
Sechs Menschen verloren bei dem Attentat in Magdeburg ihr Leben, 300 wurden verletzt. Taleb A., der am 20. Dezember mit einem Leihwagen in den Weihnachtsmarkt gerast ist, war bereits zuvor vielfach auffällig geworden. Noch häufiger, als bislang bekannt. Er fiel immer wieder durch Gewaltandrohungen auf. Gestoppt hat in keiner.
Knapp vier Wochen nach der Todesfahrt von Magdeburg wird immer klarer, wie kontinuierlich Deutschlands Sicherheitsbehörden über Jahre mit dem späteren Attentäter befasst waren. Auf 16 klein bedruckten Seiten listet eine Chronologie („Stand: 13.01.2025, 18:00 Uhr“) insgesamt 110 Vorfälle auf.
Der Bericht stammt vom Bundesinnenministerium und beruht auf Daten, die Bundesbehörden und Bundesländer dem Bundeskriminalamt (BKA) übermittelt hatten. Die akribische Feinarbeit ist ausdrücklich eingestuft als „Verschlusssache – nur für den Dienstgebrauch“ und liegt der Deutschen Presse-Agentur (dpa) in Berlin vor. Der „Spiegel“ berichtete zuerst in seiner Online-Ausgabe darüber.
Der Bericht zeigt, dass die Zahl der mitgeteilten Behörden-Vorgänge rund um Taleb A. vor dessen Attentat auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt deutlich höher liegt als bislang bekannt. Von 80 Vorfällen war nach der bisher letzten Sitzung des Innenausschusses des Bundestags Ende Dezember die Rede. Jetzt sind es 30 mehr.
Behörden in sechs Bundesländern waren mit dem späteren Attentäter beschäftigt
Laut dem „Spiegel“ listet das BKA 105 Vorgänge seit 2013 auf, die mit A. zusammenhängen. 14 Ermittlungsverfahren liefen demnach in den Jahren vor dem Anschlag gegen den heute 50-jährigen Arzt aus Saudi-Arabien, die meisten wurden eingestellt. 18 Anzeigen hat A. selbst gegen andere erstattet, vor allem einen Flüchtlingshilfeverein überzog er mit teils verworrenen Vorwürfen. Aber auch gegen Richter und Staatsanwälte richtete sich seine Wut. Und auch seinen eigenen Rechtsanwalt soll er bedroht haben.
Wie der „Spiegel“ über das Dokument berichtet, waren Behörden in mindestens sechs Bundesländern mit Taleb A. beschäftigt, in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Hamburg und Bayern. Dazu kommen etliche Bundesbehörden, vom BKA über den Bundesnachrichtendienst und das Bundesamt für Verfassungsschutz bis zum Kanzleramt. Hinweise auf mögliche Straftaten kamen auch aus Großbritannien und Kuwait.
Mehrfach soll sich Taleb A. laut „Spiegel“ an das Bundesinnenministerium gewandt haben. Im Februar 2023 schrieb er demnach über das Kontaktformular des Ministeriums wirre Zeilen, darunter diesen Satz: Er habe im Kanzleramt angerufen. „Meine Frage war: ‚Muss man in Deutschland 20 Leute auf den Straßen von Berlin umbringen, um die Gerechtigkeit zu bekommen?‘“
Aufklärung erwarten die Fraktionen aller im Bundestag vertretenen Parteien von Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und den Behördenspitzen. Faeser ist am Donnerstagmittag (16. Januar) erneut in das Gremium gekommen. Auch BND-Chef Bruno Kahl, Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen und BKA-Präsident Holger Münch sowie andere Behördenvertreter stehen den Ausschussmitgliedern hinter verschlossenen Türen zur Verfügung. Statements der Abgeordneten und von Faeser wurden für den Nachmittag erwartet. ■