Man gibt ihm besser nicht die Hand. Daniel Brühl ist verschnupft, als wir ihn im Soho House in Berlin zum Interview treffen. Nicht weil er sauer auf seine Kritiker wäre. Dafür gibt es keinen Grund. Brühl, der abwechselnd in Berlin und im Ausland wohnt, hat sich in Paris eine Erkältung eingefangen. Bei der Premiere zu „Becoming Karl Lagerfeld“. In der neuen Miniserie von Disney+ spielt der „Good Bye, Lenin!“-Star den 2019 verstorbenen deutschen Modeschöpfer.
Karl Lagerfeld, verkörpert von Daniel Brühl: Geht das überhaupt? Und WIE das geht! In Paris gab es anhaltenden Applaus, und auch bei der Deutschland-Premiere im Berliner Zoo-Palast waren die Gäste angetan. „Becoming Karl Lagerfeld“ taucht in die frühe Lagerfeld-Phase ein, als der gebürtige Hamburger Anfang der 1970er-Jahre in Paris noch ein kleines Prêt-à-porter-Licht im Modehaus Chloé war – und gegen seinen großen Rivalen, den Haute-Couture-König Yves Saint Laurent, kämpfte.
Monsieur Brühl, Ihr Lagerfeld ist wirklich beeindruckend. Wie war die Vorbereitung?
Die ersten Zuschauer waren zwei Schafe – in den Bergen von Spanien, weil ich da jetzt viel Zeit verbringe. Da waren also diese Schafe von meinem Nachbarn und ein Esel. Und dann fing ich an, mir Absätze anzuziehen und auf Französisch zu reden. Und die Reaktion von denen war auf jeden Fall schon mal gut. Das hat mir Mut gemacht (lacht). Eine richtige Körperlichkeit – und auch die richtige Sprache – zu finden, war wichtig. Sich in allem wohlzufühlen, nicht zu viel drüber nachzudenken. Ich warte schon auf den ersten Streber, der da schreibt, der Lagerfeld war aber kein Linkshänder.
Ist so was nicht wichtig?
Das war mir egal, weil ich als Kind immer sehr gern gezeichnet habe und das auch ganz gut konnte, und dann habe ich beim Drehen erst mal mit rechts gezeichnet und dachte mir sofort: Nee, dann verliere ich nämlich genau das Selbstbewusstsein, das ich als Karl Lagerfeld brauche. Und so habe ich dann eben mit links Tausende von diesen Skizzen gezeichnet, so wie dann sogar meine eigene Kollektion. An die glaube ich total: Ich habe drei Kleider gezeichnet, die ich super finde. Habe ich alles aufgehoben.

Ihr Lagerfeld klingt streckenweise echt wie Lagerfeld. Wie machen Sie das?
Bei Sprache bin ich immer sehr nerdig, da fuchse ich mich gern rein. Die richtige sprachliche Haltung gibt mir einen Halt. Ich wollte bei Lagerfeld so eine ganz leichte nordische Färbung, Großbürgertum, Blankenese und Hamburg, und auch eine bestimmte Art von Witz und Arroganz. Auch im Französischen: Wenn ich Französisch spreche, klinge ich französischer und Lagerfeld deutscher. Einige Franzosen vermuten ja, dass er das extra kultiviert hat. Bei mir ist das natürlich nicht so.
Daniel Brühl spricht als Karl Lagerfeld wirklich französisch
Liegt Ihnen die französische Sprache?
Lagerfelds Schnelligkeit, sein Wortschatz und sein Intellekt waren dem meinen natürlich bei weitem überlegen. Allerdings: Französisch liegt mir phonetisch sehr, weil ich mit Franzosen aufgewachsen bin, einem Teil meiner Familie, und deshalb wollte ich da auch mehr an Lagerfeld heran rutschen. Bleibt die Frage: Was ist Karikatur und Kopie und was füge ich dem Ganzen hinzu? Ich wollte mir die Figur zu eigen machen, ein paar Seiten von Lagerfeld eigenständig kreieren, bei anderen mich ihm aber auch deutlich annähern.
Die Premiere in Berlin wurde dann aber auf Deutsch gezeigt …
Ich wollte nicht zu fuchsig sein, aber ich habe gesagt: Könnt ihr nicht die große Premiere bitte auf Französisch mit Untertiteln machen, das ist doch 2024. Ich habe synchronisiert, ich mach das immer gerne und verstehe das, aber das ist der Gag der Geschichte: dass Lagerfeld als junger Deutscher nach Paris geht, und es geht dabei auch um so viel Arbeit, die ich da reingesteckt habe. Ehrlich gesagt: Ganz sicher hätte ich die Produktion abgesagt, wenn die gesagt hätten, wir drehen das auf Deutsch oder auf Englisch.

Warum?
Das hätte für mich keinen Sinn gemacht. Es war ja sowieso ein Wagnis. Meine erste Reaktion nach dem Angebot war ein lauter Lacher, wahrscheinlich wie alle, die das gelesen haben. Wer kommt denn auf die bekloppte Idee, sagte ich mir. Aber dann, noch während des Gesprächs, dachte ich: Moment mal, wer will denn das machen, wer kommt denn auf die Idee, mich als Lagerfeld zu sehen? Nee, da haben die Franzosen angerufen, die wollen das auf Französisch machen und auch richtig ordentlich und groß, hieß es.
Also Paris, Französisch, das Kapitel, bevor er der Lagerfeld wurde, der er später war. Da dachte ich plötzlich: Ja, vielleicht ist das ja sogar was! Und dann dachte ich auch ganz schnell: Das passt. Er wollte ja Paris erobern, das war sein Zentrum, da hat er ja auch gelebt und gearbeitet, das ergab alles Sinn, und er hat die französische Kultur und Sprache geliebt. Und auch diese Liebesgeschichte mit Jacques de Bascher auf Französisch zu erzählen, das machte für mich alles Sinn.
Lagerfeld-Serienpremiere mit Daniel Brühl in Berlin und Paris
Wie haben die Franzosen bei der Paris-Premiere Ihr Französisch angenommen?
Total gut, das war so schön! Pariser können ja auch besonders sein, die können ja auch arrogant sein. Nee, das war wahnsinnig toll. Es war ein rauschendes Fest, ganz ehrlich. Die haben auch noch länger geklatscht als in Cannes bei dem Serienfestival und das wurde richtig gut aufgenommen. Nach Berlin zu kommen, war dann wieder anders. Da dachte ich dann: Uiuiui!
Ich bin leicht alert in den Zoo-Palast gefahren, Lagerfeld war ja nun mal Deutscher, und da wird’s bestimmt auch die Leute geben, die sagen: Daniel Brühl spielt Karl Lagerfeld, was macht er denn da? Nee, das ist doch nicht Karl Lagerfeld! Und da war ich ein bisschen nervös. Und dann kommen zu den Berlin-Premieren natürlich auch immer die Leute, die mir besonders nahe sind, das macht mir natürlich auch immer Angst. Aber die Deutschen mochten es tatsächlich auch, die können mich auch nicht mehr vergackeiern.
Machen die so was?
Ich guck denen in die Augen, wenn die mich verarschen, sehe ich das sofort. Und das hat mich ja auch sehr gefreut, muss ich sagen, dass sie das nicht getan haben. Natürlich hatte ich Respekt. Aber irgendwann musst du den Schiss beiseitewerfen. Sonst hast du keine Chance. Ich musste ja auch Pfade betreten, die sehr intim und unbekannt waren. Wo du dir dann selbst was denken und den Zugang dazu finden und dann dazu stehen und das verteidigen musst. Immer mit tiefem Respekt und Verantwortung.

Was genau war anekdotisch und was war Fiktion?
Man hat sich schon stark an diesem einen Buch „The Beautiful Fall“ von Alicia Drake orientiert. Aber vieles in dieser Liebesgeschichte wird sicher frei erfunden sein. Es war auch für mich schwer, weil er ja selber so viele Versionen von seinem eigenen Leben erzählt hat – das habe ich nebenbei früher auch immer gerne gemacht, und deshalb habe ich eine große Schwäche für Leute, die so sind –, aber es war für mich, der ich drei Biografien über ihn gelesen hatte, natürlich verwirrend. Ich fragte mich oft: Welchen Weg schlägst du jetzt ein?
Daniel Brühl suchte den Kern von Karl Lagerfeld
Wie kommt man an den Kern von Lagerfeld ran?
Es ist noch die durchlässige Version von Karl, es ist ja „Becoming Karl Lagerfeld“, was wir gemacht haben. Den Karl, den ich kennengelernt habe, das war 20 Jahre später, das war die Persona, die er kreiert hat, auch um sich zu schützen, ein bisschen wie Andy Warhol. Also wie wird man zu so jemandem? Ich wollte ihn nahbar machen, ich wollte ihn in einen großen deutschen Romantiker verwandeln und nicht in diesen distanzierten, schnippischen, schlagfertigen, aber etwas kalten Hamburger Typen, sondern ich wollte das mit Wärme und Gefühl füllen. Und diese Kontraste wurden mir ja auch geboten.
Das ist natürlich ein tolles Futter als Schauspieler, wenn du diese Pole hast, die Widersprüchlichkeiten und Kontraste. Also grellstes Scheinwerferlicht, viel greller auch als in meinem Leben. Aber es gab eben auch immer Berührungspunkte, ich konnte mich immer an etwas festhalten.
Woran?
Der Drang geliebt zu werden, gemocht zu werden, den kenne ich schon auch. Bei ihm war es nur viel extremer. Scheinwerferlicht: viel extremer. Die Einsamkeit: viel extremer. Aber den Moment des Blues, den Moment der Einsamkeit, den hatte ich schon auch in meinem Leben. Und das in diesen Extremformen zu ergründen, hat mich natürlich total gereizt. Und dann so eine Paarung wie Mozart und Salieri, er und Yves Saint Laurent, das macht ja immer Spaß.
Diese Hassliebe – Neid, Freundschaft, Respekt, und auch, dass er nicht nur der liebe Karl ist, sondern später auch die manipulativere Seite dazukam, dieser getriebene Ehrgeiz, der nicht immer nett ist. Der Karl war wie ein Ravensburger 10.000-Teile-Puzzle, was richtig Bock gemacht hat, das zusammenzulegen, was aber immer noch nicht zusammengelegt ist. Und ehrlich: Bisher habe ich nur ein Eckchen davon zusammengelegt.

Wird es weiter zusammengelegt werden, gibt es eine Fortsetzung?
Das weiß ich nicht, aber wenn es weitergehen sollte, was ja von Anfang an die Ansage war und wozu ich mich auch committet habe, wäre es dann wieder eine spannende Etappe, weil es dann in die Couture-Phase von Lagerfeld geht, wo er sich immer mehr verschließt und den Harnisch anlegt und zu der Person wird, die ich dann später auch getroffen habe.
Was haben Sie über den echten Karl Lagerfeld gelernt?
Über den jungen ganz viel. Weil ich wusste nichts von ihm als junger Typ. Ich war allein schon überrascht, wie der aussieht. Mit diesem ganz dichten Bart. Ich selbst habe ja überall Löcher im Bart. Er aber hatte einen ganz dichten schwarzen Bart, der sah aus wie ein Italiener. Ich dachte: Das war Karl Lagerfeld, Wahnsinn! Dann war er ja auch so ein guter Self-Promoter, dass er schon früh Interviews gegeben hat. Gold wert für mich, um seine Sprache und seine Körperlichkeit als junger Typ zu fassen.
Ich wollte ihn als jungen Typen – was heißt jung? Ich bin ja nun auch nicht mehr so jung – also in den Vierzigern wollte ich ihn zeigen, und da gibt’s ja zum Glück, weil der schon damals so umtriebig war, genug ... Ja, gelernt habe ich eine Menge. Auch solches, von dem man sich ein Scheibchen abschneiden sollte.
Zum Beispiel?
Diese unbändige Neugierde und diesen Lebenshunger, den Karl bis zum Schluss hatte, dieser Wissensdurst. Er hatte immer acht Bücher auf dem Nachttisch liegen, die er parallel gelesen hat, ich bin froh, wenn ich eins oder zwei liegen habe. Auch dieses immer am Puls zu bleiben, im Alter auch nicht zu nostalgisch zu werden, immer dranzubleiben – das hat mir schon imponiert.

Er wurde dafür kritisiert, dass er nur mit dünnen Models arbeiten wollte. Wie geht man damit um, wenn man diese Rolle vorbereitet?
Das betrifft vor allem den späten Karl Lagerfeld, und dem müsste man sich natürlich stellen, wenn es mit der Serie weitergeht, was ja im Raum steht. Natürlich weiß ich nicht, wie weit, also das geht ja dann schon sehr spät. Vielleicht bin ich ja dann schon nicht mehr der Kollege, der diese Frage beantworten muss.
Aber woher kommt denn so was auch? Ganz vieles davon sind Ängste, sind Komplexe, auch mit seinem eigenen Körper, diese Unzufriedenheit. Das ist eine Haltung, die ich natürlich überhaupt nicht unterschreibe, über die ich mir aber Gedanken mache, nachdem ich mich mit jemandem so auseinandergesetzt habe. Und da war viel los bei ihm. Ganz oft sind das kleine Typen mit einer großen Angst und Unsicherheit.
Marlene Dietrich, Karl Lagerfeld und Daniel Brühl
Es gibt diese irre Szene mit der Marlene Dietrich, gespielt von Sunnyi Melles, wo der Lagerfeld dann wirklich richtig klein wird, als sie ihn zur Schnecke macht.
Ja, er hatte so eine Unsicherheit, bevor man dann den abgeklärteren Karl kennenlernt, diesen Typen, den du ja auch nicht angreifen konntest. Ich fand ihn amüsant in den Talkshows, weil er nicht angreifbar war, er hat immer zurück gekontert. Er war irre schlagfertig und hatte so eine unantastbare Aura, und so habe ich ihn ja auch kennengelernt, als er mich vor 20 Jahren in Berlin fotografiert hat.
Ich war da supernervös, er hat das Foto aber ganz schnell gemacht. Er hatte einen wahnsinnigen Charme und ein Talent, mit den Leuten umzugehen und sie für sich zu gewinnen. Aber für die Zeit vor diesem späten Karl wollte ich unbedingt die Unfertigkeit, die Unsicherheit, die Fragilität in den Vordergrund stellen.

Was ist mit Mode allgemein: Wie haben Sie Ihr Wissen komplettiert?
Ich hatte einen Zwei-Tage-Kurs bei Chloé. Da konnte ich in jede Abteilung reinschnuppern. Das wusste ich sehr zu schätzen, weil ich wollte dann doch einen Crashkurs in Mode haben, ich wollte auch die Original-Kleider sehen, die Lagerfeld da entworfen hat, und die waren fantastisch! Da hätte ich gern auch das eine oder andere Kleid für meine Frau geklaut. Denn das könnte sie immer noch wunderbar tragen.
Das waren alles Originale in der Serie?
Zum Teil waren es Originale. Ansonsten wurde aber alles exakt nachgearbeitet. Es war halt eine krasse Zeit. Als ich das erste Mal diese Stiefel anhatte, als ich die das erste Mal gesehen habe, hätte ich’s fast nicht geglaubt: Ich sehe damit tatsächlich aus wie ein Typ vom Kölner Karneval. Aber das ist ja der Kitzel, wenn man irgendwas zusagt, wo’s dann noch Momente gibt, wo man denkt: War das jetzt ’ne gute Idee? Und dann wächst man da aber rein, und irgendwann habe ich die Stiefel mit Würde getragen.
Es war ja häufig so, dass man aus logistischen Gründen – mitten im Zentrum von Paris ist es schwierig zu drehen – irgendwo sich umzieht und dann Straßen überqueren muss bis zur Location. Das heißt, man ist durchs moderne Paris spaziert, und manchmal, wenn dieser 70er-Jahre-Tross vorbeikam, haben die Leute schon geguckt.

Die Chemie zwischen Théodore Pellerin, der den Jacques de Bascher spielt, und Ihnen stimmte von Beginn an.
Das ist der Riesenglücksfall gewesen. Théodore Pellerin ist der Wahnsinn gewesen, der hat’s für mich so einfach gemacht. Und das ist der Grund, warum ich diesen Beruf immer noch so gerne mache und bis an mein Lebensende machen will: Es sind solche Begegnungen und solche Momente. Manchmal sind’s auch nur Sekunden, aber Sekunden der absoluten Wahrheit, die wir erreicht haben, da war gar kein Spiel mehr, keine Verstellung.
Und wir haben miteinander getanzt, und zwar so, dass ich meine Frau angerufen und ihr gesagt habe: Ich liebe diesen Typen! Jetzt, in diesem Moment! Schatz, ich bin jetzt verknallt! Und sie meinte, den finde ich aber auch fantastisch, dann haben wir jetzt eine offene Beziehung (lacht). Wir haben so einen Bock, wieder zusammenzukommen. Entweder wird die Reise mit „Karl“ weitergehen oder bei irgendwas anderem. Der Typ ist absolut fantastisch. Wirklich. Der ist zwar ganz jung, hat aber eine alte Seele.
Daniel Brühl trägt privat lieber Zegna als Lagerfeld
Wie kritisch sehen Sie als UN-Botschafter für das Welternährungsprogramm eigentlich Mode als Industrie? Sie machen sich auch über nachhaltigen Umweltschutz Gedanken.
Heute hat sich einiges geändert. Auch zum Glück. Und – jetzt wird das hier zu einem Werbegespräch – das, was ich trage, ist von Alessandro Sartori, dem Chefdesigner von Zegna, bei dem ich wieder bin. Wir kennen uns auch schon über 20 Jahre. Und diese Familiengeschichte ist wirklich sehr beeindruckend von Ermenegildo Zegna. Die Marke ist, glaube ich, die einzige, die alles selber dort in Italien herstellt.
Und dann hat Zegna damals noch ein ganzes Dorf errichtet, mit Schulen und mit Spielplätzen für die Leute, die dort arbeiten, und es ist alles tatsächlich in Italien hergestellt. Dazu haben sie noch ein Naturschutzgebiet aufgebaut. Also, das war so eine traumhafte Geschichte von „So was gibt’s noch!“, da kann man ja wirklich zu 100 Prozent für stehen. Und bei vielen anderen Marken ist das eben nicht so. Da muss auf jeden Fall umgedacht werden, und das wird’s ja auch schon in vielen Fällen. Aber: bei vielen Marken eben auch nicht. Gar nicht! Auch nicht bei den ganz bekannten.