Keine elf Monate nach seinem Dienstantritt beim FC Bayern ist vom „schockverliebten“ Thomas Tuchel nur noch ein schwer angeschlagener Coach übrig. Nach mindestens 13 Spielen wird alles vorbei sein. Zum Saisonende wird der Vertrag aufgelöst. Der FC Bayern will neu anfangen. Am liebsten mit Leverkusen-Coach Xabi Alonso.
„Wir sind in einem offenen, guten Gespräch zu dem Entschluss gekommen, unsere Zusammenarbeit zum Sommer einvernehmlich zu beenden. Unser Ziel ist es, mit der Saison 2024/25 eine sportliche Neuausrichtung mit einem neuen Trainer vorzunehmen“, sagte Vorstandschef Jan-Christian Dreesen. Der Vertrag von Tuchel wäre eigentlich bis 2025 gelaufen.
Gleichzeitig erhöhte Dreesen nach zuletzt drei Pleiten den Druck auf die Stars. „Jeder Einzelne im Klub“, betonte der Boss, sei „ausdrücklich gefordert, um in der Champions League und in der Bundesliga das maximal Mögliche zu erreichen. Hierbei nehme ich auch explizit die Mannschaft in die Pflicht.“ Heißt: Auch Joshua Kimmich und Co stehen bis Sommer unter genauer Beobachtung.
Tuchel braucht ein Siegesserienwunder, bei dem am Ende jeder fragt: Warum nicht gleich so?
Und Tuchel? Er werde mit seinem Trainerteam „selbstverständlich weiter alles für den maximalen Erfolg geben“. Es heißt aber auch: Nach jedem Spiel kann es vorbei sein. Wenn die Bayern am Sonnabend gegen Leipzig verlieren, wenn sie das Spiel danach verlieren, oder erst recht, wenn sie im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Lazio Rom die 0:1-Pleite nicht drehen und rausfliegen. Tuchels einzige Chance ist ein Siegesserienwunder, bei dem am Ende jeder fragt: Warum nicht gleich so?
Die Diskussionen um ihn hatten nach den herben Rückschlägen in Leverkusen, Rom und Bochum rasant an Fahrt aufgenommen. Es droht gar die erste titellose Saison seit zwölf Jahren. Der designierte Sportvorstand Max Eberl, der aller Voraussicht nach am 1. März sein Amt antreten wird, steht vor der Mammutaufgabe, die Bayern in der größten Krise seit Jahren wieder in die Spur zu bringen. Zusammen mit Sportdirektor Christoph Freund muss er den dringend benötigten Umbruch der zuletzt leblosen Mannschaft vorantreiben, aber auch einen neuen Trainer finden – und das schon zum siebten Mal seit der Amtszeit von Pep Guardiola (bis 2016). Interimslösung Willy Sagnol ist da gar nicht mit eingerechnet.
Die Gerüchteküche brodelt. Es wurden Namen genannt von Zinedine Zidane über Hansi Flick, Ole Gunnar Solskjaer, Sebastian Hoeneß, Jose Mourinho und Antonio Conte bis zu Alonso. Der Erfolgscoach aus Leverkusen soll der Wunschkandidat sein, wird aber auch mit dem FC Liverpool als Nachfolger von Jürgen Klopp in Verbindung gebracht. Klopp selbst scheidet aus. Es bleibe bei der einjährigen Auszeit, stellte dessen Berater Marc Kosicke klar.

Den FC Bayern trainiert jetzt eine „Lame Duck“
Noch aber darf Tuchel weitermachen. Es ist ein riskantes Spiel der Bayern, denn der Nachfolger von Julian Nagelsmann wird durch die Entscheidung des Rekordmeisters zur „Lame Duck“. Doch Dreesen ist „davon überzeugt, dass wir insbesondere in der Champions League nach dem 0:1 im Hinspiel bei Lazio Rom im Rückspiel in unserer voll besetzten Allianz-Arena mit unseren Fans im Rücken ins Viertelfinale einziehen werden“.
Vom zwölften nationalen Titel in Serie sprach der Bayern-CEO schon gar nicht mehr, was bei derzeit acht Punkten Rückstand auf Leverkusen auch vermessen wäre. Schon am Sonntag nach dem blamablen 2:3 in Bochum hatte Dreesen auf die Meisterfrage geantwortet, dass er „kein Träumer“ sei.
Tuchel hatte im vergangenen März, verbunden mit großen Hoffnungen, die Nachfolge von Nagelsmann angetreten, in der vergangenen Saison mit den Bayern aber nur glücklich die Meisterschaft geholt. In Pokal und Champions League war er gescheitert. Auch in dieser Saison blamierten sich die Bayern bereits wieder im Pokal.
Elf Niederlagen stehen in den bisher 44 Pflichtspielen als Bayern-Trainer in Tuchels Bilanz. Entschieden zu viel für die hohen Ansprüche. Zudem wird dem 50-Jährigen ein schwieriges Verhältnis zu einigen seiner Stars – wie etwa Kimmich, Leon Goretzka, Thomas Müller oder Matthijs de Ligt – nachgesagt. Für die Münchner Gründe genug, die Reißleine zu ziehen und das Missverständnis zu beenden – ab Sommer. ■