Zwischen Rock und Minnegesang

Ritchie Blackmore: Einer, der seine Rechnungen bezahlt

Zwischen Heavy Metal und Renaissance-Musik: Zum 80. Geburtstag eines Ausnahme-Gitarristen

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Einer, der gern allein ist: Ritchie Blackmore während eines Konzerts seiner Band Rainbow
Einer, der gern allein ist: Ritchie Blackmore während eines Konzerts seiner Band RainbowMichael Putland / Imago

Die E-Gitarre ruht meist im Koffer, die phonstarken Marshall-Verstärkertürme sind längst abgeschafft. Ritchie Blackmore tritt am liebsten nur noch auf mittelalterlichen Schlössern und Burgen auf. Der schwarz gelockte Gitarrist, der in den 1970er-Jahren mit seinen Bands Deep Purple und Rainbow die harte Rockmusik mitprägte, hat sich zu einer Art neuzeitlichem Minnesänger gewandelt: Angetan mit Wams und engen Strumpfhosen spielt er auf der Laute heute Folklorerock im Stil der Renaissance-Musik des 16. Jahrhunderts.

So facettenreich wie sich dies anhört, so weit gehen auch die Meinungen auseinander, wenn man Rock-affinen Menschen über Ritchie Blackmore spricht: extravagant, kauzig, bröseltrocken, jähzornig sind Eigenschaften, die ihm zugesagt werden. Einer, der seinen Weg geht und diesen anderen auch ohne Wenn und Aber zumutet. Wie war der Weg dieses zweifelsohne Ausnahmegitarristen, der am 14. April 80 Jahre alt wird? Er, der lange als Archetypus des wilden und etwas geheimnisvollen Rockgitarristen galt – immer in Schwarz gekleidet – hob vor mehr als einem halben Jahrhundert das Spiel auf der elektrischen Gitarre auf ein höheres Niveau: Er verband Blues und Rock mit klassischen Elementen. Für viele Nachfolger im Hardrock und Heavy Metal ist er ein Vorbild.

Bei seinen Auftritten ging auch mal die ein oder andere Stratocaster zu Bruch. Ritchie Blackmore bei einem Konzert 1973.
Bei seinen Auftritten ging auch mal die ein oder andere Stratocaster zu Bruch. Ritchie Blackmore bei einem Konzert 1973.Avalon.red/Imago

Mit 15 schmiss Ritchie Blackmore die Schule

Blackmore, der 1945 im südwestenglischen Ferienort Weston-super-Mare geboren wurde, begann mit elf Jahren mit klassischer Gitarrenmusik. Einmal auf das Stichwort Eskapismus angesprochen, antwortete er in seiner typisch trockenen Art: Glücklicherweise gelang mir mein wichtigster Eskapismus, als ich mit 15 Jahren die Schule hinschmiss.“ Heute sei er einfach nur froh darüber, dass er mit seinem Gitarrenspiel genug Geld mache, um zu überleben.

Sein Können als Sessionmusiker sprach sich damals schnell herum, Blackmore wurde für unzählige Singleeinspielungen gebucht, spielt in einigen unbekannten Bands. Er lernte Margit kennen, zusammen gingen sie nach Hamburg, Sohn Jürgen Richard wurde geboren, doch die Ehe ging kurz darauf in die Brüche, wenig später heiratete er Bärbel, auch eine Deutsche, auch diese Ehe hielt nur wenige Jahre. Seitdem hat Blackmore eine innige Beziehung zu Deutschland, er fühlt sich hier wohl, spricht auch gut deutsch, wie es heißt.

Blackmore's Night: Ritchie Blackmore und Ehefrau Candice Night auf der Parkbühne in Leipzig.
Blackmore's Night: Ritchie Blackmore und Ehefrau Candice Night auf der Parkbühne in Leipzig.STAR-MEDIA/Imago

Mit Jon Lord gründete er Deep Purple

Musikalisch ging es für den Gitarristen steil bergauf. 1967 gründete Ritchie zusammen mit dem Keyboarder Jon Lord die Band Roundabout, aus der im April des folgenden Jahres die legendären Deep Purple hervorgingen.

„Black Night“, „Highway Star“, „Speed King“, „Child in Time“, „Burn“: Mit ultraschnellen Solopassagen, harten Riffs und einem aggressiven und höllisch lauten Sound setzte Blackmore eine Marke. Beeinflusst war der exzentrische Künstler, der auf der Bühne auch hin und wieder sein Instrument zerschlug, vom Bluesrock der Gitarristen Jimi Hendrix, Jeff Beck und Eric Clapton. „Wir haben das einfach ein bisschen ‚heavier‘ gespielt – und es funktionierte“, erinnert er sich einmal in einem Interview.

Deep Purple Jon Lord, Glen Hughes, Ian Paice, David Coverdale und Ritchie Blackmore im Dezember 1973.
Deep Purple Jon Lord, Glen Hughes, Ian Paice, David Coverdale und Ritchie Blackmore im Dezember 1973.Jorgen Angel/Imago

Gillan und Blackmore: Zwei Alphatiere, die es krachen ließen

Die Essenz seines Schaffens ist der Klassiker „Smoke on the Water“ aus dem Jahr 1972, den er gemeinsam mit seinen Deep-Purple-Kollegen Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass) und Jon Lord (Orgel) schrieb. Der Song, der einen Casino-Brand im schweizerischen Montreux am Genfer See und eine dort geplatzte Schallplattenaufnahme beschreibt, ist eine Hymne der Rockmusik. Die treibende Akkordfolge mit ihrem „Da, da, daaa“ wird besonders von Anfängern auf der Gitarre ausgiebig gespielt.

Berüchtigt ist die handfeste Rivalität mit Ian Gillan, seinem langjährigen Bandkollegen. Dem Sänger drückte er im Streit einmal einen Teller Spaghetti ins Gesicht. „Er war ein Alphatier und ich auch. Er wollte die Kontrolle, so wie ich“, rechtfertigte sich Blackmore.

Die emotionalen Spannungen führten bei Deep Purple zu kreativen Höchstleistungen. Blackmore und Lord lieferten sich auf ihren Instrumenten minutenlange Duelle – zur Begeisterung der Fans. Tipp: Nehmen Sie sich doch mal das Doppel-Livealbum „Made in Japan“ von 1972 vor und geben sich in Ruhe das kongeniale Stück „Child in time“. Es wird Sie in andere Sphären katapultieren.

Warum Ritchie Blackmore ABBA liebt

Der Bruch mit Deep Purple 1975 war unvermeidlich. Blackmore schnappte sich Musiker der Band Elf, darunter der stimmgewaltige und bis heute unvergessene Ronnie James Dio (starb 2010 an Magenkrebs). Die Verbindung von Heavy Metal und Fantasy-Texten schlug unvermittelt ein und gipfelte in Songs wie „Man on the Silver Mountain“ oder das epische „Stargazer“, das in seiner Komplexität Einzug hielt als einer der besten Heavy-Metal-Songs aller Zeiten.

Umso verwunderlicher mutet eine Anekdote aus dieser Zeit an, als sich die harten Herren untereinander gestanden, welche Musik und welche Band sie denn verehren. Blackmore erinnert sich später in einer Fragerunde an die Zeit, als er mit den Rainbow-Musikern zurückgezogen in einem französischen Schloss das Album „Long live Rock’n’Roll“ aufnahmen.  Eines Abends sei ihnen fürchterlich langweilig gewesen und da gestand Drummer Cozy Powell seinen Bandkollegen, dass er die Band ABBA mag. Und siehe da, Blackmore und auch Dio stimmten zu und outeten sich als Fans der Schweden. „Das ist eigentlich ziemlich peinlich, so etwas zuzugeben, aber Cozy ist sofort losgerannt, um alle ABBA-Platten zu holen. Wir haben stundenlang vor dem Kamin des Schlosses gehockt und ABBA gehört – während wir eigentlich unsere eigenen Songs hätten schreiben sollen. Aber das war viel besser“, erinnert sich Blackmore. „Ich denke, ABBA war die beste Band.“ Er habe sie immer gehört, als jünger war. „Sie sind so melodisch, und es funktioniert einfach. Sie sind vermutlich meine liebste Band aller Zeiten. Ich weiß, dass es in bestimmten Kreisen uncool ist, das zu sagen. Aber sie sind wunderbar.“

Auf zu neuen Höhen: Ronnie James Dio (Mitte) und Ritchie Blackmore (rechts) mit Rainbow.
Auf zu neuen Höhen: Ronnie James Dio (Mitte) und Ritchie Blackmore (rechts) mit Rainbow.Avalon.red/Imago

Bei Rainbow holte er 25 Musiker – und verabschiedete sie

Dass Blackmore weiterhin vehement seinen Kopf durchsetzte, zeigt, dass er in der Rainbow-Zeit allein 25 Musiker holte und wieder vor die Tür setzte, darunter auch die Sänger Graham Bonnet und Joe Lynn Turner. Und abermals kam es zum Bruch, weil Ritchie einen musikalischen Wechsel vollzog, hin zu mehr Mainstream-Musik, ein Weg, den Dio nicht mitgehen wollte. Dio ging und Rainbow veröffentlichte mit „Since you been gone“, ein Coversong von Russ Ballard, einen der bekanntesten Hits. Als der Durchbruch mit Rainbow in den USA in den 80er-Jahren nicht erfolgte, löste Blackmore die Band auf.

1984 kam Deep Purple noch einmal zusammen. Viel beachtet war das Comeback-Album „Perfect Strangers“, mit dem sich die Band gegenüber jüngeren Gruppen behauptete. 1993 kehrte Blackmore seinen Mitmusikern dann aber im Streit endgültig den Rücken.

Wilde Zeiten mit Deep Purple: Glenn Hughes und Ritchie Blackmore.
Wilde Zeiten mit Deep Purple: Glenn Hughes und Ritchie Blackmore.Avalon.red/Imago

Heute lebt er im US-amerikanischen Long Island bei New York und widmet sich ganz seiner Liebe zur Musik des Mittelalters und der Renaissance, kostümiert sich dementsprechend altertümlich und verbringt seine Zeit gern auf Burgen. Mit seiner vierten Ehefrau, der Sängerin Candice Night, gründete er 1997 die Formation Blackmore's Night. Besonders in der deutschen Mittelalter-Szene kommt der sanfte Folkrock des Paars gut an.

Noch einmal ließ er sich im Jahr 2016 dazu überreden, seine Band „Rainbow“ für drei Konzerte aufleben zu lassen. Das erste Konzert auf der Freilichtbühne Loreley über dem Rhein bei St. Goarshausen geriet zu einem unangenehmen Spektakel: Blackmore warf die Programmfolge spontan um, kanzelte seinen Sänger vor 15.000 Fans ab.

Wie der Vater so der Sohn: Jürgen (links) mit Papa Ritchie. Auch Jürgen ist Gitarrist geworden.
Wie der Vater so der Sohn: Jürgen (links) mit Papa Ritchie. Auch Jürgen ist Gitarrist geworden.Avalon.red/Imago

Ritchie Blackmore, ein Leben zwischen hartem Rock und Minnegesang. Auf die Frage, ob er gern in der heutigen Zeit lebe, antwortete er in einem Interview auf die typisch trockene Art: „Ich muss sagen, ich leide ab und zu unter Hämorr­hoiden, vor allem, wenn ich das falsche Toilettenpapier benutze.“ Und was eines Tages die Nachwelt über ihn schreiben soll: „Er hat stets seine Rechnungen bezahlt.“