Machen sie sich über Betroffene lustig?

Missglückte Rammstein-Gags: Sido und Die Ärzte sorgen für Shitstorms

„Ich such mir hier grad noch eine aus, die mir gleich unter der Bühne einen blasen muss“: Einige finden solche Kommentare sogar lustig!

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Hat sich Rapper Sido mit seinem flapsigen Kommentar über Betroffene lustig gemacht?
Hat sich Rapper Sido mit seinem flapsigen Kommentar über Betroffene lustig gemacht?Jonas Walzberg/dpa

Die Affäre um mutmaßlichen Machtmissbrauch und Sex-Vorwürfe gegen die Band Rammstein erzeugt hohe Wellen auch bei Kollegen im Pop-Business. Viele Popmusiker ziehen es vor, zu schweigen. Böse Kommentare zu Kollegen, mit denen man möglicherweise gemeinsam auf Festivals gespielt hat oder auf deren Gästeliste man gestanden hat, gelten offenbar als Tabu. Doch einige Künstler haben sich in den vergangenen Tagen dennoch geäußert, und zwar auf offener Bühne.

Sido mit umstrittenen Gag zum Rammstein-Affäre: Macht sich der Rapper über Betroffene lustig?

Mit einem offenbar witzig gemeinten Satz hat der Berliner Rapper Sido in den sozialen Medien für kontroverse Kommentare gesorgt. Bei einem auf Video festgehaltenen Auftritt sagte Sido demnach wörtlich: „Ich such mir hier grad noch eine aus, die mir gleich unter der Bühne einen blasen muss.“

Wie dieser Satz genau zu verstehen ist, bleibt offen. Er bezieht sich auf Aussagen von mutmaßlichen Betroffenen, die auf After-Show-Partys zu Sex mit Rammstein-Frontmann Till Lindemann gedrängt worden sein sollen. Entsprechende Aussagen zahlreicher Frauen bezeichnet eine von der Band beauftragte Anwaltskanzlei als „unwahr“ und drohte, dagegen juristisch vorzugehen. Zuvor hatte aber die Band selbst in einem Statement das Recht der Betroffenen auf ihre Sicht der Dinge betont.

Sido wird vorgeworfen, sich über die Opfer lustig zu machen. Der Kommentar sei „unpassend“, „ekelhaft“, er sei eine „Dumpfbacke“, wettern die einen. Andere finden den Sido-Satz witzig und sprechen von „schwarzem Humor“ als Ausdruck von Unbehagen, um „ernsthaftes Nachdenken“ hervorzurufen.

Reaktion auf Rammstein-Affäre: Die Ärzte scherzen über homöopathische K.-o.-Tropfen und pöbeln gegen LGBTIQ

Weitaus schwieriger ist wohl, wie die Punkrock-Band Die Ärzte mit dem Fall Rammstein umgehen: Ein verstörendes Video zeigt eine Szene aus einem Konzert der Band in Luxemburg, das auch langjährige Ärzte-Fans verstört.

Die Äußerungen der Band werden als Support nicht nur der Band Rammstein interpretiert, sondern auch eines Systems, das junge weibliche Fans selbst mittels K.-o.-Tropfen gefügig macht: „Meine K.-o.-Tropfen sind homöopathisch.“ Als wäre das nicht genug, gehen dem irritierenden Statement extrem giftige und altbackene Sätze gegen LGBTIQ voraus. Fans geben sich in sozialen Medien sprach- und fassungslos, auch über die Verächtlichmachung von Schwulen, Lesben, Trans- und Inter-Personen – überdurchschnittlich häufig Opfer von Hass-Gewalt.

Die Ärzte begannen ihre Karriere mit Ekel-Sex-Texten, nun pöbeln sie gegen Gewaltopfer?

In Vergessenheit ist allerdings geraten, dass Die Ärzte ihre Karriere mit unflätigen, hypersexualisierten Textzeilen begonnen hatten, die die Band auf den Index beförderten:

Claudia hat nen Schäferhund
Und den hat sie nicht ohne Grund
Abends springt er in ihr Bett
Und dann geht es rund

Dennoch wurde die Band bekannt für ihr Engagement gegen vor allem rechte Gewalt. Wie beides zusammenpasst, lässt sich kaum erklären. Für später entstandene Punkbands wie das Bremer Team Scheiße wären solche Äußerungen wie die der Ärzte nicht vorstellbar: Ätzende Witze über LGBTIQ und junge Frauen sind in der linken Punk-Szene ein No-Go.