Ein gewaltiger Gletscherabbruch hat das beschauliche Lötschental im Schweizer Kanton Wallis in einen Ort der Angst und Verwüstung verwandelt. Millionen Tonnen Eis und Fels rissen am Mittwochnachmittag über dem Bergdorf Blatten die Ruhe der Alpen mit sich in den Abgrund – und die Gefahr ist noch lange nicht gebannt.
Ein riesiger, künstlicher See hat sich hinter den Trümmern aufgetürmt. Sein Pegel steigt unaufhörlich. Die Behörden in der Schweiz zittern: Läuft das Wasser über, droht eine alles verschlingende Flutwelle. Schon am frühen Freitagmorgen könnte es so weit sein. Der Albtraum nimmt Fahrt auf.
In Wiler und Kippel – zwei friedliche Orte weiter unten im Tal – mussten bereits 16 Menschen ihre Häuser verlassen. Angst, Tränen, Eile. Die Evakuierung war unumgänglich. Und in Blatten selbst, wo die Gletscherlawine zwar keinen direkten Einschlag landete, werden nun Häuser vom aufgestauten Wasser zerstört. Was dem Eis entkam, ertrinkt nun im Fluss. Nichts scheint sicher in diesen Tagen im Wallis.
Ein Mann wird noch vermisst – 64 Jahre alt. Seit Donnerstag fehlt jede Spur von ihm. Während Suchtrupps gegen Zeit und Natur ankämpfen, läuft in den Dörfern die Katastrophenvorsorge auf Hochtouren. Die Behörden sprechen von einem möglichen „Worst-Case-Szenario“: Eine gigantische Flutwelle, die sich durch das enge Tal bis hinunter nach Gampel und Steg ergießt. Zwar sei dieses Schreckensbild eher unwahrscheinlich, aber wer will sich da noch sicher fühlen?

Experten rechnen vielmehr damit, dass ein Großteil der herabgestürzten Eismassen durch die anhaltend hohen Temperaturen schmilzt – und sich in einem reißenden Strom ins Tal ergießt. Was wie ein ferner Klimabericht klingt, ist hier brutale Realität: Die schmelzenden Gletscher werden zur tickenden Zeitbombe.
Gletscher werden zur tickenden Zeitbombe
Denn der Klimawandel hat längst seinen Tribut gefordert. Die Schweizer Gletscher schrumpfen unaufhörlich – allein in den letzten zwei Jahren verloren sie zehn Prozent ihrer Masse. Eine erschreckende Zahl, die jahrzehntelange Eisschichten in kürzester Zeit verschwinden ließ. Was bleibt, ist Instabilität, Gefahr, Unberechenbarkeit.
Blatten, ein Dorf mit rund 300 Einwohnern, war bereits vor dem Abbruch geräumt worden. Seit Tagen hatten Geologen gewarnt: Der Gletscher sei in Bewegung, die Lage kritisch. Die Natur gab ihre letzten Signale, bevor sie zuschlug.
Und Erinnerungen werden wach an eine andere Tragödie: 2017 stürzten im Kanton Graubünden am Piz Cengalo über drei Millionen Kubikmeter Fels ins Tal – acht Wanderer kamen damals ums Leben. Die Ortschaft Bondo wurde beinahe ausgelöscht. Auch dort war es ein Wettlauf mit der Zeit. Auch dort war es eine Frage von Minuten – zwischen Leben und Tod.
Jetzt hält das Wallis den Atem an. Die Menschen blicken bang in Richtung Berg. Wird der See halten? Oder kommt die Welle, die alles mit sich reißt? Die kommenden Stunden könnten über ganze Dörfer entscheiden. Und über das, was von ihnen übrig bleibt.