für die große Unterstützung bin ich dankbar“, versichert Rönnow immer wieder, „all das macht mich stolz und froh. Es ist für mich eine große Ehre.“ Etliche derjenigen, die ihm ihre Stimme gegeben haben, sahen in ihm einen der zehn besten Torhüter in Europa, manche sogar der besten fünf. Na gut, das ist durch die rot-weiße Union-Brille geschaut. Eine enorme Wertschätzung drückt es jedenfalls aus.

Dabei ist der 31-jährige Schlussmann, obwohl er nach 31 Spielen in den Nachwuchsteams Dänemarks seit 2016 zum Kader des A-Teams gehört, selbst dort bisher nicht über die Nummer 2 hinweggekommen. Die meisten der Länderspiele verbrachte er auf der Bank, 71 sind es. Bei den Einsätzen ist es mit zehn gerade so über einstellig. An Kasper Schmeichel, Sohn des berühmten Peter Schmeichel, ist für ihn kein Vorbeikommen.
Rönnow: Liebeserklärung an 1. FC Union
So nicht bei der Weltmeisterschaft 2018 in Russland, als „Danish Dynamite“ im Viertelfinale gegen den späteren Vizeweltmeister Kroatien hauchdünn im Elfmeterschießen ausschied, auch nicht bei der Europameisterschaft 2021, als sich sein Team bis ins Halbfinale kämpfte und dort England in der Verlängerung 1:2 unterlag, und nicht bei der WM 2022 in Katar, als es schon nach der Gruppenphase nach Hause ging.
Es ist jedoch nicht so, dass Rönnow das Warten nicht gelernt hätte. Bevor er in der Bundesliga Fuß fasste, vergingen auch ein paar Jahre. In Frankfurt hatte er mit Kevin Trapp die unerwartet zurückgekehrte Eintracht-Ikone vor der Nase, auf Schalke spielte er gegen den Abstieg und konnte den nicht verhindern, in Köpenick musste er sich anfangs hinter Andreas Luthe anstellen. Geduld ist gerade für einen Torhüter eine herausragende Eigenschaft.

Längst aber hat der 1,88 Meter große Schlussmann in Köpenick sein Glück gefunden. „Ich mag den Verein, ich mag die Stadt, ich fühle mich hier sehr wohl“, versichert er. Selbst einst aufgekommene Gerüchte über einen Vereinswechsel, speziell von Lazio Rom war die Rede, lächelte er sympathisch weg. Im Gegenteil. Im Laufe der zurückliegenden Saison, als es wirklich nicht gut stand um die Eisernen, hat er seinen Vertrag verlängert. Anfang des Jahres war das und das glückliche Ende nicht absehbar.
Mit 31 ist Rönnow Dänemarks Zukunft
Als Grund seines Bleibens erklärte er nur: „Die Atmosphäre bei Union ist wirklich großartig, das zeigt sich gerade auch jetzt, da wir gemeinsam eine sehr schwierige Phase zu bestehen haben.“ Schon lange war er nicht nur in den Augen von Manager Oliver Ruhnert „ein Schlüsselspieler“, mit dem sich für den Verein die Hoffnung verknüpfte, „weiterhin von seiner Qualität und seinem Teamgeist zu profitieren“.
Vielleicht hat er auch insofern das Glück des Tüchtigen (die Qualität eines klasse Schlussmannes sowieso), dass es bei seinem vierten großen Turnier zum ersten Einsatz reicht. Gegen Slowenien wäre es in Stuttgart möglich, gegen England in Frankfurt (wo er einst ja spielte) und gegen Serbien in München. Oder in der K.o.-Phase. Vielleicht auch bei der nächsten WM oder EM. Schmeichel ist inzwischen 37 und könnte sich aus seinen allerbesten Jahren vielleicht schon verabschieden, Rönnow kommt mit 31 gerade erst rein. Warten, das wissen inzwischen alle, hat er ja gelernt. ■