Berliner Verlag

Holger Friedrich in Görlitz: „Wir machen einen großen Fehler“

Die Welt verändert sich, doch Deutschland will am Alten festhalten. Holger Friedrich diskutierte mit dem Intendanten Daniel Morgenroth im Theater in Görlitz über Medienfreiheit.

Teilen
Daniel Morgenroth (l.), Intendant des Theaters in Görlitz, im Gespräch mit Holger Friedrich, dem Verleger der Berliner Zeitung.
Daniel Morgenroth (l.), Intendant des Theaters in Görlitz, im Gespräch mit Holger Friedrich, dem Verleger der Berliner Zeitung.Markus Wächter/Berliner Zeitung

Der Spiegel musste seinen Bericht über die Berliner Zeitung korrigieren – und Holger Friedrich saß am Donnerstagabend auf der Bühne in Görlitz, um über Meinungs- und Pressefreiheit zu sprechen.

So in etwa könnte man die beiden markantesten Schlagzeilen zusammenfassen, die für die Redaktion der Berliner Zeitung in den vergangenen Tagen besonders wichtig waren. Und beide Ereignisse sind eng miteinander verknüpft.

Denn dem Auftritt von Holger Friedrich, dem Verleger der Berliner Zeitung, ging im September 2024 ein einseitiger Bericht des Spiegel über den Berliner Verlag voraus. Daniel Morgenroth, der Intendant des Gerhart-Hauptmann-Theaters in Görlitz, hatte den diffamierenden Text gelesen und den Mut aufgebracht, den meinungsstarken Verleger nach Ostdeutschland einzuladen, um offen über Presse- und Medienfreiheit zu diskutieren.

Der Schlagabtausch hatte Morgenroths Interesse geweckt, auch nachdem die Chefredaktion der Berliner Zeitung einen offenen Brief veröffentlicht hatte, um gegen die unfaire Berichterstattung des Hamburger Magazins zu protestieren. In den vergangenen Tagen kam Bewegung ins Spiel: Im Zuge eines Gerichtsverfahrens hat sich der Spiegel dazu verpflichtet, den Text über die Berliner Zeitung zu korrigieren.

Von diffamierender Kritik darf man sich nicht einschüchtern lassen

Als Holger Friedrich auf der Görlitzer Theaterbühne neben dem Intendanten Daniel Morgenroth saß, erinnerte er die zahlreichen Zuhörer im Saal und die Zuschauer im Livestream daran, dass eigentlich ein dritter Gast hätte hier sitzen müssen: der Chefredakteur des Spiegel, Dirk Kurbjuweit. Doch der Journalist hatte Holger Friedrichs Einladung ausgeschlagen. Also musste Morgenroth zunächst ohne Sidekick den Verleger mit Fragen löchern.

Wenig verwunderlich ging es im ersten Teil des Gesprächs um den Konflikt zwischen dem Berliner Verlag und dem Spiegel. Holger Friedrich verwies darauf, dass sich viele Leitmedien immer häufiger als Diskreditierungsorgane in den Vordergrund spielten, anstatt ihre eigentliche Rolle als vierte Gewalt auszuüben. Immer häufiger schauten Medien den Mächtigen nicht mehr auf die Finger, sondern agierten als verlängerter Arm der Macht. Die Berliner Zeitung konnte darüber berichten, wie das Blatt vom ukrainischen Botschafter für seine nuancierte Berichterstattung über den Ukrainekrieg angegriffen wurde – das sei ein Beispiel dafür, wie staatliche Organe die Funktion von Presse missverstehen würden, erklärte Friedrich. Der Spiegel hatte anschließend den Vorgang unkritisch und einseitig dargestellt. Friedrich versicherte den Zuhörern, dass die Prinzipien der freien Presse für ihn als Verleger unverrückbar seien. Er lasse sich von diffamierender Kritik nicht einschüchtern.

Der Verleger Holger Friedrich (l.) von der Berliner Zeitung diskutiert mit Daniel Morgenroth.
Der Verleger Holger Friedrich (l.) von der Berliner Zeitung diskutiert mit Daniel Morgenroth.Markus Wächter/Berliner Zeitung

„Wie können wir unsere Erfahrungen nutzen?“

Daniel Morgenroth wies darauf hin, dass die Berliner Zeitung Themen mit eigener Perspektive aufgreife, die bei anderen Medien kaum oder gar nicht vorkämen. Ostdeutsche Themen seien ein besonderer Schwerpunkt der Berichterstattung, war Morgenroths Beobachtung. „Warum braucht es die Berliner Zeitung?“, wollte der Theatermann wissen. Friedrich erwiderte, dass es einen Ort geben müsse, wo ein offener und breit ausgelegter Diskurs möglich sei und wo auch der Erfahrungsraum der Ostdeutschen seinen Platz habe. Das sei besonders in Zeiten notwendig, in denen Gewissheiten erodierten und alte Akteure auf mächtigen Positionen verunsichert seien. Anstatt zu diskutieren, würden Medienmenschen, die sich um ihre Macht und ihren Einfluss sorgten, viel zu oft Andersdenkende diskreditieren.

Mit Blick auf Ostdeutschland erinnerte Morgenroth daran, dass es auch andere Medienhäuser gebe, die den Osten als interessanten Resonanzraum für sich entdeckt hätten – wie Die Zeit mit ihrer Beilage „Die Zeit im Osten“. Dies ließ Friedrich, Deutschlands einziger ostdeutscher Verleger, als Argument nicht gelten und äußerte einen provokanten Gedanken: Für ihn seien solche Projekte wie „Die Zeit im Osten“ zu vergleichen mit einem Kolonialladen – nett gemeint, aber nicht authentisch. Die Berliner Zeitung bietet aus Friedrichs Sicht einen ungefilterten Blick auf den Osten, der nicht durch westdeutsch normierte Filter geprägt ist. Die Perspektive der Berliner Zeitung erinnere daran, dass viele Ostdeutsche bereits eine einschneidende Transformationserfahrung gemacht hätten, die heute – in einer Zeit des radikalen Wandels – fruchtbar gemacht werden könnte. „Wie können wir unsere Erfahrungen nutzen?“, fragte Friedrich.

Grundrechte müssen verteidigt werden

Diese Frage bekam auch im geopolitischen Kontext eine besondere Relevanz. Im nächsten Teil des Gesprächs erinnerte nämlich der Verleger daran, dass Deutschlands Wohlstand in Gefahr sei – etwa durch wachsende wirtschaftliche Konkurrenz in China – und sich die Bevölkerung auf weitere Zäsuren einstellen müsse. Friedrich wies darauf hin, dass eine uninspirierte Politikerriege es verpasse, die notwendige Kreativität aufzubringen, um auf die wachsenden Herausforderungen zu reagieren. Ostdeutsche hätten die denkbar radikalste Staatskrise bereits mitgemacht – den Untergang der DDR –, seien also mit einem profunden Rüstzeug für weitere Krisen gewappnet. Dennoch komme man heute, 35 Jahre nach dem Mauerfall, nicht um die Frage herum, mit welchen Maßnahmen sich der Wohlstand in Deutschland erhalten ließe, ohne dass es zu gesellschaftlichen Konflikten kommt. Darüber werde zu wenig diskutiert.

Friedrich wollte nicht pessimistisch sein, sondern verwies auf die wichtigste Soft Power, über die der Westen verfüge: Pressefreiheit, Kunstfreiheit, das Recht auf eine eigene Meinung. Wenn diese Soft Power dann auch noch auf Innovationskraft, technologischen Fortschritt, kluges Wirtschaften treffe, dann wäre der Westen kaum zu schlagen. Daher reagiere er, erklärte Friedrich, sensibel, wenn die wichtigste Soft Power – die Presse- und Meinungsfreiheit – im freien Deutschland einer größeren Bedrohung ausgesetzt sei. Die hart erkämpften Grundrechte gelte es mit aller Kraft zu verteidigen, betonte der Verleger.

Man muss jetzt die richtigen Fragen stellen

Die Diskussion bezog sich auch auf das deutsch-chinesische Verhältnis, das sich in den vergangenen Monaten verschlechtert hat. Obwohl Deutschland „den eigenen Hof“ nicht sauber halte, zeigten deutsche Außenpolitiker im Ausland großes Engagement im Belehren und Zurechtweisen ihres Gegenübers, besonders mit Blick auf China. „Der Westen ist unsensibel gegenüber dem Osten, und Deutschland unsensibel gegenüber China“, sagte Friedrich. Anstatt Win-win-Situationen zu kreieren, ergäben sich jetzt lauter Lose-lose-Situationen. Deutschland könne am Zustand der Menschenrechte in China mit Beleidigungen nichts verändern, verliere aber zugleich einen attraktiven Handelspartner. Dabei könnte es doch möglich sein, der Supermacht China im Dialog und auf Augenhöhe zu helfen, in allen Bereichen eine positive Entwicklung zu nehmen. „Wir machen einen großen Fehler.“

Morgenroth stimmte einerseits zu, erinnerte aber andererseits daran, dass er kein Land gutheißen könne, in dem keine Meinungsfreiheit herrsche und Menschen in Lagern eingesperrt würden. „Lager sind nirgendwo in Ordnung“, sagte Friedrich und fügte hinzu, dass jetzt die Frage sei, wie man beeinflussen könne, dass solche Lager erst gar nicht entstünden und der Rechtsstaat, den er für eine große zivilisatorische Errungenschaft halte, sich überall entfalten könne. Diese Fragen müsse man sich jetzt stellen.

Wissen für ein besseres Morgen

Abschließend sprach Holger Friedrich mit Daniel Morgenroth über die Corona-Zeit und darüber, warum es notwendig sei, die pandemischen Jahre und das daraus folgende Krisenmanagement der Politik aufzuarbeiten. Die Presse sei ihrem kritischen Anspruch in dieser Zeit nicht gerecht geworden, sagte Morgenroth. In der Berliner Zeitung habe er aber schon früh kritische Stimmen wahrgenommen und sei so auf das Medium überhaupt erst aufmerksam geworden. Seiner Meinung nach ist es problematisch, dass Journalisten – aber eben auch Satiriker wie Jan Böhmermann – die Rolle der Staatshüter übernehmen, statt die Mächtigen auf die Schippe zu nehmen. Auch beim Thema Ukrainekrieg habe es in Deutschland lange an öffentlichkeitswirksamen Stimmen gefehlt, die eine andere Haltung eingenommen hätten als die Bundesregierung. Dabei sei dies gut für den demokratischen Diskurs.

Am Ende des Gesprächs konnten Besucher kritische Fragen stellen. Eine junge Zuhörerin zeigte sich angetan von der Veranstaltung, sagte aber, dass sie als Görlitzerin mit dem Ost-West-Diskurs nichts anfangen könne. „Ich fühle mich deutsch.“ Friedrich stimmte ihr zu und sagte, dass dieser Diskurs bald keine Rolle mehr spielen werde. Es sei aber jetzt umso notwendiger, einerseits aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen – wie etwa jenen aus der Zeit nach 1990 – und andererseits das Erbe der Ostdeutschen ins Produktive und Zukünftige zu wenden. Denn so könne man in ein Morgen schreiten, das besser wird als die Vergangenheit – und zwar aus der Überzeugung heraus, dass sich Konflikte und Krisen vermeiden lassen, wenn man frühzeitig für einen Interessenausgleich sorgt. Die Medien könnten hierbei konstruktive Moderatoren sein – wenn sie denn wollten. ■