Union-Kolumne

1. FC Union: Wie ein Rot-Sünder zum Opfer wird

Am Fall von Stürmer Kevin Volland zeigt sich, dass der Videoassistent seinen Sinn mal wieder untergräbt und Fairplay noch der Übung bedarf.

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Kevin Volland versteht die Welt nicht mehr: Schiedsrichter Robert Hartmann zeigt ihm die Gelb-Rote Karte.
Kevin Volland versteht die Welt nicht mehr: Schiedsrichter Robert Hartmann zeigt ihm die Gelb-Rote Karte.Peter Hartenfelser/Imago

Gern machen Fußballer auf Unschuldslamm. Im Gegensatz zu Aktiven in anderen Sportarten sogar ziemlich häufig. In nahezu allen Spielen ist die mit hochgezogenen Schultern und nach vorn offenen Handflächen Ich-hab-doch-nichts-gemacht-Geste zu sehen. Hoch im Kurs steht auch der mit beiden Händen von oben nach unten gezogene Kreis, womit signalisiert werden soll: Ich hab den Ball gespielt. Zur Unterstützung wird mit ausgestrecktem Zeigefinger auf die Kugel gewiesen, die gut auch ohne eigenes Zutun zehn Meter weitergerollt wäre, und die Wahrhaftigkeit dieser Tat mit fast hervorquellenden Augen unterstützt. Mag der am Boden liegende Gegenspieler seinen seit Sekunden lädierten Knöchel noch so sehr massieren. In solchen Fällen tun die Schiedsrichter gut daran, den Sünder mit einer Verwarnung oder beim wiederholten oder schweren Vergehen mit einem Platzverweis zu sanktionieren.

Zugleich gibt es den genau umgekehrten Fall, dass eine Gelbe oder Gelb-Rote Karte mit schauspielerischem Talent provoziert wird. So wie es jüngst Kevin Volland passiert ist. Nun ist der Angreifer des 1. FC Union kein Waisenknabe, wer ist das schon, der es in die Bundesliga oder wie er einst gar ins Nationalteam gebracht hat. Eine robuste Konstitution ist dabei von Vorteil, das Einsetzen des Körpers nicht von Nachteil und die Balance zwischen Austeilen und Einstecken ein solides Fundament für gesunde Zweikämpfe.

Volland ist vom Platz geflogen. So weit die Tatsachenentscheidung. Nur: Was ist die angesichts eines Videoassistenten und eines Assistenten des Videoassistenten noch wert? Vielmehr wäre es angebracht, die Rolle von Andrej Kramaric genauer zu betrachten. Was auf dem Bolzplatz vielleicht als Streich durchgeht, ist unter dem Aspekt des Fairplay eine Frechheit. Ein Zwinkern des Hoffenheimers unter dem Motto „Na, wie hab ich das hingekriegt“ macht die Sache nur noch schlimmer. Wo, bitte, hatten in diesem Fall die Männer im Kölner Keller ihre Augen?

Selbst das Fachblatt attestierte dem Stürmer des 1. FC Union: Unschuldig

Wenn der Schiri Gelb zeigt, sie dort aber der Ansicht sind, dass es Rot sei, geben sie ein Zeichen. Warum nicht auch diesmal? Warum nicht auch umgekehrt? Selbst bei Gericht wird im Sinne des Angeklagten entschieden. So wird, wenn selbst der Kicker, als Fachblatt einer bewussten Parteinahme für einen Verein eher weniger verdächtig, von einer „klaren Fehlentscheidung“ schreibt, auch der Videoassistent als unmöglich hingestellt. Was seinen Sinn mal wieder untergräbt und dadurch der (angebliche) Sünder zum Opfer wird.

In England, dem Mutterland des Fußballs, wo es in vielen Zweikämpfen wahrscheinlich viel erbitterter zugeht als in der Bundesliga, hätte der Schiedsrichter müde abgewunken und der durch den Luftzug Dahingesunkene wäre von den eigenen Anhängern ausgebuht worden. Keiner kann ein besseres Lied davon singen als Jürgen Klinsmann, den sie auf der Insel, als er 1994 zu Tottenham Hotspur gewechselt war, wegen seiner angeblich notorischen Fallsucht zunächst nur als Fremdkörper wahrnahmen.

Hierzulande aber wird ein derart unsportliches Verhalten als „clever“, wahlweise auch „professionell“ oder „mit allen Wassern gewaschen“ feingeredet. Dabei ist es eine ganz und gar linke Nummer und eine Schande. Solche Dinge gehören gleichfalls bestraft. Hätte Kramaric, notfalls mit einem Zwinkern, nicht erst im Fernsehinterview zugegeben, dass er nicht durch ein Foul hingefallen, sondern einfach nur gestolpert sei, hätte es einen schier unschlagbaren Kandidaten für den Fairplay-Preis gegeben. Diese Übung sollten Fußballer gern öfter trainieren.

Nach einem normalen Zweikampf macht Hoffenheims Andrej Kramaric auf dem Rasen ganz viel Alarm, damit Kevin Volland maximal Ärger bekommt.
Nach einem normalen Zweikampf macht Hoffenheims Andrej Kramaric auf dem Rasen ganz viel Alarm, damit Kevin Volland maximal Ärger bekommt.Jan-Philipp Strobel/dpa

In manchen Spielen gibt es von Roten Karten sogar mehr als von Treffern

Andererseits gehören Platzverweise zum Fußball inzwischen dazu wie Tore. In manchen Spielen gibt es von Roten Karten sogar mehr als von Treffern. Siehe, auch wenn ungerecht, beim 1:0 des 1. FC Union in Sinsheim. Dabei ist die Rot-Flut nicht allein auf mehr Brutalität zurückzuführen. In manchen Fällen ist der Sünder schlichtweg Opfer des rasanten Tempos. Sekundenbruchteile zu spät im Duell, schon hat der Gegenspieler den Ball weggespitzelt und der eigene Fuß landet ungewollt dort, wo er gar nicht landen sollte. Schlimmstenfalls am oder über dem Knöchel. Ein typischer Fall von Pech gehabt oder von schlechtem Timing.

Schiedsrichter zu sein, war noch nie einfach. Mittlerweile kommen die einstigen Männer in Schwarz aber nicht nur farbig daher, sondern gefühlt in Mannschaftsstärke und mit allerlei technischen Hilfsmitteln. Neuerdings schwebt eine neue Karte, eine blaue, über ihnen. Wer das alles fehlerfrei händeln möchte, braucht zu den üblichen fünf noch mehrere Sinne zusätzlich. Oder er bekommt einen Buchhalter zur Seite.

Das alles ist für Kevin Volland kein Trost. Den Freiraum, dass jemand nach einem noch so unberechtigten Platzverweis ohne Sperre davonkommt, bietet das Regelwerk nicht. Den Freiraum, dass sie dafür den Zwinkerer kriegen und ihn für Täuschung und fehlende Vorbildwirkung am Schlafittchen packen, schon eher. Vielleicht würde das insgesamt für etwas mehr Fairplay sorgen. ■